Beerenhunger

Jetzt sind sie wieder in aller Munde: Im Juni haben Erdbeeren hierzulande Hochkonjunktur. Kaum ein anderes Saisonprodukt wird so sehnsüchtig erwartet, von Spargel vielleicht einmal abgesehen. Kein Wunder — die süßen Früchte schmecken nach warmen Frühlingstagen und dem Versprechen, dass auch auf den längsten Winter irgendwann wieder ein Sommer folgt. Auf den Wochenmärkten und an kleinen mobilen Verkaufsständen wird ein prall gefülltes Schälchen nach dem anderen über die Auslage gereicht.

 

Die strikte Einhaltung der Saison scheint dabei für einige eine geradezu religiöse Ange-legenheit zu sein. Wer bereits im Mai den ersten Angeboten nicht mehr widerstehen kann, muss damit rechnen, ungefragt von Dritten gerügt zu werden: »Die han doch noch jar nit Säsong!« Ob man wirklich Früchte kaufen sollte, die unter einem Folientunnel vor den Unbilden des Wetters geschützt werden mussten, sei einmal dahingestellt. Verwunderlich ist es dennoch, mit welch selbstgerechter Empörung sich bisweilen gerade diejenigen zu Rettern der Saison-Erdbeere aufschwingen, die selbst ganzjährig kenianische Kaiserschoten kaufen. 

 

Doch ganz gleich ob verhätscheltes Folienfrühchen oder saftige Juli-Erdbeere — leider endet nicht selten auch das aromatischste Obst auf einem Fertigtortenboden, dessen Retortengeschmack alles andere übertüncht. Überhaupt ist der natürliche Fruchtgeschmack inzwischen in der Wahrnehmung vieler Verbraucher von künstlichen Aromen verdrängt worden, wie sie etwa einem Fruchtjoghurt zugesetzt werden. Als solcher gilt übrigens ein Milchprodukt mit mindestens sechs Prozent Fruchtanteil. Das entspricht bei einem handelsüblichen Joghurtbecher nicht einmal einer ganzen Erdbeere. 

 

Dabei schmecken die süßen Früchte pur oder mit einem Klacks Sahne einfach am besten. Das wissen nicht nur die vornehmen Besucher des tradi-tionsreichen Tennisturniers in Wimbledon, sondern auch die Amseln, die sich an meiner kleinen Balkonplantage bedienen.