Der nördliche Rand Europas: Kasepää, Estland, 2005 (Haus S. Kivkora), Ausschnitt | Foto: © Martin Rosswog, Lindlar; VG Bild-Kunst, Bonn, 2015

»Entlang Europa«

Seit 1982 bereist Martin Rosswog mit seiner Großbildkamera die europäische Peripherie

Sich »Entlang Europa« zu bewegen, wie der Titel der Ausstellung besagt, ist eigentlich nur auf eine Weise möglich: Man begibt sich auf die Grenze. Martin Rosswogs Fotografien sind Aufnahmen von der Peripherie, aus Schottland, Spanien, Est­land, Finnland, Rumänien, Weißrussland. Seit 1982 reist er an die Außengrenzen des Kontinents und nimmt dort mit einer Großbildkamera die Behausungen von Bewohnern in Kleinstdörfern auf. So entstanden eine Vielzahl von Serien, von denen Rosswog 13 für die Ausstellung in der SK Stiftung Kultur ausgewählt hat.

 

Im Zentrum stehen durchweg Wohnräume, ergänzt durch ein Por­trät der Bewohner, Schwarzweiß-Aufnahmen des Dorfes sowie großformatige farbige Abzüge der Land­schaft. Auf den ersten Blick scheint sich hier eine unter­gehende Welt zu präsentieren: Niedrige Ka­ten, roh verputzte Wände, karg möbliert, aber von kräftiger Farbigkeit, überall Decken und Deckchen sowie christliche Devotionalien. Es sind die Sehnsuchtsorte des zivilisationsmüden Städters, wie sie seit Rousseau immer wieder beschworen werden.

 

Doch Rosswogs Blick ist nicht sentimentalisch, sondern dokumentarisch, er verdichtet in strengen Bildkompositionen. Geschult an den Aufnahmen seiner Lehrer Hilla und Bernd Becher und an Walker Evans, bewahrt Rosswog verschwindende individuelle Lebensformen, betont mit dem Seriencharakter zugleich das Überindividuelle. Und er nimmt sich Zeit für malerische Stillleben, etwa bei dem Abstellraum des Ehepaars Hodoir in Rumänien mit großen Gurkengläsern und einem roten Plastikbeutel vor blauer Wand.

 

Die Porträts, frontal und ohne jeden Arbeitszusammenhang, wirken dabei wie Fußnoten, im Zentrum steht der menschenleere Raum. Wie mit dem Zoom wird von den Wohnungen über das Dorf zur Land­schaft aufgezogen. Jenseits seiner ethnografischen Feldforschung hinterfragt Martin Rosswog so auch das Verhältnis zwischen materiellen und kulturell produzierten sowie durch die Kamera imaginierten Räumen — und damit letztlich auch die Grenze als mit Bedeutung aufge­ladenes Territorium.
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Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur, Im Mediapark 7,
tägl. 14–19 Uhr, außer Mi, bis 9.8., Eintritt frei