Szenen eines Streiks: Erzieherinnen kämpfen, Eltern spielen mit ihren Kindern im Rathaus | Fotos: Manfred Wegener

Der kurze Sommer der Streikwesten

Vier Wochen lang hat das Kita-Personal in Köln für mehr Lohn und Anerkennung gestreikt. Gebracht hat es wenig, weil die Allianz aus Arbeitgebern und Eltern zu stark war.

Es ist Mittwoch kurz vor elf, und Petra Zimmermann steht am Straßenrand und wird angehupt. Zusammen mit rund achtzig anderen Mitarbeiterinnen und einem Mitarbeiter städtischer Kitas hat sie sich an der Ecke von Neusser Straße und Innerer Kanalstraße entlang der Fahrbahn aufgestellt. Auf ihren Schildern stehen ihre Streikforderungen: Mehr Wert und mehr Wertschätzung — und die freundliche Aufforderung zu einer solidarischen Hupadresse. Die Hälfte der vorbeifahrenden Autos hupt gerne. Weiter nördlich kreist eine Fahrraddemo von Kita-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern mit Trillerpfeifen durch Nippes. Es ist die vierte Woche im Kita-Streik 2015. In 229 städtischen Kitas in Köln hat das Personal die Arbeit niedergelegt. Auch Petra Zimmermann gehört dazu. Normalerweise arbeitet sie in einer Einrichtung in Chorweiler, heute demonstriert sie in Nippes. »Viele haben ja schon ungläubig geschaut, als wir zwei Wochen gestreikt haben.«

 

»Es gibt ein neues Selbstbewusstsein bei Erzieherinnen«, erklärt Tjark Sauer. »Das ist eine Folge des letzten Streiks von 2009.« Über dreizehn Wochen wurde damals immer wieder die Arbeit niedergelegt, wenn auch mit weniger Streiktagen als diesmal. Sauer ist Gewerkschaftssekretär bei Verdi in Köln und für die Koordination des Kita-Streiks zuständig. Rund 3100 Menschen arbeiten in den städtischen Kitas, der Anteil an Gewerkschaftsmitgliedern schwankt je nach Einrichtung zwischen fünfzig bis achtzig Prozent, schätzt Sauer. Das ist hoch, aber kein Garant für Stärke. 2009 wurde nach dreizehn Wochen Streik gerade einmal ein Gehaltsplus von durchschnittlich 120 Euro pro Monat erzielt — etwas über fünf Prozent des Bruttogehalts. Die Forderungen für diese Tarifrunde sind kompliziert: Es geht um Eingruppierung von Tätigkeiten und um gleichmäßigere Vergütung für die Kita-Leitungen. Eine differenzierte Forderung, aber auch vier Wochen Streik konnten die Kommunen nicht dazu bewegen, bis zu Beginn der Schlichtung Anfang Juni ein neues Angebot vorzulegen.

 

Zum Teil hat diese Schwäche strukturelle Gründe. Nur die Minderheit des Personals der etwa 570 Kitas in Köln wird durch Verdi im Arbeitskampf vertreten: die Angestellten der 229 städtischen Kitas. Die 33 Köln-Kitas, die zu hundert Prozent einer städtischen Tochtergesellschaft gehören, haben zwar teilweise mitgestreikt. Für sie gilt der Tarifvertrag aber ebenso wenig wie für die etwa 160 konfessionellen Einrichtungen. Diese gelten als »Tendenzbetriebe«, in denen die Erzieher »im Dienste der Verkündigung des Glaubens« arbeiten. Sie haben einen eigenen, selbst ausgehandelten Tarifvertrag, der in der Regel unter dem regulären Tarif liegt. In den von Elterninitiativen oder anderen Vereinen getragenen privaten Kitas wurde ebenfalls nicht gestreikt. Dort wird aber zum Teil der Tariflohn gezahlt, weil es momentan schwer ist, gutes Personal zu finden. Im U3-Bereich ist es noch schwieriger für die gewerkschaftliche Organisation. Hier ist ein großer Teil der Kinderbetreuung als Tagespflege organisiert, bei der die Erzieher in der Regel selbstständige Unternehmer sind.   

 

Keine gute Ausgangslage also. Hinzu kommt, dass der Streik nicht nur zwischen den beiden Tarifparteien ausgefochten wurde, sondern auch Eltern Forderungen artikulierten — an die Arbeitgeber und die streikenden Erzieher. Am 26. Mai verwandelten 350 Kinder samt Eltern das Kölner Rathaus in eine große Kindertagesstätte, um Druck auf OB Jürgen Roters (SPD) auszuüben, der Vorsitzender des Verbandes Kommunaler Arbeitgeber ist. Zu dem Zeitpunkt begann auch die Kölner Tagespresse, sich für das Thema zu interessieren, nachdem sie etwa eine große Menschenkette des Kita-Personals um das Stadthaus Deutz eine Woche zuvor ignoriert hatte. Die Kölnische Rundschau bezeichnete die Aktion als »Protest gegen den Streik der Erzieher«, der Kölner Stadt-Anzeiger sprach davon, dass »die Stimmung kippt«.

