Kein Konzept für den Kalker Süden: marode Hallen an der Neuerburgstraße | Foto: Manfred Wegener

Verwaltet und verwahrlost

Die Stadt wollte den Abriss der Hallen Kalk, ist aber von der Politik gestoppt worden. Jetzt soll eine Machbarkeitsstudie her

Zum Verwaltungsstil der Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach gehört der Coup gegenüber der Politik. Das mag man als Mittel der Gestaltung oder der Machtdemonstration interpretieren, im Skandal um die Hallen Kalk kam er gleich zwei Mal zur Anwendung. Am 28. April überraschte Laugwitz-Aulbach den Kulturausschuss mit der Absicht, zwei der drei Hallen 75, 76 und 77 an der Neuerburgstraße in Kalk abreißen zu lassen. Begründet wurde der drastische Schritt mit akuter Baufälligkeit. Als Beweis dienten Aktennotizen des Ingenieursbüros Hempel, die zahlreiche Mängel auflisten: erodierende Fassaden, Korrosion und Deformierung von Stahlprofilen sowie Risse und Öffnungen im Ziegelmauerwerk. Die Schäden seien so stark, dass »akute Einsturzgefahr« und »Gefahr für Leib und Leben« bestehe. Die über­rumpelten Kulturpolitiker waren em­pört und beschlossen ein Moratorium, um der Sache nachzugehen. 

 

Die heute denkmalgeschützten Hallen 75-77 der Klöckner Humboldt Deutz AG in Kalk wurden in den Jahren 1895-1906 errichtet. Sie dienten vor allem dem Bau von Maschinen und Traktoren. Walter Buschmann, Vorsitzender des Vereins Rheinische Industriekultur, klassifiziert sie als »nicht einzigartig, aber charakteristisch und repräsentativ für die Industriearchitektur im 19. Jahrhundert«. Die Hallen gehören zum architektonischen Kern der Kalker Identität als ehemaliger Industrie­standort. Ihr Abriss käme einem Gedächtnisverlust gleich. Seit 1993 werden die Hallen kulturell genutzt: Die nördliche Halle 75 vom Schauspiel Köln, die mittlere Halle 76 als Lager, die Halle 77 von der Stiftung Ludwig.

 

Nachdem die Kulturdezernentin mit ihrem Abriss-Antrag gescheitert war, landete sie im Kulturausschuss am 8. Juni ihren zweiten Coup. Die Dezernenten für Bauen, Wirtschaft und Kultur sowie der Stadtkonservator hätten die Einsetzung einer »derzernatsübergreifenden Projektgruppe« verabredet, um den Erhalt der Hallen zu prüfen. Außerdem soll ein externes Büro eine Machbarkeitsstudie zu den baulichen, finanziellen, wirtschaftlichen sowie Nutzungs-Perspektiven erstellen. Die Politik war versöhnt, die Verantwortung für den Verfall durch Untätigkeit blieb allerdings ungeklärt. In den Aktennotizen des Büros Hempel Ingenieure wird auf die regelmäßige Inspektion der Hallen in den Jahren 2011, 2012, 2014 und in diesem Jahr verwiesen, sowie auf ein vorliegendes Sanierungskonzept. Laugwitz-Aulbach sagt dazu lapidar: »Eigentümer der Hallen ist die Stadt Köln, die Hallen 76 und 77 werden vom Kulturdezernat verwaltet, die Halle 75 vom Schauspiel«. Man sei nur für »Instandsetzung«, also Bauunterhaltung zuständig. In der Differenzierung zwischen einem diffusen Eigentümer und einem konkreten Nutzer liegt ein Problem. Verwalten ist hier offenbar nicht das Gleiche wie Verantwortung zu übernehmen. Doch wenn Laugwitz-Aulbach einen Abriss bei der Bauaufsicht beantragen kann, warum dann nicht auch eine Sanierung  — und die Politik dabei einbinden? In einem umgekehrten Fall dringt das Kulturdezernat seit Jahren vergeblich auf die Grundsanierung der Orangerie, die vom Grünflächenamt »verwaltet«, also dem Verfall preisgegeben wird. Was wir daraus lernen: Ämter sind nicht die Stadt Köln, Ämter helfen sich nicht gegenseitig, Ämter sehen nur den eigenen Vorgarten.

 

Der Sanierungsstau bei den Hallen reicht allerdings bis weit vor Laugwitz-Aulbachs Amtszeit zurück. Bereits 2011 hat die Kalker SPD in einer Anfrage auf hohe Folgekosten bei einer unterlassenen Sanierung der Halle 75 hingewiesen. Marco Pagano, Fraktionsvorsitzender der SPD in Kalk, beklagt: »Wir sind nur sehr spärlich informiert worden«. Und Brigitta von Bülow (Grüne), die im Rat und im Kulturausschuss sitzt, fordert »ein funktionierendes Frühwarnsystem«. Sie wundert sich, warum die Hallen Kalk auf der Sanierungsliste des Unterausschusses Kulturbauten fehlen. Doch die Hallen waren durchaus Thema in den Ausschüssen, die Politik hätte alarmiert sein können.

