Transparente Fassade — intransparente Bezahlung: Verlagshaus M. DuMont Schauberg

Pauschal abgefertigt

M. DuMont Schauberg steht im Verdacht, im großen Stil Journalisten scheinselbstständig beschäftigt zu haben

Die Nachricht traf die Führung von M. DuMont Schauberg (MDS) unvorbereitet. Der Zoll vernehme im großen Stil ehemalige und aktuelle Beschäftigte des Medienhauses, meldete der Mediendienst Meedia Mitte April. Die Chefredaktion des Kölner Stadt-Anzeigers rechnete offenbar mit unmittelbaren weiteren Maßnahmen der Ermittlungsbehörde. Man solle sich nicht wundern, wenn der Zoll oder die Polizei anrücken würden, sagte Chefredakteur Peter Pauls bei einer eigens einberufenen Redaktionskonferenz noch am Tag der Veröffentlichung, wie ein MDS-Mitarbeiter berichtete. So etwas sei ganz normal. Wer eine Vorladung vom Zoll bekommen habe, könne sich gerne melden, bot Pauls an.

 

Der Vorwurf, der im Raum steht: MDS beschäftige Scheinselbstständige, unter anderem beim Kölner Stadt-Anzeiger. Ein Whistleblower hat sich wegen dieses Verdachts an die Deutsche Rentenversicherung gewandt, die den Fall an den Zoll weitergab. Nach außen gibt sich MDS gelassen. »Bisher ist noch keine Behörde auf Verantwortliche dieses Hauses zugekommen«, sagt MDS-Sprecher Björn Schmidt. »Wir sind auch von keiner Behörde um eine Stellungnahme gebeten worden. Lohnsteuer- und Sozialversicherungsprüfungen sind bisher ohne Feststellung geblieben, die letzte Rentenprüfung hat vor einem halben Jahr stattgefunden.« MDS-Geschäftsführer Philipp Magnus Froben soll jedoch seinen Urlaub abgebrochen haben, heißt es in der Amsterdamer Straße. Unternehmenssprecher Schmidt bestreitet das. Froben sei wie geplant im Büro gewesen.

 

M. DuMont Schauberg könnte ein System auf die Füße fallen, das seit Jahren praktiziert wird und mit dem sehr viel Geld gespart werden kann. In Verlagen existieren drei verschiedene Formen der Bezahlung von Journalisten: Das Gehalt für angestellte Redakteure, die Honorierung pro Zeile für freie Mitarbeiter und die Tages- oder Monatspauschale für Pauschalisten, die regelmäßig für einen Arbeitgeber arbeiten, der aber für sie keine Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherungsbeiträge zahlt. In den vergangenen Jahren wurden in vielen Redaktionen teure Redakteure durch billigere Pauschalisten ersetzt. Übernehmen Pauschalisten die gleichen Aufgaben wie angestellte Redakteure, liegt der Verdacht nahe, dass sie scheinselbstständig sind.

 

»Es ist leider Tatsache, dass viele Medienhäuser im Zuge von Sparmaßnahmen journalistische Aufgaben auf freiberuflich tätige Journalisten abwälzen«, sagt Anja Zimmer, Geschäftsführerin des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) in Nordrhein-Westfalen. Trotz hervorragender Qualifikationen würden sie miserabel bezahlt. »In vielen Fällen wird es sich dabei um Scheinselbständigkeit handeln«, sagt sie. Allerdings ist das nicht so einfach nachzuweisen.

 

Für diese Gruppe interessiert sich der als Ermittlungsbehörde zuständige Zoll. Wird die Beschäftigung von Scheinselbständigen nachgewiesen, drohen dem Unternehmen und den verantwortlichen Entscheidern Geldstrafen sowie bis zu fünf Jahren Gefängnis. In diesen Wochen lädt der Zoll etliche Zeugen aus dem MDS-Umfeld zur Vernehmung in Köln-Porz vor – betreffs »Ermittungsverfahren wegen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen«. Zweieinhalb Stunden dauerte bei ihm die Vernehmung, berichtet ein Befragter, der anonym bleiben möchte. Nach ausführlicher Zeugenbelehrung zur Wahrheitspflicht fragten die Vernehmer nach zahlreichen Einzelheiten aus dem Arbeitsalltag, etwa ob andere Pauschalisten in Dienstpläne eingebunden waren und Anwesenheitspflicht bestand. Die Zöllner wollten auch Namen und ladungsfähige Adressen von weiteren Leuten, die etwas zu den Arbeitsbedingungen der Pauschalisten sagen können. Eine andere Befragte berichtet, dass die Beamten nachbohren, wer von dem System wusste. »Ich hatte den Eindruck, sie wollten wissen, ob da mit Vorsatz gehandelt wurde«, sagte sie.

