Heute frischer Fisch, morgen frischer Wohnraum: das Großmarktgelände in Raderberg | Foto: Manfred Wegener

Der Sprung durchs Zeitfenster

Der Innere Grüngürtel wird vollendet und zum Rhein verlängert. Auf 115 Hektar soll das neue Stadtviertel »Parkstadt Süd« entstehen. Doch bevor überhaupt konkrete Pläne erarbeitet worden sind und die Bürgerbeteiligung begonnen hat, hagelt es schon grundsätzliche Kritik

Wenn Politiker Superlative gebrauchen, sollte man skeptisch sein. Wenn aber Verwaltungsbeamte das tun, darf man dies als realistische Einschätzung verstehen — oder als Warnung. Von einer »Jahrhundertaufgabe« sprachen sowohl Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) als auch Bau­dezernent Franz-Josef Höing, als sie kürzlich das Projekt »Parkstadt Süd« vorstellten. Der Arbeitstitel, der ein wenig an Monopoly erinnert, geht auf den Master­plan des Büros Albert Speer von 2008 zurück: Als eine der wichtigsten Aufgaben wurde dort die Vollendung des Inneren Grüngürtels sowie ein neues Stadtviertel am südlichen Rand der Innenstadt angesehen. Durch die Verlegung des Großmarkts nach Marsdorf im Jahr 2020 ist dies nun möglich. Geplant wird das größte zusammenhängende innerstädtische Areal seit langem. Im Westen bildet die Luxemburger Straße die Grenze, im Osten der Rhein. Im Norden endet das Gebiet an der Bahn­linie und im Süden an der Schönhauser Straße und Marktstraße. Auf den 115 Hektar sind auf 26 Hektar Grünflächen und Parks sowie rund 1500 Wohneinheiten geplant, davon ein Drittel Sozialwohnungen. 4000 Arbeitsplätze in Büro- und Gewerbeeinheiten sollen hier entstehen, dazu mehrere Schulen, Straßen sowie neue Bus- und Bahnstrecken.

 

Um die Bürger einzubinden, hat die Stadt vor einem Jahr beschlossen, ein »moderiertes Beteiligungsverfahren« durchzuführen. Fünf Planungsbüros sind einge­laden, die mit Bürgern, Politik und Verwaltung zunächst Vorschläge für ein »städtebauliches und freiräumliches Grundgerüst« erarbeiten sollen. Auch Master­plan-Autor Albert Speer und sein Büro sind dar­unter. Außerdem werden Landschafts- und Verkehrs­planer beteiligt. Das ist kein Architekturwettbewerb, vielmehr muss erst mal geklärt werden, wo überhaupt Straßen, Wohnhäuser und die neue S-Bahn-Haltestelle hinkommen sollen.

 

Die »Parkstadt Süd« ist das derzeit ehrgeizigste Stadtplanungs-Projekt, aber längst nicht das einzige. In Köln gibt es zu wenig und vor allem zu wenig bezahlbare Wohnungen. Die Prognosen besagen, dass Köln bis 2020 rund 50.000 Einwohner mehr haben wird als noch 2011. Köln ist attraktiv, aber das ist eben auch ein Problem.

 

Derzeit baut die Stadt nicht nur zahlreiche Wohnquartiere, sondern ganze Stadtviertel neu, vor allem im Rechtsrheinischen. Im Süden von Mülheim wird entlang von Rhein und Hafen auf rund 70 Hektar ein neues Quartier mit bis zu 2500 Wohnungen errichtet. Eine weitere Baustelle wird am Deutzer Hafen entstehen, wo nach jahre­langem Streit nun der Weg für ein neues Wohn­gebiet für rund 4500 Menschen freigemacht worden ist.

 

Noch einmal 2250 Wohnungen sollen in Porz-Zündorf errichtet werden. Die Bürgerbeteiligung läuft hier bereits, aber die Stimmung ist aufgeheizt, weil die Zündorfer Straßen vom Autoverkehr zu Stoßzeiten überlastet sind. Die geplante Verlängerung der Linie 7 ist derzeit noch nicht gesichert. Schon wird der Ruf nach einer neuen Rheinbrücke im Kölner Süden laut. All das konterkariert eine Verkehrspolitik, die mehr Menschen dazu bringen will, auf Bus und Bahn umzusteigen, weil dadurch die Stadt lebenswerter wird. Die KVB ist bereits heute überlastet: überfüllte Bahnen, Ausfälle, Verspätungen und regelmäßig Stau im innerstädtischen U-Bahn-Tunnel. KVB-Vorstandschef Jürgen Fenske hat schon angekündigt, er benötige rund eine Milliarde Euro von Bund und Land, um in den kommenden Jahren überhaupt diesen Status quo halten zu können. Mülheim, Deutz, Porz — fast das gesamte rechts­rheinische Köln entlang des Rheins wird umgebaut. Das Ausmaß ist durchaus mit den späten 60er und frühen  70er Jahren vergleichbar.  Und als wären das nicht schon genug Herausforderungen— zumal es in Köln immer noch kein Baustellen-Management gibt, das diesen Namen verdiente — leistet sich die Stadt noch ein Prestige-Projekt mitten im Zentrum: An der Südseite des Kölner Doms ist die nächste Großbaustelle schon in Planung, denn hier soll die »Neue Historische Mitte« entstehen, samt neuer Museumsbauten (siehe StadtRevue 2/2015).

