»Hallo Schule, tschüss Job«: Widdersdorfer Eltern beim Protest | Foto: Manfred Wegener

Kein Platz, nirgends

In Köln-Widdersdorf haben mehr als 100 Erstklässler noch immer keinen Platz in der Nachmittagsbetreuung

Auf der regendurchnässten Grünfläche neben der Olympia-Schule halten 105 Kinder gebannt die Schnüre der Heliumballons in den Händen. »Bloß nicht zu früh loslassen«, raunen die Eltern der Initiative »Hallo Schule! Tschüss Job!« ihnen noch zu, bis es dann um Punkt 16 Uhr endlich soweit ist. Die bunten Ballons werden in den Himmel gelassen, anwesende Vertreter der Kölner Stadtpolitik applaudieren, die Stimmung bei den Eltern: angespannt. Für sie geht es bei der Aktion am 6. März um mehr als 100 fehlende Plätze im Offenen Ganztag (OGS).

 

Wie viele Erstklässler nach den Sommerferien in die Nachmittagsbetreuung der städtischen Grundschule in Widdersdorf kommen können, entscheidet sich frühestens Anfang Mai. Denn anders als in Düsseldorf, wo den Eltern die OGS-Versorgung garantiert wird, verteilt der Kölner Rat die vorhandenen Plätze erst nach einer Bedarfsanfrage bei den Eltern. Schon jetzt steht aber fest: Auf 44 freie Plätze im Offenen Ganztag der Olympia-Schule kommen im nächsten Schuljahr 105 neue Kinder.

 

Patrick Prüss, Sprecher der Initiative, kritisiert das langwierige Vergabeverfahren der Stadt: »Die Ungewissheit, wie es im August weitergehen soll, ist ein ständiger Begleiter vieler Familien in Köln, gerade hier im jungen Widdersdorf.« Mit Unterschriftenlisten und öffentlichen Aktionen fordern er und seine Mitstreiter daher »Düsseldorfer Verhältnisse«: eine garantierte Nachmittagsbetreuung für jedes angemeldete Schulkind.

 

Wie hoch der Druck für die Widdersdorfer Eltern tatsächlich sein muss, lässt sich bei einem Spaziergang durch die schnurgeraden Straßen der Neubausiedlung erahnen. Seit 2006 soll hier das größte privat finanzierte Wohnbaugebiet Europas mit dem klangvollen Namen »Prima Colonia« entstehen. Einfamilienhäuser mit Carport und Kiesgarten reihen sich hübsch aneinander, die meisten, die hier gebaut haben, sind junge Familien mit gutem Einkommen. »Unsere sozial besser gestellte Lebenssituation gründet auf zwei Einkommen«, erzählt Boris Nierhoff, ebenfalls aktiv in der Elterninitiative. »Wenn eines wegen der fehlenden Nachmittagsbetreuung für unsere Tochter wegbricht, bricht alles andere auch zusammen.«

 

Ulrike Heuer, Leiterin des Amtes für Schulentwicklung, weiß um die Sorgen der Eltern in Widdersdorf. Sie betont aber, dass Köln im Vergleich zu anderen Städten in Nordrhein-Westfalen mit 78 Prozent noch immer an der Spitze der Versorgung steht. Das Offene Ganztags-Angebot wurde in den letzten Jahren kontinuierlich ausgebaut und auch 2015 gibt es eine Erhöhung der Landesmittel um 1,5 Prozent. Das Geld soll aber dann, so Heuer, vor allem an die Beschäftigten gezahlt werden.

 

Hildegard Merten, Geschäftsführerin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, weiß von keinem Beschäftigten im Offenen Ganztag, der tariflich bezahlt wird, die meisten hangeln sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten. Aus diesem Grund hält sie eine Kooperation zwischen Eltern und Beschäftigten auch in Widdersdorf für eine produktive Strategie, um die Situation zu verbessern. Beim Offenen Ganztag gehe es schließlich nicht nur darum, die Kinder bis zum Nachmittag unterzubringen, sondern auch um eine pädagogisch wertvolle Betreuung.

 

In der Olympia-Schule ist das Konzept des Offenen Ganztags bislang vor allem durch die räumlichen Bedingungen eingeschränkt. Bereits im vergangenen Jahr war bis zuletzt unklar, ob die Kapazitäten angesichts der hohen Zahl von Neuanmeldungen ausreichen würden. Eine frühere Elterninitiative setzte sich daher vor allem für den Bau einer Großküche in der Olympia-Schule ein und hatte Glück: Alle Kinder kamen unter. Doch bis heute wird dort im Schichtbetrieb gegessen und die Frage, ob Container hinter dem Schulgebäude aufgestellt werden müssen, steht auch in diesem Jahr wieder zur Diskussion.

 

An vieles hatte man gedacht, beim Bau von »Prima Colonia« – an den sozialen Anschluss an den alten Stadtkern, den Ausbau der Infrastruktur, sogar eine Golfbahn ließ man am Rande der A1 errichten. Bislang ungeklärt bleibt aber, wie man mit der wachsenden Zahl von Neueinschulungen umgehen wird. Die jungen Familien, denen das Wohngebiet von den Vermarktern und der Stadtverwaltung angepriesen wurde, sind enttäuscht. Dabei wirbt »Prima Colonia« auf seiner Internetseite doch so offenherzig mit dem Slogan »Leben auf gut Kölsch«. Hätte man sich also denken können: Fehlende OGS-Plätze gehören zum Leben in dieser Stadt eben einfach dazu.