Die Heiligenviten des dritten Jahrtausends

I did it my way? Wohl kaum. In den heutigen Biografien ist »Ich« meist nur ein und derselbe Superstar

Preisfrage: Gibt es derzeit noch einen halbwegs prominenten Menschen in Deutschland, der keine Biografie über sich geschrieben hat? Respektive: über sich hat schreiben lassen? Doch, es gibt ihn (noch). Oder besser: sie, denn es ist eine Frau, die – obschon ein Medienpromi – zu jener aussterbenden Gattung von Zeitgenossen gehört, die ihr Leben (oder zumindest das, was man branchenintern so nennt) nicht so außergewöhnlich findet, dass man es sofort zwischen zwei Buchdeckel pressen müsste. Ausgerechnet die sonst eigentlich nicht für Zurückhaltung berüchtigte Ex-RTL-Moderatorin Margarethe Schreinemakers war es, die im Gespräch mit Christine Westermann bei »Zimmer frei« bekannte, dass sie bestimmt kein Buch über sich selbst schreiben möchte. Schließlich brächten »doch nun wirklich alle gerade Bücher über sich selbst heraus!«, schnaubte Schreinemakers. »Warum sollte ich dem noch eins hinzuzufügen?«

Eine Liste ohne Ende

Ja, warum eigentlich?! Viele andere deutsche Promis sind da weniger zimperlich. Ob Sportler wie Jan Ullrich (»Ganz oder gar nicht«) oder Oliver Kahn (»Nummer Eins«), so genannte Fußball-Ikonen wie Uwe Seeler (»Danke, Fußball! Mein Leben«) oder Günter Netzer (»Aus der Tiefe des Raums«). Ob politische Einsteiger wie Staatsoberhaupt Horst Köhler (»Offen will ich sein – und notfalls unbequem«), politische Aufsteiger wie Angela Merkel (»Mein Weg«) oder politische Aussteiger wie Helmut Kohl (»Erinnerungen 1930 – 1982 Politik«), ob ein Theatermensch wie Peter Zadek (»My Way«) und natürlich Schlagzeilen-Junkies wie Susanne Juhnke (»In guten und in schlechten Tagen. Mein Leben«), Boris Becker (»Augenblick, verweile doch«), Uschi Glas (»Mit einem Lächeln«): So viele »ganz persönliche« Lebensbeichten wie in diesen Tagen überschwappten wohl noch nie die Nation. Schließlich kann man in der hiesigen Buchbranche – neben Diät-Ratgebern und Anti-Bush-Pamphleten – derzeit mit nichts mehr Geld verdienen als mit Ego-Geschichten aus dem angeblich »wahren« Leben, auch wenn die in der Regel weder besonders wahr noch besonders spannend ausfallen.
Wenn Seeler, Netzer, Zadek und Co. ihre verfrühten Memoiren vorstellen, rollt auch diesen Herbst die Promi-Offenbarungswelle weiter. Mit Gert Heidenreichs Gottschalk-Biogafie (»Thomas Gottschalk. Die Biographie«) hat sie außerdem soeben noch ihren literarischen Ritterschlag erhalten. Längst nämlich sind jene Radau-Zeiten vorbei, als noch Rüpel wie Stefan Effenberg oder Dieter Bohlen mit Hilfe von Boulevard-Journalistinnen für skandalösen »Promi-Schrott« (Heidenreich) sorgten. Heute wächst der persönliche Mitteilungsdrang zwar stetig an, zeigt sich aber stilistisch gezähmt: Neuerdings greifen Stars und Sternchen fürs Biografische gern auf renommierte Schriftsteller zurück wie den ehemaligen P.E.N.-Präsidenten Heidenreich oder Burkhard Spinnen, der zuletzt eine Biografie des Laupheimer Unternehmers Walter Lindenmaier vorlegte. Am lobhudelnden Tonfall des Marktsegments »Mein Leben« hat das gleichwohl wenig geändert. Zu groß ist offenbar die Sehnsucht nach Siegern in einer Zeit, die ansonsten wenig siegreiches zu bieten hat.

Gleiches stereotypes Schema

Entsprechend selten kommt man auch in den literarisch höherwertigen Promi-Biografien auf Charakterschwächen oder sogar Kritik am Gegenstand zu sprechen. »Ich« – ein anderer? Von wegen! Rimbauds Motto erfährt im boomenden Genre »Biografie« heute geradezu seine Umkehrung: »Ich« ist hier nämlich eben gerade nicht anders, sondern folgt demselben, letztlich immergleichen kollektiven Heldenbild. Da mögen die Titel noch so oft trotzig den ganz eigenen »Weg« beschwören: tatsächlich sind aktuelle Biografien bevorzugt nach jenem stereotypen Schema gestrickt, mit dem auch schon Hofschreiber des Mittelalters einst laue Herrscherleben zu glorreichen Heiligenviten aufpeppten. Es ist das bewährte Schema des geschmähten Genies, wonach der Porträtierte am Anfang stets klein und verkannt ist, um dank eines eisernen Willens später umso strahlender aufsteigen zu können. Die Kindheit verläuft folglich in der Regel hart wie bei Jan Ullrich, wo es heißt: »Ich war sechs, als mein Vater mich einmal richtig verprügelte«. Bei Boris Becker heißt es mit frühreifem Ehrgeiz: »Ich war drei oder vier Jahre alt, als ich mir aus dem Kofferraum des Autos einen Tennisschläger geholt und Bälle gegen die Wand geschlagen habe, stundenlang.« Uschi Glas litt erfolgreich, wenn sie wegen ihres dunklen Teints verspottet wurde: »Es war schlimm, wenn meine Mitschüler mir ›Negerlein, Negerlein‹ hinterher riefen. Das war eine schmerzliche Erfahrung für mich, aber heute denke ich, dass es mich stärker gemacht hat.«

Und es geht weiter...

Ein Ende solch’ literarischer Selbstbeweihräucherung ist bislang nicht in Sicht. Für das Frühjahr haben Nena und Franziska van Almsick schon neue Biografien angekündigt. Während die Sängerin ihr Leben unter dem syntaktisch irritierenden Titel »Ich bin« bei Lübbe herausbringen wird, sucht die Schwimmerin noch nach einer passenden Überschrift. Wie wär’s mit: »Kopfsprung. Mein langer Kraulgang zu mir selbst«?