Kein Ende in Sicht: heftig diskutiertes Großmarktgelände in Marsdorf | Foto: Manfred Wegener

Private Vorlieben

Schon 2020 soll der Großmarkt vom Kölner Süden nach Marsdorf verlegt werden. Die Stadt bevorzugt ein umstrittenes PPP-Modell, die Politik fühlt sich übergangen

 

Lange Zeit war noch viel Zeit. Doch jetzt muss alles ganz schnell gehen. Bereits 2007 hatte der Rat der Stadt beschlossen, den Großmarkt in Raderthal bis 2020 nach Marsdorf zu verlagern. Dort soll ein modernes »Frischezentrum« gebaut werden, um Wochenmärkten und unabhängigen Einzelhändlern, um Restaurants und Kantinen Lebensmitteln anbieten zu können.

 

Dass das in den nächsten fünf Jahren noch zu schaffen ist, glauben immer weniger Politiker. OB Jürgen Roters (SPD) und seine Wirtschafts­dezernentin Ute Berg (SPD) aber mahnen zur Eile. Die Politik sieht sich unter Zeitdruck gesetzt. »Jetzt haben wir die Arschkarte, wenn’s nicht klappt«, empört sich ein Rats­mitglied. Politiker quer durch alle Fraktionen kritisieren, dass sie keine ausreichenden Informationen erhalten haben, um verantwortungs­voll zu entscheiden, wie das neue Frischezentrum überhaupt geplant, gebaut, finanziert und schließlich betrieben werden soll.

 

Diese Informationen sollte eigentlich eine »betriebswirtschaft­liche Machbarkeitsstudie« liefern, die nun vorliegt. Doch sowohl Bau-, Wirtschafts-, Liegenschafts- als auch der Ausschuss für Stadtentwicklung halten diese Studie für unzureichend. Darin empfehlen die Gutachter die Beteiligung eines privatwirtschaftlichen Unternehmens als günstigste Variante. Zwar wird mit solchen Public-private-Partnerships (PPP) oft zügig gebaut, aber die Städte verzichten dabei weitgehend auf ihren Einfluss. Das sehen die meisten Politiker als ein Problem an. Ein Großmarkt oder ein Frischezentrum gehöre zur kommunalen Daseinsvorsorge, sagen sie. So wie öffentlicher Nahverkehr, Müllabfuhr oder die Versorgung mit Energie und Wasser.

 

Auch dass PPP-Modelle wesent­lich billiger seien, als wenn die Stadt selbst plane und baue, ist widerlegt. Eine Auswertung von PPP beim Bau oder Sanierung von Schulen hat das gezeigt: Statt der versprochenen 20 Prozent waren die Maßnahmen nur 2,5 bis 8 Prozent günstiger.

 

Beim PPP-Modell, das die Gutachter für den Frischemarkt vorschlagen, müsste die Stadt zudem jährlich schätzungsweise drei Millionen Euro zusätzlich zahlen, um den Bau zu finanzieren. Aber selbst in dieser Rechnung liegen die Mieten für die Händler im Vergleich zu anderen Städten bereits »im oberen Bereich«, wie die Verwaltung zugibt. Riskiert man also Leerstände?

 

Obwohl PPP-Modelle seit ­vielen Jahren in der Kritik stehen, hatte Wirtschaftsdezernentin Ute Berg ausgerechnet ein Beratungsunternehmen mit der Studie betraut, dessen erklärtes Ziel es ist, öffentlich-private Partnerschaften zu fördern. Offensichtlich wollte die Verwaltung ein PPP-Projekt, weil sie selbst mit der Umsiedlung des Großmarkts überfordert ist. Einiges deutet darauf hin, dass die Studie innerhalb der Verwaltung umstritten ist. So hielt Berg das Papier ein halbes Jahr zurück, ehe sie die Ergebnisse Ende April und Anfang Mai in den Ratsausschüssen vorstellte.

 

Auch die Händler und Gewerbetreibenden am Großmarkt üben Kritik. Aus den Reihen der IG Kölner Großmarkt heißt es, die Gutachter hätten bloß zweimal mit ihnen gesprochen. »Nur einmal war der Projektverantwortliche der Studie dabei«, sagt ein IG-Mitglied, das nicht genannt werden will. Was die Händler benötigten, sei nicht abgefragt worden. All das bestätigt den Eindruck, dass die Verwaltung mit einem umstrittenen Modell versucht, den Zeitplan noch zu halten. Die Politik steht nun vor einer schwierigen ­Entscheidung.

 

Für Michael Weisenstein (Linke), Mitglied im Ausschuss für Stadtentwicklung, kommt PPP grundsätzlich nicht in Frage. »Die Stadt muss ihren Einfluss erhalten«, sagt er. Das Kölner Marktamt könnte in eine GmbH mit städtischer Mehrheitsbeteiligung umgewandelt werden, so wie die Abfallwirschaftsbetriebe (AWB). Warum man sich von Privaten abhängig mache, obwohl es derzeitig ­niedrige Kredite gebe, sei nicht zu ­verstehen.

