Stadtdirektor Guido Kahlen: Wieviele Finger hält er hoch? | Foto: Frank Überall

Zahlen nach Kahlen

Die Neuauszählung der Kommunalwahl könnte Rot-Grün die Ratsmehrheit kosten

Wer bin ich und wenn ja wie viele? Das ist die Frage, die derzeit das rot-grüne Bündnis im Kölner Rathaus umtreibt. Es herrscht eine heftige Beziehungskrise zwischen SPD und Grünen. Der schillerndste Kristallisationspunkt des Konflikts dreht sich um das Ergebnis der Kommunalwahl. Da hat es peinliche Pannen gegeben, weshalb das Verwaltungsgericht die erneute Auszählung eines Stimmbezirks in Rodenkirchen angeordnet hat. Die Folge könnte ein kommunalpolitisches Erdbeben sein. Kräftig geruckelt hat es aber auch so schon.

 

Denn für die Sozialdemokraten steht viel auf dem Spiel. Sie wissen nicht, wie viele sie sind. Angeblich sollen in dem fraglichen Zählbezirk Stimmen vertauscht worden sein. Wenn das stimmt, müsste die SPD einen Sitz im Rat an die CDU abgeben. Ausgerechnet Jochen Ott, der nur knapp über die Reserveliste der SPD in den Rat gekommen war, müsste die politische Stadtvertretung verlassen. Jochen Ott ist nicht irgendwer: Er ist Kölner Parteichef, Vize-Vorsitzender der NRW-SPD, Landtagsabgeordneter und vor allem Kandidat für die Oberbürgermeisterwahl in Köln am 13. September.

 

Da mag es Zufall sein, dass sich Sozialdemokraten in verantwortlichen Ämtern so vehement gegen eine erneute Auszählung der umstrittenen Stimmen und eine Korrektur des Wahlergebnisses gestemmt haben. Eine besonders peinliche Rolle spielte Stadtdirektor Guido Kahlen (SPD), der das Wahlprotokoll im fraglichen Stimmbezirk Rodenkirchen als »besonders sorgfältig« bezeichnet hatte. Das Verwaltungsgericht hat ihm inzwischen das Gegenteil bewiesen. Aber auch Oberbürgermeister Jürgen Roters, Regierungspräsidentin Gisela Walsken und NRW-Innenminister Ralf Jäger (alle SPD) vertraten die eigenwillige Rechtsauffassung, dass schon nichts falsch sein wird, wenn Sozialdemokraten in der CDU-Hochburg Rodenkirchen mal gewinnen.

 

Die Grünen mochten dieser Argumentation nicht folgen, sehr zur Verbitterung ihrer sozialdemokratischen Partner im Stadtrat. Irgendwie sind die ungleichen Partner in Köln nie so richtig auf Augenhöhe angekommen. Sie unterstellen sich wechselseitig, nicht zu wissen, wer sie sind. Für den echten Genossen sind Grüne historisch gesehen nur untreu gewordene Weggefährten. Die Gründung einer neuen politischen Partei vor vielen, vielen Jahren haben viele SPD’ler den Grünen bis heute nicht verziehen. Die Diskussionskultur der Grünen ist vielen ohnehin suspekt. Rot-grüne Annäherungen waren in der Vergangenheit im Kölner Rathaus oft von wenig Erfolg gekrönt.

 

Und auch jetzt sticheln die Kölner Grünen gegen die SPD, wo sie nur können. Sie führen hinter den Kulissen einen wahren Rosenkrieg in der rot-grünen Vernunftehe. Mit der parteilosen, aber Grünen-nahen Henriette Reker haben sie eine Oberbürgermeisterkandidatin aufgestellt, die auch von CDU und FDP unterstützt wird. Bei großen Streitthemen wie dem Ausbau des Godorfer Hafens ärgern die Grünen die SPD leidenschaftlich. Und insgesamt hört man an der Kölner Grünen-Basis stets, dass man sich von den Sozialdemokraten nicht ernst genug genommen fühlt.

 

Wie geht es nun weiter? Im ersten Schritt steht die Beantwortung der Frage nach »Wer und wie viele?« an. Denn die hauchdünne rot-grüne Mehrheit könnte bald futsch sein. Es würde dann bunter werden, wenn politische Entscheidungen im Stadtrat zu treffen sind. Mal könnte ein Jamaika-Bündnis den Ausschlag geben, mal eine »Große Koalition« aus CDU und SPD. Auch eine rot-rot-grüne Zusammenarbeit ist an manchen Stellen denkbar. Für viele Politiker ist das der »größte anzunehmende Ungemach«, aus Sicht der Gemeindeordnung in NRW ist es der Normalzustand. »Koalitionen« kennt die Kommunalverfassung eigentlich nicht. Die parteiübergreifende Suche nach dem besten Weg soll in der so genannten Selbstverwaltung oberste Priorität haben. Deshalb heißt der Stadtrat auch nicht Parlament, und dauerhafte politische Bündnisse sind in der Theorie nicht gewünscht — auch wenn sie die Arbeit in der Praxis für die Mächtigen einfacher machen.

 

Einfache politische Arbeit darf die SPD in Köln in der aktuellen Situation aber nicht mehr erwarten. Ihre künftige Rolle wird gerade neu definiert, und sie hängt auch an der Neuauszählung der umstrittenen Rodenkirchener Kommunalwahl-Stimmen: Wenn sich tatsächlich herausstellt, dass dort falsch gehandelt wurde, wird die Diskussion um die Rolle sozialdemokratischer Amtsträger schärfer werden. Medien und Öffentlichkeit werden genau darauf achten, wer zu welchem Zeitpunkt was gesagt hat. Ob die SPD in dieser Zeit ein guter Partner für politische Entscheidungen sein wird, bleibt abzuwarten. Denn vielleicht war ja alles auch nur ein Sturm im Wasserglas, es wurde in Rodenkirchen richtig gezählt, und die Kölsche Welt der Genossinnen und Genossen kommt wieder komplett in Ordnung.