Die Brache bespielen

Eine zweite staatlich anerkannte Kunstakademie in NRW macht von sich reden: Die Alanus-Hochschule zu Gast bei »Unbestelltes Land«

Neben der Düsseldorfer Akademie gibt es in NRW seit 30 Jahren die Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn – wenig beachtet von der Kunstszene. Wie dort tatsächlich gearbeitet wird, kann man im Oktober in einer Kölner Ausstellung in Augenschein nehmen. In einer leerstehenden Fabrik auf dem Gelände von NKT-Cables in Köln-Mülheim präsentieren die aktuellen 14 AbsolventInnen der Bildhauer- und der Malereiklasse ihre Werke unter dem Titel »ERLEDIGT«. Und die Begleitumstände für Kunst zwischen Depression durch Arbeitslosigkeit und VIVA-Welt könnten kaum spannungsvoller sein.

Bundesweit bekannter sozialer Brennpunkt

»Erledigt« findet im Rahmen des Kölner Architekturforums »plan04« als Teil des Mülheim-Projekts »Unbestelltes Land« statt (veranstaltet vom Bund Deutscher Architekten, Stadtteilgenossenschaft und Bürgerdiensten Mülheim). Die angebotenen urbanistischen Perspektiven richten sich auf ein Stadtviertel, das durch den Bombenanschlag als sozialer Brennpunkt bundesweit bekannt wurde und jetzt in seiner strukturellen und sozialen Wandlung, mit der Gefahr des weiteren Auseinanderbrechens, ins Zentrum des Interesses rücken soll.
Mit der Straßenbahn in 20 Minuten vom Neumarkt aus erreichbar, wandelt sich eine Station nach dem hässlichen, aber noch vertraut städtischen Wiener Platz ab Haltestelle Keupstraße abrupt das urbane Bild: Umzäunte Industriebrachen, der seit Jahren ungenutzte Güterbahnhof; neben engagierter Kunst im Kulturbunker finden sich die ersten Medienansiedlungen als zuckersüße Zukunftsverheißung. Die Schanzenstraße verkörpert eine Erfahrungsreise in den industriellen Wandel und in getrennte Welten: Wo einst 40.000 Menschen arbeiteten und auch wohnten, sind es heute gerade noch 400 Werktätige. Deutlich herrscht hier der städteplanerisch ungestaltete Gegensatz zur Utopie von der Mischnutzung »Wohnen, Leben und Arbeiten im Stadtteil«.

Mehr Prüfungen und stärkeres Selbstvewusstsein

In diese gesellschaftlichen Widersprüche hinein begeben sich die Alanus-Absolventen auf dem Weg ihrer Abnabelung von der Kunsthochschule, die sich derzeit unter dem beziehungsreichen Slogan »Kunst und Gesellschaft« für die Zukunft aufstellt. Mit der staatlichen Anerkennung vor zwei Jahren bekamen die Studierenden zwar mehr Prüfungen, doch insgesamt stärkte sich das Selbstbewusstsein. Dieses Frühjahr fiel schon die bundesweite Plakatkampagne »Kunst (k)lebt!« ins Auge: Das auffallende Motiv einer jungen Frau, die mit rotem Klebeband an der Wand ihres Schlafzimmers befestigt wurde, erhielt gerade eine internationale Auszeichnung für Kommunikationsdesign. Die gewürdigte Künstlerin war noch bis vor kurzem Studentin der Schule.
Die selbstorganisierte Bewährung im wenig idyllischen Mülheim spiegelt die zeitgemäße Ausrichtung der Schule, wenn auch die gezeigte Kunst nicht speziell für die Umstände vor Ort erarbeitet wurde. Schon während des Grundstudiums, das sich den traditionellen Materialien und Techniken widmet, wird die Ausbildung intensiver als anderswo an Fragen und Themen der Philosophie, Kunstgeschichte und gesellschaftlicher Gestaltung entlang geführt. An der relativ kleinen Schule mit anthroposophischen Wurzeln studieren in fächerübergreifendem Kontakt 250 StudentInnen Malerei, Bildhauerei, Architektur, Schauspiel, Tanz, Kulturpädagogik und Kunsttherapie. Dazu gehören, neben diversen Weiterbildungsangeboten, auch die Institute für Kunst im Dialog und für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Sie widmen sich kunst- und kulturpädagogischen Interventionen in der Personalentwicklung von Unternehmen genauso wie dem künstlerischen Selbstverständnis in Bildungseinrichtungen, im Strafvollzug, in der Museumspädagogik oder in der kuratorischen Ausrichtung. In der auf Rudolf Steiner zurückgehenden anthroposophischen Kultur ist ein erweiterter Blick auf die Spezialdisziplinen und deren bereichernder Austausch angelegt. Die emanzipatorische Weiterentwicklung dieses Ansatzes achtet die konstruktive Getrenntheit der Bereiche.

Engere Verknüpfung von Wirtschaft und Kunst

Ab 2005 soll ein eigenständiger Studienbereich Wirtschaftswissenschaften mit Master-Abschluss etabliert werden. Für die konstruktive Auseinandersetzung zwischen Kunst und Wirtschaft als der zukunftsringenden, gesellschaftlichen Reibefläche wurden dieses Jahr bereits zwei Symposien ausgerichtet. Die enge Verknüpfung von wirtschaftlich-sozialen und künstlerischen Phänomenen verweist auf den speziellen Ansatz der Alanus Hochschule – als Hochschule für Kunst und Gesellschaft. Mit dieser Ausrichtung gewinnt ihre Arbeit gerade auch im Rahmen aktueller Kunst an Interesse, und Mülheim könnte sich als spannender Kontext für die Absolventenausstellung erweisen.

Info
Ausstellung »ERLEDIGT«:
Halle von nkt cables group GmbH, Schanzenstraße 6-20,
27.9. bis 3.10., Öffnungszeiten Mo.-Do. von 15-20 Uhr, Fr. + Sa. 10-20 Uhr.
25.9., 17 Uhr Vernissage und Performance; 26.9., 11 Uhr Führung durch die Ausstellung; 30.9., 20 Uhr »Freiraum«, Führung und Beiträge;
3.10., 11 Uhr Finissage.

»Unbestelltes Land«
Industriebrache Alter Güterbahnhof Mülheim und Kulturbunker Mülheim, Berliner Str. 20
Kulturwochen mit Symposion und Ausstellung der Entwürfe zur neuen Mischnutzung Güterbahnhof sowie weitere Projekte zu Wohnen und Arbeiten, 24.9. bis 3.11.