»Warum eigentlich ist Arbeit in unserer Ge­sell­­schaft zum Syno­nym für Freiheit geworden?« – Laurie Penny im Gespräch mit der StadtRevue | Foto: Jon Cartwright/Verlag

Das Problem ist nicht der Sex, sondern die Arbeit

Mit ihrem Buch »Unsagbare Dinge« gilt Laurie Penny vielen als die Vorkämpferin eines neuen Feminismus. Im Interview spricht sie über Karriere-Feministinnen, Sexarbeit und darüber, warum der Feminis­­mus zu vielfältig ist, um nur ein Gesicht zu haben

Frau Penny, Ihr Buch heißt »Unsagbare Dinge«. Was sind diese Dinge und warum sind sie unsagbar?

 

Im Englischen hat »unsagbar« eine doppelte Bedeutung. Zum einen bezeichnet es Dinge, die geheim sind, zum anderen Dinge, die schrecklich, beschämend oder schmerzhaft sind. Ich habe das Buch »Unsagbare Dinge« genannt, weil genau die Dinge, die wir als Frauen und Queers verbergen und die wir nicht für politisch halten, die Dinge sind, von denen wir denken, dass wir uns für sie schämen müssten. Dazu gehört etwa, dass wir unzufrieden mit unserer Arbeit, unseren Liebesbeziehungen und unserem Leben sind. Oder dass wir Sorgen haben, nicht gut genug oder schön genug zu sein. Auch, dass wir keine guten Arbeiter und Arbeiterinnen sind, keine guten Ehefrauen oder Mütter. Darum und noch um viel mehr geht es in dem Buch.

 

Wie würden Sie den Feminismus, den Sie vertreten, beschreiben?

 

Sozialistisch, intersektional, internetfähig und vollgepumpt mit Koffein. Populär ist gerade ein Feminismus, der sich darum sorgt, wie Frauen Karriere machen und dies mit einem guten Familienleben verbinden können. Das sind natürlich wichtige Themen für jede Frau, aber für viele von uns ist doch das größere Problem, warum genau dies als das einzige Modell eines guten Lebens gelten soll. Warum ist Arbeit in unserer Gesellschaft zum Synonym für Freiheit geworden? Der Grund, warum wir uns so obsessiv mit der Balance von Beruf und Familie beschäftigen, ist doch, dass es für fast alle unmöglich ist, diese Balance zu erreichen. Uns wird nur eine Art sich zu emanzipieren vorgelebt, und diese ist erschöpfend und stressig für die Frauen, die sie leben können. Warum verlangen wir nicht mehr?

 

Was sind denn die Auswirkungen davon auf nicht-normative queere oder Trans-Lebensentwürfe?

 

Interessant, dass Sie alle diejenigen als »nicht-normativ« beschreiben, die keine straighten weißen Männer sind. Straighte weiße Männer sind doch nicht normativ, sie sind eine Minderheit! Genau deshalb ist es ja auch ein Problem, dass der Kapitalismus mit dem heterosexuellen weißen Mann als Rollenmodell entworfen wurde.

 

In der Vergangenheit hatten Feministen oft Probleme, mit der institutionalisierten Linken. Wie ist das heute?

 

Der neue feministische Populismus ist, zumindest teilweise, eine Reaktion auf den Verlust des Glaubens an den neoliberalen Kapitalismus nach der Finanzkrise 2008. Dazu kommt die explosionsartige Ausbreitung neuer Kommunikationstechnologien. Die gleichen Voraussetzungen haben auch zu einer neuen Energie in der globalen Linken geführt. Leider sind viele Männer innerhalb der Linken der Ansicht, dass Feminismus nicht wichtig sei. Ihnen wäre es lieber, wenn Feministen bis nach der Revolution warten würden, um ihre Themen in den Vordergrund zu rücken. Ich bin da anderer Ansicht. Ich finde, dass Feminismus eine zutiefst ökonomische Bewegung ist und Sozialismus und Feminismus Hand in Hand gehen sollten.

 

Sie sind eine große Verfechterin der Legalisierung von Sexarbeit. Warum?

 

Ich habe das Thema recherchiert und meiner Meinung nach ist das Problem mit Sexarbeit nicht der Sex, sondern die Arbeit. Sexarbeiterinnen sollten nicht kriminalisiert werden, weil sie einen Job ausüben, der ohnehin schon gefährlich ist. Wir sollten es als legitime Arbeit betrachten und uns für Arbeitsschutz und Arbeitsrechte einsetzen. Nur so können Sexarbeiterinnen die Freiheiten bekommen, die sie verdienen und dringend nötig haben.