 

Bei MDS hat sich das Pauschalistensystem schleichend ausgebreitet

 

Aktiv geworden ist der Zoll, weil ein Whistleblower die Deutsche Rentenversicherung informiert hat. Er hat ihr nach eigenen Angaben eine Liste mit weit über 100 Namen von Personen vorgelegt, von denen er überzeugt ist, dass sie als scheinselbständige Pauschalisten für die verschiedenen Titel des Medienhauses tätig waren oder sind. Am Stammsitz von MDS in Köln erscheint neben dem Stadt-Anzeiger, das Boulevard-Blatt Express, diverse Anzeigenblätter sowie das Jugendblättchen Xtra, das gerade eingestellt wurde. Außerdem gehören die Berliner Zeitung und die Mitteldeutsche Zeitung zur Gruppe.

 

Neben dem Whistleblower hat sich auch noch mindestens ein ehemaliger Pauschalist an die Deutsche Rentenversicherung gewandt, der seinen Status nachträglich prüfen lassen will. Er ist mit einer Abfindung gegangen, als MDS im Zuge seines großen Umbaus Personal abbauen wollte. »Mir droht Altersarmut«, sagt er. Seine Hoffnung: Falls er nachträglich als scheinselbständig eingestuft wird, wird sein Vertrag rückabgewickelt und der Verlag muss für ihn Sozialbeiträge an die Rentenversicherung wie für festangestellte Redakteure zahlen. Die haben rund ein Drittel mehr verdient.

 

In der Medienbranche ist die Beschäftigung von Scheinselbständigen keine Seltenheit, wissen die Journalisten-Gewerkschaften. »Das ist ein branchenweites Problem«, sagt Christof Büttner, Landessekretär der zu Verdi gehörenden Deutschen Journalisten Union (dju). »Bei uns melden sich immer wieder Journalisten, die offensichtlich scheinselbständig sind.« Sie könnten dagegen vor Gericht ziehen. Aber das tun die wenigsten – weil sie Angst haben, sich mit dem Arbeitgeber zu überwerfen. Wenn sie aber sowieso ihren Job verloren haben, sieht das anders aus. Im vergangenen Jahr haben Kölner Stadt-Anzeiger und Kölnische Rundschau die meisten ihrer Lokalteile im Umland zusammengelegt. Danach mussten viele Pauschalisten gehen. Sie loszuwerden ist einfacher, als einem angestellten Redakteur zu kündigen.

 

Vor der Zusammenlegung der Lokalteile waren in manchen Redaktionen des Stadt-Anzeigers im großen Umfang Pauschalisten beschäftigt. »Wir haben die selbe Arbeit wie die Redakteure gemacht, hatten einen festen Arbeitsplatz, waren in Dienstpläne eingeteilt und weisungsgebunden«, zählt ein ehemaliger Pauschalist die Kriterien auf, die Juristen für die Einstufung als scheinselbständig heranziehen. Bemerkenswert: Die Kölnische Rundschau hat solche Pauschalisten nicht beschäftigt.

 

Bei MDS hat sich das Pauschalistensystem schleichend ausgebreitet, sagt einer, der früher Führungsverantwortung im Unternehmen hatte. »Anfang der 90er war das die adäquate Form, um nebenberuflich tätige Journalisten gerecht zu bezahlen«, erklärt er.
Das galt etwa für Sportreporter, die regelmäßig über die Veranstaltungen der Kreisligen berichteten. Doch nach und nach bekamen immer häufiger hauptberufliche Journalisten Pauschalistenverträge – während sozialversicherungspflichtige Stellen abgebaut wurden. Das Magazin des Kölner Stadt-Anzeigers wird fast nur von Pauschalisten produziert.

 

Andere Medienhäuser haben erkannt, welche Probleme sie sich geschaffen haben. Der Axel-Springer-Verlag hat sich selbst angezeigt, nachdem bei einer internen Prüfung fragwürdige Verträge zu Tage kamen. Die zur Ippen-Gruppe gehörende Hessische/Niedersächsische Allgemeine hat im vergangenen Jahr fast ein Dutzend Mitarbeiter fest angestellt, nachdem die Deutsche Rentenversicherung dort etliche Arbeitsverhältnisse als scheinselbständig eingestuft hatte.

 

Dem Whistleblower bei MDS hatte die Rentenversicherung ursprünglich wenig Hoffnung gemacht, dass der Zoll sich der Sache annehmen werde. Ob bei MDS beschäftigte Pauschalisten tatsächlich als scheinselbständig zu bewerten waren oder sind, werden die Juristen klären. Fällt das Urteil positiv aus, könnte es für den Verlag teuer werden. Neben einer Strafe müsste er für viele Jahre Sozialabgaben nachzahlen, den verantwortlichen Führungskräften kann ein Prozess drohen. Der Whistleblower: »In Zeiten, in denen sogar ein einst hoch geachteter Manager wie Thomas Middelhoff ins Gefängnis geht, sollte man das nicht unterschätzen.«