»Angeregt und kritisch«: Sebastian Spicker und Agnes Kamerichs | Foto: Manfred Wegener

Das Rauswurf-Examen

Mehreren Tausend Lehramts­studenten an der Uni Köln droht die Exmatrikulation

Eine Harmonisierung sorgt für ­Probleme. Vor rund fünfzehn Jahren beschlossen die europäischen Bildungsminister im italienischen Bologna das Bachelor-Master-­System. Für die Kölner Uni heißt dies, dass nicht nur die Magister- und Diplomstudiengänge aus­laufen, sondern auch die Lehramtsstudiengänge mit Abschluss Staatsexamen. 2011 konnte man sich das letzte Mal dort ein­schreiben, zeitgleich wurden von der damaligen NRW-Landesregierung Auslauf­fristen festgelegt: Wer im Oktober 2016 oder 2017 — je nach Lehramtsordnung — sein ­Studium nicht abgeschlossen hat, fliegt raus. Die einzige Alternative ist ein Wechsel ins ungleichwertige Bachelorstudium. Allein an der Kölner Universität bangen deshalb von derzeit noch 6.200 ein­ge­schriebenen Lehramtsstudie­ren­den rund 4200 um ihren Abschluss.

 

Mit der bundesweiten Unterschriftenkampagne »Keine Zwangs­exmatrikulation — Für ein ange­regtes und kritisches Studium« wollen betroffene Studierende jetzt das Schlimmste verhindern. Gleichzeitig schickten Studierendenvertreter einen Offenen Brief an die Schul- und Wissenschaftsministerien von Nordrhein-West­falen. Die Hochschule solle durch eine Aufhebung der Fristen zu einem »Ort des produktiven Austauschs« sowie »der umfassenden und kritischen Bildung mündiger Persönlichkeiten« werden, fordern sie darin.

 

Eine erste Reaktion fiel so aus, wie man das an einer Uni erwartet: Es gab eine Podiumsdiskussion. Am 12. Mai trafen sich Studierendenvertreter mit Verantwortlichen aus Universität und Politik. Podiumsteilnehmer Ali Bas (Grüne), Mitglied des Schulausschusses im Lantag NRW, äußerte sich bereits im Vorfeld kritisch über die vergleichsweise strikten Auslaufregelungen: »CDU und FDP haben sich zu ihrer Regierungszeit damit gebrüstet, ›schlanke‹ Gesetze zu formulieren. Schlank wurden sie, weil soziale Belange gerne mal ignoriert wurden«.

 

Auch Agnes Kamerichs und Sebastian Spicker, Mitorganisatoren der Studierenden-Petition, meinen, die Fristen seien »sozial selektiv und bedeuten das Gegenteil der sozialen Öffnung des Bildungssystems«. Man habe die menschliche Seite der Betroffenen vergessen. Studierende, die aufgrund von Kinderbetreuung, der Pflege Angehöriger, chronischer Krankheiten oder Lohnarbeit nicht in Vollzeit studieren können, würden durch knapp bemessene Fristen und fehlende Härtefallregelungen »systematisch benachteiligt«.

 

Rückendeckung erhalten die Kölner Studierenden dabei von der Uni selbst. Stefan Herzig, Prorektor für Lehre und Studium, sagt: »Nach meinem persönlichen Votum wäre es hochgradig vernünftig, die Fristen zumindest maßvoll zu verlängern, weil die Lehramtsausbildung ein hochkomplizierter Umstellungsprozess ist, der weit über die Universität hinauswirkt«.Für die meisten Lehramtsstudierenden sei ein Wechsel aufgrund des immensen Mehraufwands etwa für Bachelorarbeit und Praxissemester ausgeschlossen. Zudem garantiere dies weder die Bachelorzulassung für höhere Fachsemester noch einen Masterplatz. Eine Fristenverlängerung würde zumindest dem Großteil der betroffenen Studierenden einen Abschluss nach alter Ordnung ermöglichen, so Herzig.

 

Aus dem NRW-Schulministerium heißt es derweil, dass eine Modifikation der Fristen geprüft werde. Auch Herzig, der bereits dazu ins Wissenschaftsministerium eingeladen wurde, sagt: »Ich nehme zumindest eine grundsätzliche Bereitschaft seitens des Ministeriums wahr, darüber nachzudenken«. Prognosen seien schwierig, da durch mögliche Doppelstrukturen zum Beispiel zusätzliche Kosten anfallen. Deswegen müsse man weitere Entscheidungs­träger wie das Finanzministerium einbeziehen. Aus dem Schulministerium hieß es daher: »Eine generelle Aufhebung der Auslauffristen ist nicht möglich«. Dies sei »fachlich und wirtschaftlich nicht zu verantworten«.

 

Die Studierenden wollen die Fristen jedoch komplett abgeschafft sehen. Sie kritisieren den Zeitdruck bei gleichzeitiger Überlastung der Studiengänge, zu wenig persönliche Entfaltung und Versagensängste — Probleme, die an die Diskussion um die Bologna-Reform vor rund fünfzehn erinnern. »Wenn die Fristen nur verlängert werden, sind die Probleme nicht gelöst, sondern nur verschoben«, sagen Agnes Kamerichs und ­Sebastian Spicker.

 


Die Unterschriftenkampagne und weitere Infos auf fristen-kippen.de