 

Zunächst einmal benötige man viel mehr Informationen, erklärt Jörg Frank, Fraktionsgeschäfts­führer und wirtschafts­politischer Sprecher der Grünen. Es lägen ja noch nicht einmal Wirtschafts­daten zum derzeitigen Großmarkt vor. Außerdem leuchten Frank die Rechenbeispiele der Gutachter nicht ein. Frank lehnt PPP nicht von vorn herein ab, aber er kritisiert Wirtschaftsdezernentin Ute Berg, weil »dieses Gutachten keine Grund­lage für eine solide Ent­scheidung darstellt.« Er will wissen, wie die anderen Großmärkte und Frische­märkte in Deutschland organisiert sind. Unter Zeitdruck will sich Frank nicht setzen lassen, denn den hätten die Wirtschaftsdezernentin und der Oberbürgermeister verursacht. »2020 kann jetzt nicht mehr die absolute ­Deadline sein«, sagt er und betont die Bedeutung eines Frischemarkts für die Angebotsvielfalt in der Stadt.

 

Besonders vertrackt ist die Debatte für die SPD. Die Partei steht PPP-Modellen sehr kritisch gegenüber, es gibt dazu einen Parteitagsbeschluss des Kölner SPD-Unterbezirks. Nun aber schlagen zwei Sozialdemokraten — Wirtschaftsdezernentin und Oberbürgermeister — PPP für den Frischemarkt vor. »Wir haben uns noch nicht entschieden, es ist eine komplexe Angelegenheit«, sagt Michael Frenzel (SPD). Der stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Stadtentwicklung hält die Studie für offensichtlich »nicht besonders kritisch gegenüber PPP«. Auch er möchte zunächst die aktuellen Wirtschaftsdaten des Großmarkts betrachten.

 

In ihrer Partei berate man noch, erklärt Birgit Gordes (CDU), Vorsitzende des Stadtentwicklungsausschusses. Sie selbst lehne PPP ab, aber es gebe auch andere Stimmen. Gordes ärgert, dass die Verwaltung so lange untätig gewesen sei: »Jetzt soll gar keine Zeit mehr sein, sich intensiv mit der Problemstellung auseinanderzusetzen.« Gordes kritisiert auch, dass die Verwaltung keine Abstimmung mit den umliegenden Kommunen wie Hürth und Frechen angestrebt habe. Dort will man den Frischemarkt in Marsdorf gegebenenfalls juristisch verhindern, in Frechen fürchtet man gar einen »Verkehrsinfarkt«.

 

Aus den gleichen Gründen protestiert die Bezirksvertretung Lindenthal. Bezirksbürgermeisterin Helga Blömer-Frerker (CDU) führt seit vielen Jahren ein schwarz-grünes Bündnis, das den Frischemarkt lieber woanders sähe — genau so, wie alle anderen Parteien in Lindenthal. 

 

Dass nun erneut eine breite Debatte aufkommen könnte, ob es nicht bessere Orte für einen Frischemarkt in der Stadt gebe, wollen SPD und Grüne im Rat vermeiden. Für die CDU könnte es ein Ansatzpunkt sein, um sich zu profilieren — obwohl die Entscheidung für den Standort Marsdorf bereits 2007 im Rat gefallen ist. Andere Standorte wie etwa in Volkhoven-Weiler im Norden der Stadt wurden damals fallengelassen. Die Belastungen durch den Verkehr und auch Auswirkungen auf die Umwelt wurden damals als nicht so wichtig angesehen wie die gute Erreichbarkeit und Versorgung mit Lebensmitteln.

 

In der vergangenen Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses haben SPD und Grüne eine Bürgerbeteiligung zur Ansiedlung des Frischemarkts in Marsdorf beschlossen. »Das soll auf keinen Fall eine Alibi-Veranstaltung werden«, betont Jörg van Geffen (SPD), Mitglied im Wirtschafts- und im Stadtentwicklungsausschuss. Allerdings stehe eine grundsätzliche Änderung des Standorts nicht zur Diskussion, heißt es bei SPD und Grünen. Ebenso wenig werde hier diskutiert, wie der Frischemarkt zu betreiben sei — ob als PPP oder in Eigenregie.

 

Dennoch werden alle diese Streitpunkte womöglich nun debat­tiert werden müssen — von Politikern wie von Bürgern. Ob die Entscheidung daher wie angekündigt in der Ratssitzung am 10. September fallen wird, ist fraglich. Am 13. September steht die Wahl eines neuen Oberbürgermeisters an. Zu einem solch umstrittenen Projekt wie dem Frischemarkt drei Tage vorher Stellung zu beziehen, wäre äußerst riskant für den Wahlkampf.