 

In Deutschland gab es darüber eine heftige Debatte. Viele Feministinnen wollten die Sexarbeit wie im schwedischen Modell verbieten, um illegalen Menschenhandel einzudämmen. Ihre Gegner waren hier zumeist Sexarbeiterinnen, die im BDSM-Bereich oder in anderen gut bezahlten Zweigen der Sexarbeit gearbeitet haben, also nicht zwangsläufig repräsentativ sind.

 

Wenn ich sage, dass Sexarbeit auch Arbeit ist, dann heißt das ja nicht, dass sie dadurch gutartig wird. Im Gegenteil, Arbeit ist eine Form der Unterdrückung und diese Unterdrückung sollte nicht noch verschlimmert werden, indem Sexarbeiterinnen Gefängnis oder Polizeigewalt droht. Aber es stimmt nicht, dass alle Gegner des schwedischen Modells »gut bezahlte« Sexarbeiterinnen sind. Ich habe mit vielen Sexarbeiterinnen in vielen Zweigen des Gewerbes gesprochen, die sich für eine Legalisierung aussprechen. Ich denke, den Opfern des Menschenhandels hilft es nicht weiter, wenn ihre Probleme mit dem Thema Sexarbeit vermischt werden — besonders wenn Einwanderungsbehörden Menschen drangsalieren und verhaften, die eh schon verwundbar und gefährdet sind. Viele Verfechterinnen des schwedischen Modells wollen nur das Beste für Frauen und ich kooperiere ansonsten gerne mit ihnen. Aber in diesem Punkt sind wir halt nicht einer Meinung. Letztlich will ich aber lieber das Patriarchat bekämpfen anstatt andere Feministinnen.

 

Sie haben als Bloggerin begonnen und sind häufig auf Twitter aktiv. Wie gehen Sie mit dem Frauenhass im Netz um? Glauben Sie, dass die Art, wie digitale Netzwerke konstruiert sind, diesen Frauenhass begünstigt?

 

Ein Grund, warum Frauen im Allgemeinen und Feministinnen im Spe­ziellen im Internet belästigt werden, ist, dass unsere Wirkung beängstigend für viele Menschen geworden ist. In gewisser Weise ist das ein gutes Zeichen, auch wenn man sich nicht gut fühlt, wenn man mit dem Tod bedroht wird. Aber es geht dabei nicht nur um die Online-Anonymität, auch wenn diese es vielen Menschen leichter macht, Dinge zu sagen, die sie niemals auf der Straße sagen würden. Sondern es geht darum, dass Menschen Frauen verletzen, bedrohen und einschüchtern, sie aus der Öffentlichkeit vertreiben und ihnen Angst davor machen, sich zu engagieren. Diese Art von Frauenhass ist viel älter als das Internet.

 

Wie gut kann man den feministischen Netz-Aktivismus auf den übrigen feministischen Aktivismus übertragen?

 

Das Internet ermöglicht, dass sich Feministinnen jeden Alters und mit unterschiedlichem Background finden, voneinander lernen, aktiv werden und so Veränderungen herbeiführen. Es senkt die Eintrittsschwelle für den Aktivismus. So einfach ist das. Es ist wichtig, dass wir verstehen, dass feministischer Aktivismus auch ein Kulturkampf ist. Der Kampf dagegen, wie eine Gesellschaft Frauen und Männer aufgrund ihres Geschlechts behandelt, ist nicht nur eine Frage von Gesetzesänderungen, sondern eine Frage neuer Normen. Und genau dafür ist das Internet besonders nützlich. Wir haben zum Beispiel große Veränderungen im Sprechen über Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe erlebt, und das hat dann wieder einen Backlash hervorgerufen.

 

Sie sind eine der wenigen Feministinnen, die regelmäßig in den großen Medien auftauchen. Haben Sie das Gefühl, dass Sie dort immer wieder feministische Basics erklären müssen?

 

Glücklicherweise ist Feminismus für viele Menschen wieder ein Thema. Also muss ich nicht immer wieder die Grundlagen des Feminismus erklären, oder klarstellen, dass ich Männer nicht hasse. Aber klar, wenn man eine gewisse Position in den Medien erreicht hat, riskiert man, dass man den Kontakt zur Basis verliert. Social Media macht es mir leichter, mit Aktivistinnen in Kontakt zu bleiben, neue Netzwerke aufzubauen und zu verstehen, was gerade in der Welt vor sich geht. Und mir hilft auch, dass viele meiner besten Freunde Aktivisten sind. Schwieriger ist es, wenn man zu einer Art Repräsentantin für den Feminismus gemacht wird. So etwas kann es nicht geben. Feminismus ist zu vielfältig und zu groß dafür. Egal ob in Zeitungen oder bei einem Treffen von Aktivistinnen — Feminismus sollte sich nicht darum drehen, wer die beste Feministin ist.