Flechtfrisuren und Folklore

Das Nö-Theater überrascht mit einer klassischen Adaption von »Das Haus der Wassa Schelenowa«

Das nö-theater hat sich in den letzten Jahren mit seinen aufwändigen Polit-Recherche-Stücken einen Namen gemacht. Ein regelrechter Hit war »V wie Verfassungsschutz«, zuletzt bereiteten sie nichts Geringeres als den G7-Gipfel im kommenden Juni vor. 

 

Ihr neues Projekt »Das Haus der Wassa Schelenowa« nach Maxim Gorki scheint also erstmal zu passen. Trifft doch hier großbürgerliche Gesinnung auf revolutionäres Gedankengut. Schon das Bühnenbild deutet an, was in den nächsten neunzig Minuten auf uns zukommt: eine klassische Adaption des Stoffs. Die Mitte der Bühne nimmt ein großer ovaler Esstisch ein, über dem ein goldener Kronleuchter baumelt. Verschiedene Zimmer der Familienmitglieder sind durch Möbel wie Sekretär, Chaiselongue, Ohrensessel und einen Schachtisch angedeutet, ein typisches Bild für die alte russische Bourgeoisie.

 

Wassa Schelesnowa führt ihr Regime streng. Ihr Mann ist ein Säufer, der wegen Kindesmissbrauchs angeklagt ist. Eine Schan--de für die Familie und das Familien-unternehmen, einer erfolg-reichen Wolga-Reederei. Kompromisslos wie konsequent bringt Wassa ihren Mann mit Gift um die Ecke. Die Familie, dieses Heiligtum der Großbürgerlichen, ist erlöst von der Schmach, die ein öffentlicher Prozess mit sich gebracht hätte. Die Witwe ist nun die Patriarchin. Als dann Rachel, Schwiegertochter und Revolutionärin, den Haushalt besucht, um ihren Sohn Kolja zu sich zu holen, gerät das Machtgefüge wieder ins Wanken.

 

Janosch Roloff bleibt dicht an der Textvorlage und stellt die Figuren aus — psychologisierendes Schauspielertheater. Die teils hölzerne Spielweise der Hauptdarsteller wird durch spielfreudige Nebendarsteller wie etwa Roloff selbst als Hauslehrer Eugen -Melnikow oder Mona Mucke als jüngste Tochter Ludmila Schelesnowa aufgelockert. Es gibt vieles, was für einen kurzweiligen Theaterabend sorgt: das Einfrieren von Szenen, was eine angenehme Langsamkeit erzeugt oder die Gleichzeitigkeiten, als sich ihre treue Tochter Anna Oschenkowa im Bühnenhintergrund aufregenden erotischen Sado-Maso-Spielen mit einem Seemann hingibt, während Wassa im Vordergrund versucht, das Unternehmen und ihre Idee von Familie zu retten. »Das Haus der Wassa Schelesnowa« wirkt eher wie eine Fingerübung von Roloff. Es unterhält. Gut. Aber warum jetzt Stadtheater en miniature? Man vermisst den mutigen und gesellschaftskritischen Ansatz, der die Arbeiten des nö-theaters bislang ausgezeichnet hat.