Poesie statt krasse Keule

Einst waren sie die Schrecken der Europäer: die rauflustigen und seetüchtigen Wikinger. Deren Nachfahren halten uns immer noch auf Trapp, mit großartig erzählten Geschichten im Kino oder Fernsehen — und im Gegenwartstheater.

 

Gern und oft geht es extrem zur Sache. Vegard Vinge attestierte der Boulevard vor zwei Jahren »Berlins perversestes Theaterstück« zu verantworten, er malte im Prater mit einem Pinsel im Hintern und hinterließ Kothäufchen auf Zuschauertribünen. Signa Koestler inszeniert mit ihrem Mann in einer Art Sektenkollektiv mit Laien Gruppendynamiken derart verstörend, dass man, wie in Köln, noch Jahre später nicht an der Herkulesstraße vorbeikommt, ohne dass einen das Unbehagen wieder packt. Sie spielten dort in der ehemaligen KFZ-Zulassungsstelle die »Hundsprozesse« nach Kafka.

 

Doch Theaterkünstler aus Skandinavien sind weit mehr als nur irgendwie krass. Sie können auch tief in den Niederungen des Seins graben, um diese poetisch raffiniert zu präsentieren. Das zeigt auch die Auswahl der studiobühneköln, die dieses Jahr zum Festival »Theaterszene Europa« vom 23. bis 30. Mai freie Ensembles aus Schweden eingeladen hat. »White on White« nennen z.B. die Malmöer Iggy Malmborg und Johannes Schmitt sowohl ihre künstlerische Beziehung als auch ihre lebenslange Performance-Serie »#6 — Queer Sells«. Die beiden untersuchen fortlaufend Strategien straighter, weißer Männer, ihren Status als Gewinner zu erhalten. Ihre Erkennt-nis für 2015: Der Underdog von gestern ist der Mainstream von heute.

 

Schlichtweg atemberaubend wird es in »Rosa Brus«, wenn die Tanz- und Zirkusperformer Moa Lichtenstein und Jonatan Krogh aus Stockholm Einblicke in den Versuch zweier junger Menschen geben, zueinander zu finden. Das »Highlight«, Nomen est Omen, kommt vom »Kollektiv Phantomschmerz«: zwei Menschen, keine Requisiten, kein Bühnenbild. Er ist voll mit Wissen angehäufter Leere; sie ausgebrannt auf der Suche nach dem Echten. Das Paar macht uns zu Zeugen der Kommunikationsorgie »Ich bin, was du in mir siehst«. Aktueller kann Theater in Zeiten der Selbstoptimierung kaum sein.