Der ehemalige Kindersoldat Yves Ndagano in »Coltan Fieber«, Foto: Theater im Bauturm

»Kultur ist der Motor einer Zivilgesellschaft«

 

In Köln lädt das Theater im Bauturm zu africologne, dem größten deutschen Festival des afrikanischen Theaters — und beschäftigt sich mit der Protestbewegung West-Afrikas

 

Das hatte bei der Planung der Kölner-burkinischen Koproduktion »Coltan-Fieber« auf dem Partnerfestival »Récréatrales«, von dem ein großer Teil der Produktionen jetzt bei »africologne« zu sehen sind, wohl niemand ahnen können: Im November 2014 geriet das Theater im Bauturm unversehens in eine afrikanische Revolution, als in dem kleinen Land, das zu den zehn ärmsten der Welt zählt, parallel zur Theaterpremiere der erste friedliche Volksaufstand West-afrikas stattfand.

 

An vier Tagen fegten vorwiegend junge Leute den despotischen -Präsidenten nach 27 Jahren korrupter Herrschaft mit fröhlichen Massendemos aus dem Land. Sie waren tatsächlich mit Blätterbesen ausgerüstet. Es waren berau-schen--de Tage in der Hauptstaft Ouaga-dou-gou, als Kunst und Politik zusammenfielen, getragen vom Enthusiasmus und Stolz der demonstrierenden Menschen, die den Bauturm — und die mitrei-senden Journalisten — zutiefst prägten. »Selt-sam eigentlich, dass über dieses für den afrikanischen Kontinent weltbewegende histo-rische Ereignis in deutschen Zeitungen nicht mehr berichtet wird«, wundert sich Bauturm-Chef -Gerhardt Haag.

 

Daher hat er friedliche afrika-nische Protestbewegungen auch zum Leitfaden des Festivals gemacht, das vom 17.–27. Juni in Köln stattfindet und dessen letzten beiden Ausgaben riesige Publikumserfolge waren. Tatsächlich gibt es kein Festival in Deutschland, dass politisches, zeitgenössisches und schlicht großartiges Theater so klug durchdacht und auf Augenhöhe zeigt.

In westdeutschen Köpfen ist wohl eher abgespeichert: afrikanische Aufstände führen zu Massakern, Bürgerkriegen oder noch mehr Ausbeutung. Burkina Faso ist ein beeindruckendes Gegenbeispiel. Haag ist davon überzeugt: »Das liegt daran, dass das Land eine hochentwickelte und sehr produktive Kunst- und Kulturszene hat. Kultur ist der entscheidende Motor einer Zivilgesellschaft.« Deshalb ist besonders spannend, dass die Tanzperformance »Schlaflose Nacht in Ouagadougou« (Mi 17.6., 20 Uhr, Alte Feuerwache) mit dem Rapper Smokey das Festival in Köln eröffnet. Smokey ist einer der bekanntesten und coolsten Musiker im Land. Er gründete die Bewegung »Der Bürgerbesen«, die maßgeblich zum Umsturz beitrug. Das Stück erzählt vom zermürbenden Alltag in einer afrikanischen Großstadt — aber auch von der Fantasie einer besseren Gesellschaft in Freiheit, ohne Korruption und staatliche Gewalt. Eine mitreißende, fast prophetische Arbeit des burkinischen, heute in Brüssel lebenden Choreografen Serge Aimé Coulibaly, deren Anfang in Ouaga mehrfach verschoben wurde, weil Smokey noch in Verhandlungen steckte. Der Rapper wird übrigens auch im Rahmenprogramm des Festivals vertreten sein: im Dialogforum zu sozialen Protestbewegungen spricht er über »Rap und Revolte« (Fr 19./Sa 20.6.). Coulibaly wiederum ist auch mit einem grandiosen Tanzsolo vertreten: »Fadjiri« (Sa 20.6.) ist eine Selbstbefragung: Wie kann man in Afrika als Künstler und Bürger überleben?

 

Zwei Tage später feiert endlich das international koproduzierte Coltan-Projekt (Mo 22.6.) des Bauturm Europa-Premiere — über jenen mörderischen Rohstoff, der in allen Smartphones und Notebooks verarbeitet wird und dessen Profit maßgeblich den grausamen Bürgerkrieg im Kongo finanziert. Regisseur Jan-Christoph Gockel hat es zu einem doppelbödigen und zugleich unterhaltsamen Spiel mit Täter- und Opferklischees, Kolonialismus und Hautfarben-Zuschreibungen gemacht. Erzählt wird mit Hilfe einer Puppe unter anderem die Lebensgeschichte von Yves Ndagano, der einst selber Kindersoldat und Minenarbeiter war und auch auf der Bühne steht. »Musika« (Mo 21./Di 22.6.), ein zartes und poetisches Stück des Burkinabé Aristide Tarnagda über die Auswirkungen der Coltan-Abbaus auf dem Odonien-Gelände ergänzt den Abend. Ein Bustransfer fährt die Zuschauer hin, zwischendurch wird ein Film über die Koproduktion des Bauturm, das in die Revolution geriet, gezeigt. Tarnagda ist einer der wichtigsten westafrikanischen Theaterautoren, künftiger Leiter des »Récréatrales«-Festivals und ebenfalls eng mit dem burkinischen Aufstand verbunden. Er spielt selbst in dem Abend »Rote Erde« (Di 23.?/?Mi 24.6.), ihm ist im Literaturhaus Köln auch eine Werkschau gewidmet.

 

Auch aus anderen afrikanischen Ländern kommen spannende -Produktionen: von der Elfenbeinküste etwa das Tanzstück »Rue Princesse« (So 20./Mo 21.6.) der Compagnie N’Soleh. Es handelt von der berühmtesten Vergnügungsmeile Afrikas, die 2011 vom ivorischen Präsidenten Ouattara mit Bulldozern zerstört wurde und die auf der Bühne zur Kleinparzelle der afrikanischen Selbstbefreiung wird. Nicht vernachläs-sigen sollte man auch kleinere -Produktionen, die zum Teil schonungslos von der Realität in Afrika erzählen. Aus dem Kongo stammen allein drei: Im starken Solo »Blaues Koma« (Do 18.6.) erzählt Sylvie Dyclo-Pomos von einer Frau im politischen Kampf, die eine Zivilklage wegen vielfachen Mordes an den Staat stellt. »Kriegs-kantate« (Sa 27.6.) von Larry Tremblay und Harvey Massamba ist eine psychoanaly-tische Analyse des Krieges. In »Sein Kind zu ernie-drigen erlaubt, einen Mann aus ihm zu machen« (Fr 26.6.) erzählt der Kongolese Israel Tshipampa brutal und humorvoll zugleich von seinem tyrannischen Vater.

 

Soeben wurde übrigens in Burkina Faso entschieden, die bisher geheimgehaltenen Akten über die Morde an Nationalheld Thomas Sankara und am Journalisten Norbert Zongo zu öffnen — auf Druck der Bevölkerung. Im Kongo gehen Bürgerkrieg und Willkür weiter. 

 

 

StadtRevue präsentiert

17.–27.6., africologne Festival,
Programm: theater-im-bauturm.de