 

Derzeit echauffiert sich ausschließlich die gebildete Mittelschicht
über Verlust oder Erhalt der Hallen

 

Die Untätigkeit reiht sich in den laxen Umgang von Politik und Verwaltung  mit dem industriegeschichtlichen Bauerbe Kölns ein, wie es die Kahlschlagsanierungen der Sidol-Werke in Braunsfeld oder der Chemischen Fabrik Kalk exemplarisch vorgeführt haben. Dass die Stadt auch anders kann, hat sie dann bei den Abenteuerhallen an der Wiersbergstraße bewiesen. Bei den Hallen Kalk geht es aber um etwas Größeres: den gesamten früheren KHD-Komplex in Kalk-Süd. Östlich der Neuerburgstraße residiert die MBE Cologne Engeneering GmbH in Hallen, die durch ihre Anklänge an den Stil des Werkbunds ebenfalls erhaltenswert sind. Die Firma hat am 18. Mai Insolvenz in Eigenverwaltung angemeldet. Falls sie nicht überlebt, wartet hier bereits die nächste Diskussion. Südlich der Dillenburgerstraße soll auch die Andritz Separation GmbH über ihren Standort nachdenken.

 

Bis heute hat der Rat das Rechts­rheinische Entwicklungskon­­zept Mitte für die Stadtteile Kalk und Humboldt/Gremberg nicht be­­schlossen. Gleichzeitig werden mit dem Ausbau der Kaiserin-Theophanu-Schule und einem Grünzug zwischen Wiersberg- und Neuerburgstraße Fakten geschaffen.

 

Mit der Diskussion um die ­Hallen artikulieren sich neue Nutzungsansprüche. Die neu formierte Bürgerinitiative Halle Kalk wünscht sich eine Nutzung nach den Kriterien »kreativ, alternativ, nachhaltig«, so Sprecherin Martina Reuters von der Pflanzstelle Kalk. In den Hallen solle sich eine »Mischung aus Arbeiten, Wohnen, Handel und Kultur« entwickeln. Auch die freie Theater- und Tanzszene meldet bereits Ansprüche an. Und Marco Pagano (SPD) wiederum will die Halle als kulturellen Veranstaltungsort für möglichst viele Milieus erhalten wissen.

 

Doch all das ist nicht ohne die derzeitigen Nutzer zu diskutieren. »Ich kann mit der Halle Kalk nicht mehr planen«, sagt jedoch Stefan Bachmann, der Intendant des Schauspiels. Zum einen wegen der unsicheren Zukunft, zum anderen, weil die Bauaufsicht die weitere Nutzung der Theaterhalle als Versammlungsstätte untersagt hat — exakt das Amt, das auch den Abriss auf Bitten des Kulturdezernats angeordnet hat. Es geht um marode Brandschutzvorrichtungen, deren Erneuerung jedoch die Mittel des Theaters für Bauunterhalt weit übersteigt. Brigitte Franzen, die Vorsitzende der Stiftung Ludwig, besteht dagegen auf einer weiteren Nutzung als Depot für das Museum Ludwig. »Die Stiftung erwartet die Einhaltung und Erfüllung des Vertrages gemäß Ratsbeschluss von 1994, und der beinhaltet die Halle Kalk.« Ein finanzielles Engagement der Stiftung für Infrastruktur schließt Franzen aus, aber auch eine Investorenlösung sieht sie kritisch: »Es muss eine städtische Halle sein.« Das dürfte vor allem den Grünen nicht schmecken. Die derzeit kursierenden Summen von 9 Mio. Euro für eine Not- und 20 Mio. für eine Grundsanierung sind zwar Spekulation. Doch angesichts des Haushaltsdefizits hat Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Jörg Frank bereits eine Investorenlösung mit Nutzungskonzept ins Spiel gebracht.

 

Wer aber bestimmt über die Nutzung? Derzeit echauffiert sich ausschließlich die gebildete Mittelschicht über Verlust oder Erhalt der Hallen. Der Großteil der Kalker Bevölkerung dagegen bleibt stumm. Ihr ist das Schicksal der Hallen vermutlich herzlich egal, solange der Inhalt so bleibt, wie er bisher war. Es wäre zu begrüßen, wenn jenseits der Hochkultur-Kreativwirtschafts-Nachhaltigkeits-Begeisterung in den Hallen etwas Platz fände, das schlicht mit dem Gros der Kalker Bürger zu tun hat.