Schreibt nicht als Fingerübung: Mark Fisher

Jäger der ver­lorenen Zukunft

Mark Fisher über seine Gespenster und Alternativen zur Gegenwart

Geschichte ist eine Geschichte der nicht realisierten Zukunft, die die Gegenwart auch nach ihrem Scheitern immer wieder heimsucht. Egal, ob es sich dabei um den kommunistischen Großversuch handelt oder den Versuch eines afro-britischen Kids, dem armen Süden von Bristol per Popmusik zu entkommen, ohne sich zu sehr auf die Bedingungen der Musikindustrie einzulassen. Beide, das Scheitern das Sozialismus und der unmögliche Superstar Tricky, bilden den Rahmen, innerhalb dessen sich die biographisch gefärbten Texte in Mark Fishers Essaysammlung »Gespenster meines Lebens« entfalten. Dazwischen findet der Niedergang der BBC am Beispiel des DJs Jimmy Savile, der im Schatten seiner Popularität und mit Duldung einiger hochrangiger BBC-Funktionäre jahrelang Kinder missbrauchen konnte, ebenso seinen Platz wie Joy Division und The Fall, die ihrer Klassenherkunft mit modernistischer Popmusik entkommen wollten.

 

Das Schöne daran ist, dass ­Fishers Texte keine Fingerübungen in akademischem und popkulturellem Namedropping sind. Er schreibt keine Theorie, sondern denkt nach. Fisher geht es dabei nicht nur darum, ökonomische Fakten zu benennen, sondern er fragt sich, was die Allgegenwart der Ökonomie in der Psyche anrichtet. Dabei führt ihn das Unbehagen an einer alternativlos erscheinenden Gegenwart und an der Unfähigkeit der politischen Linken, Alternativen zu artikulieren, immer tiefer in eine Archäologie der Alltagskultur und ihrer verschütteten Hoffnungen und Wünsche, die über den depressiven Normalzustand hinausweisen.

 

Bei seinem Vortrag am 14. Mai wird er sich zweier solcher Momente widmen, die auf ihre Weise Alternativen zur Gegenwart gedacht haben, aber nie vollständig eingelöst wurden. Die Anti-Psychiatrie-Bewegung kritisierte die Beziehung zwischen Psychotherapeut und Patient als ein Machtgefälle und trug dazu bei, die katastrophalen Zustände in den Psychiatrien zu verändern. »Anti-Ödipus« von Gilles Deleuze und Felix Guattari kritisierte die Freudsche Orthodoxie, nach der unsere Kultur auf einer Unterdrückung des Verlangens basiert. Fisher wendet diese Momente gegen eine Gegenwart, die ihre psychischen Probleme mit Medikamenten einhegen möchte und in der Alltagshandlungen mit therapeutischem Slang zu individuellen Pathologien werden.

 


Mark Fisher, »Gespenster meines Lebens.
Depression, Hauntology und die verlorene Zukunft«
Edition Tiamat, 256 S., 20 Euro
StadtRevue präsentiert die Lesung: Do. 14.5., King Georg, 21 Uhr