 

Es wird nicht nur so viel gebaut wie lange nicht mehr, auch das Tempo ist atemberaubend

 

Es wird nicht nur so viel gebaut wie lange nicht mehr, auch das Tempo ist atemberaubend. Baudezernent Höing spricht von einem »Zeitfenster«, das sich jetzt öffne und genutzt werden müsse. Gleichzeitig gibt es personelle Engpässe bei den beteiligten Ämtern. Zudem ist Höings Ziel, nicht nur Masse, sondern auch Qualität bauen zu lassen, zwar richtig. Doch die dafür notwendigen Werkstattverfahren kosten Geld und Zeit — ebenso wie das Ziel ernsthafter Bürgerbeteiligungen, die aufwändig konzipiert werden müssen, wenn sie nicht nur Hoffnungen wecken sollen, die nicht erfüllt werden können. 

 

Das Werkstattverfahren für Mülheim-Süd, Höings erstes großes Projekt, solle als Vorbild für den Beteiligungsprozess zur Parkstadt Süd dienen, sagt er. Allerdings ist sein Zeitplan nicht nur ehrgeizig, sondern offenbart auch Ungereimtheiten. Schon am 18. April werden nach einer Auftaktveranstaltung Planer und Bürger gemeinsam das Terrain erkunden — doch diese Spaziergänge finden gleichzeitig an Teilabschnitten statt, so dass kein Bürger einen Überblick über die Komplexität der gesamten Planungs­auf­gabe erhalten kann.

 

Im Mai folgen dann vier Abende zu den Themen »Parklandschaft«, »Lebendige Quartiere«, »Stadtökonomie« und »Stadt entsteht«. Wie das Format aussehen soll, sei noch nicht ganz klar, sagt Klaus Overmeyer, einer der Moderatoren des Beteiligungsverfahrens.  Die Rede ist von »Input von Experten« sowie von Diskussionen  und Arbeitsgruppen. Und auch bei der folgenden Planungsphase gibt es noch Klärungsbedarf. Die Büros könnten ihre Arbeitsergebnisse und daneben Akteure ihre Wünsche auf einem »Ideenmarkt« präsentieren, so Overmeyer. Wie das zu verzahnen sei, daran werde noch gearbeitet. Bereits im November soll der Beteiligungsprozess dann abgeschlossen sein.

 

Für Ursula Grosse-Grollmann ist all das »ein schlechter Witz«. Die Vertreterin der Bürgerinitiative »Südliche Innenstadterweiterung« (BüSIE) fordert wesentlich mehr Zeit und stärkere Bürgerbeteiligung. Mit ein paar Spaziergängen und Vorträgen werde man sich nicht abspeisen lassen. »Es muss ein Gremium eingerichtet werden, dass die gesamte Planungs- und Arbeitsphase begleitet«, sagt Grosse-Grollmann. Denn gerade dabei ergäben sich noch Veränderungen, über die die Bürger informiert werden müssten, um dann auch reagieren zu können. Allerdings soll die Beteiligung, so Baudezernent Höing, anschließend weitergeführt werden. Die BüSIE hat inzwischen Forderungen gestellt, die von der Ausweisung des Inneren Grüngürtels als Landschaftsschutzgebiet über Tempo 30 im neuen Stadtviertel bis zur stärkeren Mischung von Wohnen und Arbeiten reichen. Ein zentraler Kritikpunkt der BüSIE und der Bürgerinitiative Innerer Grüngürtel am Eifelwall (BIGE) betrifft den Abschnitt am Eifelwall. Weil dort das Stadtarchiv und ein neues Justiz­zentrum gebaut werden, verkümmere der Grüngürtel hier zum schmalen Band. Weitere Kritik entzündet sich am Drei-Zonen-Modell, das die Stadt 2003 für das Großmarktareal entwickelt und später in das Entwicklungskonzept Südliche Innenstadt-Erweiterung übernommen hat. Demnach wird es am nördlichen Bahndamm Gewerbe, im Süden Wohnungen und dazwischen Grün geben. Was aber ist erstrebenswert an einem nachts ausgestorbenen Büro- und Gewerbeareal, das an einen Park grenzt?

 

Dass der Grüngürtel an den Rhein verlängert wird und dass auch günstige Wohnungen entstehen werden, könnte letztlich viele Menschen hier von dem Projekt überzeugen. Doch wenn gut ein Fünftel des Areals Grünflächen sein werden, muss an anderer Stelle verdichtet gebaut worden, um die Wohnungen und Arbeitsplätze hier zu schaffen. Und trotz ihres Namens wird die »Parkstadt« eben nicht in erster Linie Park, sondern Stadt.

 

An der »Parkstadt Süd« zeigen sich alle Fragen der Kölner Wohnungspolitik: Wie hoch ist die Verdichtung von Wohnraum? Welche Wohnungen wollen wir? Und wie werden die Kölner in die Planung eingebunden? Um das zu beantworten braucht man keine Superlative — sondern eine Verwaltung, die sich dieser Aufgabe stellt.