Die Vetomacht der Kunst

 

Petrit Halilaj rührt mit zwei Ausstellungen an Ereignisse der Historie

und das Innere des Betrachters

 

Die Überraschung saß: Als die Kuratorin und frühere Leiterin des Kölnischen Kunstvereins Kathrin Rhomberg ihre Berlin-Biennale 2010 unter das Motto »Was draußen wartet« stellte, vergab sie den zentralen Ort des Ausstellungsparcours in den KunstWerken an einen radikalen Newcomer. Wer kannte denn schon den damals erst 24 jährigen kosovarischen Künstler Petrit Halilaj? Mit der überwältigen-den Installation aus den Holzverschalungen eines zur selben Zeit im Dorf seiner Eltern errichteten Hauses, als Ersatz für ihr im Krieg niedergebranntes Domizil, wurde der Künstler den Anforderungen mehr als gerecht. Seitdem rechtfertigt er durch beeindruckende Ausstellungsbeiträge in wichtigen Institutionen das Label »Ausnahmetalent«. 

 

Petrit Halilaj vertrat als erster Künstler seines Landes 2013 Kosovo auf der Biennale in Venedig, mit einer mysteriös poetischen, nest- und höhlenartige Installation, bei der subjektives Erleben mit gesellschaftlichen Denkmustern und Konventionen verknüpft erscheint. Wie in nahezu allen bisherigen Arbeiten des Künstlers bilden auch hier Kindheit und traumatische Erfahrungen von Flucht und Vertreibung der Familie während des Kosovokrieges 1989/99 die Folie, vor der die Konzeptionen seiner Werke entstehen.

 

»Viele meiner Arbeiten haben mit der Recherche und der Wiederentdeckung von etwas Verlorenem zu tun«, erläutert der Künstler beim Besuch in einer Kölner Werkstatt, wo er seine Einzelausstellung im Kölnischen Kunstverein vorbereitet. So kreist die Ausstellung um die ehemalige Grundschule im Dorf Runik, wo Halilaj bis zum Ausbruch des Krieges die Schulbank drückte. Eben diese Schulbänke mäandern bald durch die Räume des Kunstvereins, bilden den Ausgangspunkt für zahlreiche Metall-skulpturen, die den Ausstellungsraum füllen. Nicht den Kaugummiresten auf den Unterseiten, sondern den Kritzeleien auf den Tischplatten widmet der Künstler seine Aufmerksamkeit. 

 

Vor vier Jahren suchte er die Schule erstmals wieder auf — wie sich herausstellte, begann am Tag darauf der Abriss. In einem Film dokumen-tierte Halilaj seinen Besuch und rettete Tische und Bänke gerade rechtzeitig, bevor ehemalige Schüler den Ort in ein Trümmerfeld ver-wandelten. In einer kleinen Metallwerkstatt in einem Ehrenfelder Hinterhof formt nun eine Hand-voll Helfer gemeinsam mit Halilaj die aufgefundenen Kritzeleien und Einritzungen in großformatige Draht- und Stahlskulpturen akribisch nach. Aus dem Akt der Zerstörung entstand für die Kölner Ausstellung mit diesen Zeichnungen im Raum, ihren Motiven einer jugendlichen Populärkultur mit Verweisen auf die eigene Historie, et-was allgemeingültig Neues. Als Tapete breitet Halilaj im Obergeschoss seine erste ABC-Fibel aus, in der albanischen Landessprache »Abetare« — so auch der Titel der Ausstellung.

 

In der Bonner Bundeskunsthalle ist zeitgleich unter dem Titel »She, fully turning around, became terrestrial« eine Werkgruppe aus 2013 zu sehen, die sich dem aufgelösten Naturkundemuseum in Pristina widmet. Der Bestand an präparierten, ausgestopften Tieren wurde unmittelbar nach dem Krieg unsachgemäß eingelagert und dem Blick der Öffentlichkeit entzogen, da die Räume einer ethnologischen Schausammlung Platz machen sollten. Halilaj entdeckte die versteckten Kisten und ließ sie vor laufender Kamera öffnen. Die vernachlässigten Präparate waren jedoch verrottet und nicht mehr zu retten. Die Tiere, die sozusagen einen zweiten Tod erfahren hatten, formte Halilaj aus einem Gemisch aus Erde, Stroh und Dung nach und platzierte sie auf kostbaren Messinggestängen. Als eine Art Karneval der verlorenen Seelen bevölkern sie zusammen mit den ruinösen Vitrinen die Ausstellungshalle und erfahren eine respektvolle Auferstehung.

 

In beiden Ausstellungen manifestiert sich eine universal verhandelbare Subjektivität. Durch ihre Bezogenheit auf spezifische gesellschaftliche Kontexte adressieren Halilajs Werke immer auch die sozial heterogene Zusammensetzung seines Publikums. Die Erfahrung seiner Kunst öffnet die Betrachter für sich selbst, gleichzeitig bietet sie die Möglichkeit, unseren endlichen Welten in den Spiegelungen und Brechungen der Kunst anders zu begegnen.

 

Noch anzumerken, dass die Verbindung Köln-Bonn unbedingt zu unseren endlichen Welten gerechnet werden darf und ein Abgleich der Ausstellungsorte in jedem Fall lohnt.