Demnächst auch in Köln: Ein Flüchtling wird in Bremen behandelt | Foto: AOK

Die Drei-Klassen-Medizin

Stadt und Land wollen eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge —

aber mit ­Einschränkungen

Wenn eine Asylsuchende in Köln zum Arzt geht, dann fällt sie auf. Dafür muss sie nicht mal anders aussehen als andere Patienten. Es ist ein Dokument, durch das sie sich unterscheidet: Flüchtlinge legen keine Versichertenkarte vor, sondern einen Krankenschein. Das Papier ist eine Art Behandlungsgutschein und kommt vom Sozialamt der Stadt Köln. Den Schein erhält der behandelnde Arzt, hinterher zahlt die Behörde gegen Vorlage die Arztrechnung. Doch die NRW-Landesregierung will das komplizierte System reformieren. Stadt und Land verhandeln mit den Krankenkassen gerade über eine Versichertenkarte für Asylsuchende.

 

»Dass derzeit noch jeder Flüchtling erst einen Antrag bei der Kommune stellen muss, bevor er zum Arzt gehen darf, gehört abgeschafft«, fordert NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) auf StadtRevue-Anfrage. Auch die Ärztekammer Nordrhein hat sich Ende März für die Einführung einer Kassenkarte für Flüchtlinge ausgesprochen. Die Begründung: Für niedergelassene Mediziner ist es ein hoher Aufwand, jede Behandlung über einen Krankenschein abzurechnen.

 

Momentan sind es noch Sozialhilfe-Sachbearbeiter,
die über medizinische ­Behandlungen entwcheiden

 

Dabei macht das Kölner Sozialamt es Asylbewerbern zumindest etwas leichter als viele kleinere Gemeinden und verschickt einmal pro Quartal Krankenscheine auf Vorrat. Damit können die Flüchtlinge zumindest ohne weitere Rücksprache einen Arzt aufsuchen. Die Dokumente helfen ihnen aber nur bei akuten Krankheiten weiter — falls eine aufwendigere Behandlung nötig ist, müssen Sozialhilfe-Sachbearbeiter entscheiden, ob sie den Fall dem Gesundheitsamt vorlegen. Das Gesundheitsamt gibt dann mit oder ohne Rücksprache beim Arzt eine Empfehlung ab. Am Ende entscheidet der Sachbearbeiter im Sozialamt, ob die Stadt die Kosten übernimmt.

 

Nicht nur die Verwaltung, auch zahlreiche Verbände wollen das System umkrempeln. Ihr Vorwurf: Es könne nicht sein, dass Verwaltungsangestellte über medizinische Behandlungen entscheiden. Ziel der Reform: Wenn ein Asylsuchender zum Arzt geht, soll er künftig wie andere Versicherte auch eine Gesundheitskarte vorlegen. Dann übernimmt die Kasse die Kosten, das Geld holt sie sich später von der Stadt wieder zurück — zuzüglich einer Verwaltungspauschale. Für die Stadt hätte die Reform einen klaren Vorteil: Sie müsste sich nicht mehr um das Ausgabe der Krankenscheine kümmern und würde Personalkosten sparen. In Bremen und Hamburg ist die ärztliche Versorgung von Flüchtlingen bereits seit einigen Jahren so geregelt. Der Tagesspiegel berichtet, die Hamburger Stadtverwaltung spare dadurch jährlich 1,6 Millionen Euro.

 

Die Stadt Köln könnte auch alleine mit den Kassen verhandeln und versuchen, die Krankenkarte nur in Köln umsetzen. Carolin Herrmann, Leiterin der Abteilung für Senioren und Behinderte im Kölner Sozialamt, wünscht sich aber eine einheitliche Regelung für alle NRW-Kommunen, deshalb wartet die Verwaltung die Gespräche auf Landesebene ab. Die Verhandlungen dort fruchten anscheinend, einen ersten Entwurf gebe es bereits, so AOK-Sprecherin Ellen von Itter. Wann mit einem Ergebnis zu rechnen ist, sagt sie nicht.

 

Falls sich das Land NRW und die Kassen einigen, müsste der Rat der Stadt über die Umsetzung in Köln entscheiden. Die Ratsfraktionen sind sich allerdings nicht einig: Die CDU möchte nur dann für die Karte stimmen, wenn der Verwaltung dadurch nicht zusätzliche Kosten entstehen. Die Grünen fordern, dass künftig nicht nur die Behandlung akuter Krankheiten abgedeckt sein soll, sondern auch Psychotherapien, etwa für traumatisierte Kriegsflüchtlinge. Dafür müsste die Stadt allerdings wohl selbst aufkommen, bislang erhält Köln vom Land dafür keine Mittel. Die Landesregierung überweist der Stadt einen pauschalen Betrag für die medizinische Behandlung von Flüchtlingen.

 

Selbst wenn die Kassenkarte kommt, bleiben Flüchtlinge also ohnehin von manchen Leistungen ausgeschlossen. Das Asylbewerberleistungsgesetz sieht vor, dass sie medizinische Hilfe nur bei »akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen« erhalten. In der Praxis heißt das: Eine Grippeinfektion und ein Knochenbruch sind abgedeckt, die Behandlung chronischer Krankheiten unter Umständen nicht. Übernimmt ein Arzt bei einem Asylsuchenden trotzdem eine entsprechende Behandlung, dann bleibt er im Zweifel auf den Kosten sitzen.

 

»Die Gesundheitskarte ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber eigentlich sollten Flüchtlinge dieselben Ansprüche haben wie andere Versicherte auch«, sagt Claus-Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat. Asylsuchende sollen also nicht nur eine Krankenkassen-Karte erhalten, sondern auch ansonsten in die allgemeine gesetzliche Krankenversicherung aufgenommen werden — mit allen dazugehörigen Ansprüchen, etwa auf Psychotherapien und Vorsorge-untersuchungen.

 

Im Moment sieht es dafür nicht gut aus. Das Bundesver­fassungs­gericht hatte einzelne Abschnitte des Asylbewerber­leistungsgesetzes im Juli 2012 zwar für grundgesetzwidrig erklärt — dabei ging es aber vor allem um das Geld, dass Asylsuchende monatlich bekommen. Die novellierte Fassung trat zum März dieses Jahres in Kraft: Jener Paragraf, der die magere Gesundheitsvorsorge für Flüchtlinge regelt, blieb un­verändert.