 

Eltern sollen sich als Konsumenten von Dienstleistungen begreifen
und nicht zuerst als Arbeitnehmer

 

»Es gab überraschend wenig Ausfälle gegen Erzieher«, erklärt Attila Gümüs am folgenden Samstag auf dem Neumarkt. Gümüs ist Vorsitzender des Jugendamt-Elternbeirats, der zu einer Demonstration für ein rasches Ende des Streiks aufgerufen hat. »Der Streik ist unnötig«, sagt er und sieht die Arbeitgeber in der Pflicht, ein Angebot zu machen. Auf der Demo ziehen rund 800 Eltern und Kinder vom Neumarkt zum Roncalliplatz. Viele rufen »Einigt euch!«, auf einem Schild steht »Ver.di die Kinder verarscht«. Nur eine Minderheit fordert eine bessere Bezahlung des Kita-Personals.

 

Während die Stadt die Forderungen der Erzieher ignorierte, beschloss der Stadtrat auf Initiative der Verwaltung eine Rückzahlung der Kita-Beiträge für die Streiktage. Nach Ende der Tarifverhandlungen und Verabschiedung des neuen Haushalts sollen 2,2 Millionen Euro an Elternbeit­rägen und eine halbe Million Euro an Verpflegungskosten zurückgezahlt werden. Der Kölner CDU-Bundestagsabgeordnete Heribert Hirte plädierte sogar dafür, die Rückzahlung von Elternbeiträgen ins Tarifeinheitsgesetz aufzunehmen. Finanziell gesehen ist das ein leichter Schritt. Die Stadt Köln spart während des Streiks pro Tag rund 500.000 Euro an Personalkosten in den Kitas ein, die Elternbeiträge machen aber nur zehn Prozent der Betriebskosten insgesamt aus. Die finanzielle Belastung ist niedrig, der ideologische Nutzen ist hoch, das Ziel der Maßnahme ist politisch: Eltern sollen sich als Konsumenten von Dienstleistungen begreifen und nicht zuerst als Arbeitnehmer.

 

»Wir bekommen viele Anrufe von Eltern«, sagt Gewerkschaftssekretär Tjark Sauer. »Beschwerden und Zuspruch halten sich die Waage.« Dem Elternwunsch nach einer besseren Betreuung ihrer Kinder könne man nur durch eine bessere Bezahlung des Personals gerecht werden. »Wir verstehen, dass Eltern ohne alternative Betreuungsmöglichkeiten Probleme haben, aber nur mit Unterschriftenlisten erreichen wir unsere Ziele nicht.« Auch die Erzieherinnen wissen, dass sie nicht nur mit den Arbeitgebern eine Auseinandersetzung führen. »Es wurden Notgruppen angeboten, dafür konnten sich die Eltern anmelden«, berichtet Petra Zimmermann aus Chorweiler. Nach ihrer Streikaktion am Vormittag wollen ein paar ihrer Kolleginnen mit Spielsachen und Sprungtüchern auf die Spielplätze gehen und dort mit Eltern reden und sie unterstützen. »Wir denken ja auch an die Kinder«, sagt Zimmermann. »Ich möchte mich gerne von den Kindern verabschieden, die bald auf die Schule wechseln.«

 

Damit artikuliert Zimmermann das Dilemma vieler sozialer Berufe. Sie bestehen aus immateriellen, affektiven Tätigkeiten: aus Beziehungsarbeit. Und diese Beziehungen reichen über den Feierabend hinaus. Eine aktuelle Studie des Bundesfamilienministeriums  hat festgestellt, dass 36 Prozent des Kita-Personals zur Burn-out-Risikogruppe gehören. Der Hauptgrund hierfür sind zusätzliche Termine außerhalb der Arbeitszeit, etwa weil wegen Fachkräftemangel Überstunden geleistet werden müssen oder ein Elternabend geplant ist. Hinzu kommt eine generelle Unzufriedenheit mit der Anerkennung des eigenen Berufs. Nur zwei Prozent der Fachkräfte finden, dass ihre Arbeit von der Gesellschaft »vollständig anerkannt« sei — und das nach einer fünfjährigen Ausbildung, wie Petra Zimmermann erklärt.

 

Nirgendwo zeigte sich das deutlicher als im Umgang der Kölner Politik mit den Forderungen der Streikenden. Arbeitgeberchef OB Jürgen Roters wünschte sich nach Ende des Streiks eine »sachgerechte, finanziell tragfähige Lösung«. Sozialdezernentin und OB-Kandidatin Henriette Reker verkündete bei einer Verdi-Kundgebung ihre Unterstützung der Streikenden, warb aber zugleich um mehr Verständnis für die leeren Kassen der Kommunen. Der OB-Kandidat der SPD, Jochen Ott, erwähnte zwar, dass in Düsseldorf die Erzieherinnen auch ohne Streik zwei Gehaltsgruppen mehr erhalten, eine entsprechende Initiative sind er und seine Partei in Köln bislang aber schuldig geblieben. Nur Jörg Detjen von der Linkspartei sprach sich klar für eine finanzielle Besserstellung der Erzieherinnen aus. Und die Gewerkschaft Verdi? Sie stürzte sich nach Beginn der Schlichtung im Kita-Konflikt sofort in den nächsten Streik — bei der Post.  

 

Das Kita-Personal macht dagegen erstmal weiter: aufgerieben zwischen den Ansprüchen der Eltern, den Lippenbekenntnissen der Politik und dem schwieriger werdenden Arbeitsalltag in der Einrichtung. Nach dem Kita-Streik ist vor dem Kita-Streik.