Watchdog – die Medienkolumne

Magersucht in der Mergelshow, Kontrollsucht beim Geheimdienst, Seriensucht auch am Sonntagabend

In aller Kürze: Auf GNTM könnten schwere Zeiten zukommen, denn die MABB lässt eine Studie des IZI durch die KJM prüfen. Dechiffriert heißt das, die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) lässt von der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) prüfen, ob Heidi Klums ­Casting-Show Germany’s Next Top­model (GNTM), jugendgefährdend ist. Das hatte nämlich eine Unter­suchung des Internationalen Zentralinstituts für Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI), behauptet. Demnach besteht ein Zusammenhang zwischen Heidi Klums Mergel-Show und Essstörungen sowie der beeinträchtigten Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen. »Sollte sich die Kommission für Jugendmedienschutz dieser Einschätzung anschließen, werden die entsprechenden medienrechtlichen Maßnahmen gegenüber ProSieben eingeleitet«, so eine MABB-Referentin. Seit Sendestart steht das Erfolgsformat in der Kritik, üble archaische Rollenbilder zu produzieren. Jede Folge wird von der Medienaufsicht mit großen Augen geschaut, bislang ohne Konsequenzen. Der aktuelle Anlauf geht auf den Verein Pinkstinks zurück, der auf seiner Homepage aus der — noch unveröffentlichten — Studie zitiert: In Klums Show sei es »das erstrebenswerte Ziel, die eigentlichen Wahrnehmungen, Gefühle und Bedürfnisse zurückzustellen, um sich perfekt an die Anforderungen und Normen anderer anzupassen.« GNTM, so Pinkstinks, vermittele Mädchen, »dass Macht nur über die größtmögliche Anpassung zu erreichen ist: Bis zum kompletten Verschwinden als meinungsstarker Mensch.« Der Verein fordert, die ­Sendung auf den Index der jugendgefährdenden Medien zu setzen. ProSieben indes gibt sich entspannt und verweist auf die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), die eine Freigabe für Kinder ab 6 ­Jahren erteilt hat.

 


Man macht keine Witze mit Namen. Außer beim Militärischen Abschirm­dienst, der sich MAD abkürzt und offenbar das Maskottchen des ehemaligen Satire-Magazin gleichen Namens Alfred E. Neumann als Galions­figur im Wappen führt. Anders lässt sich nicht erklären, dass sich der Geheimdienst vom Waffen-Konzern Heckler & Koch einspannen ließ, um Journalisten auszuspähen. Schon vor den ersten Artikeln über die heißlaufende Scheiß-Knarre G36 bat die Waffenschmiede vom Neckar den MAD, man möge bitte ausspionieren, woher taz, Stern oder Spiegel Informationen zu möglichen Verstößen gegen Waffen­exportgesetze hatten. Gerade hat der Kölner Zoll dem Unternehmen illegale Waffenexporte nach Mexiko vorgehalten. Auf diese guten Geschäfte möchte der MAD nicht verzichten, auf schlechte Presse hingegen gern. Dass sich ein privates Unternehmen dabei staat­licher Einrichtungen bedient, findet Bernd Ulrich, stellvertretender Chefredakteur der Zeit, deren Reporter ebenfalls ausgespäht werden sollten, »echt krank«. Wer so handele, so Ulrich, »soll sich ein anderes Land suchen, in dem so etwas toleriert wird.« Heckler & Koch reagiert geradezu rührend auf die bad news und lässt auf der Homepage begeisterte und zufriedene  — wie sagt man? — Kunden zu Wort kommen. So schreibt ein »Herr K.« zur umstrittenen Sturmflinte: »Ich möchte Ihnen meine Unterstützung aussprechen, denn als ehemaliger Angehöriger des Kommando Spezialkräfte kann ich nur die einwandfreie Zuver­lässigkeit des Sturmgewehrs G36 bestätigen.«

 


Hier klingt einer wie aus der Zeit gefallen: »Sonntagabend, 20.15 Uhr, ist bei Ihnen eine feste Zeit vor dem Fernseher. Davon habe ich gehört, kurios.« Der das sagt, lebte nicht im Wald oder kehrt nach 70-jähriger Kriegsgefangenschaft heim in eine deutsche Wohnstube. Der das sagt, kommt aus der Zukunft, das jedenfalls ist die feste Überzeugung von Reed Hastings, Gründer der Videoplattform Netflix. Hastings findet es auch kurios, dass man bewundert werde, wenn man einen Roman am Stück lese: »Wow, du hast die ganze Nacht gelesen?«, hieße es dann anerkennend, so Hastings zur Sonntags-FAZ. Aber jemand, der alle 521 Folgen der 19 Staffeln einer TV-Serie am Stück schaue, würde schäl angeguckt, so der Netflix-Mann sinngemäß. ­Hastings kennt Deutschland noch zu wenig, denn er liegt falsch. Wer seine fantastische Serie ­»House of Cards« am Stück goutiert, bekommt hierzulande selbst in akademischsten Freundeskreisen kaum weniger Re­spekt als jemand, der Heinrich Bölls Gesamtwerk ohne Sekundenschlaf liest.