Foto: Manfred Wegener

Die Venus von Köln

Im Schutt unter der Hohe Straße haben Archäologen eine Marmorfigur gefunden – ein schicker Einrichtungsgegenstand aus einer römischen Stadtvilla

Die Hohe Straße war einmal ein richtiger Prachtboulevard: 24 Meter breit, gesäumt von städtischen und staatlichen Gebäuden und reichen Privathäusern, bildete sie die zentrale Nord-Süd-Achse durch die Kölner Innenstadt.
Das ist etwa 1900 Jahre her. Damals, im ersten und zweiten Jahrhundert, war Köln eine wohlhabende römische Stadt. Irgendwann zu dieser Zeit muss ein reicher Kölner Bürger eine Marmorfigur der nackten Venus in seinem Haus an der Hohe Straße aufgestellt haben, ein schönes Stück, etwa 1,40 Meter groß, wahrscheinlich aus einer oberitalienischen Werkstatt. Ein repräsentativer Ausstattungsgegenstand für eine Villa – »hoch qualitätvoller Nippes«, wie es Hansgerd Hellenkemper, Direktor des Römisch-Germanischen Museums, formuliert.

Gut erhaltener Torso

Am 24. August 2004 fanden Archäologen den Torso dieser »kölschen Venus« – bei Kanalarbeiten fünf Meter unterhalb der heutigen Hohe Straße. Dort lag die Figur in einer Schicht aus Schutt, die in spätrömischer Zeit zur Straßenbefestigung verwendet worden war. Schultern, Oberarme, Rücken, Bauch und Brüste der Marmor-Venus sind gut erhalten, an der linken Brust sind noch Spuren der Hand zu erkennen, die einst dort lag, und über die Schultern laufen einige marmorne Haarsträhnen. Selbst in der Kölner Innenstadt, wo der Boden gesättigt ist mit römischen Resten, ist dieser Fund etwas ganz Besonderes – eine Statue dieser Größe konnten sich nur wenige leisten, und zerstörte Figuren landeten meist noch in spätrömischer Zeit im Kalkofen.
»Dass die Kölner die nackte Venus liebten, können wir nachweisen«, sagt Hellenkämper. Jede Menge kleine Tonfiguren, die die Göttin zeigen, wurden hier gefunden. Schon um 1890 hatten zwei humanistisch gebildete preußische Stadtinspektoren, Rudolf Schultze und Carl Steuernagel, damit begonnen, das römische Köln zu dokumentieren. Eigentlich waren sie – im Zuge der Entwicklung Kölns zur modernen Großstadt – mit dem Bau von Abwasserleitungen befasst. Bei den Grabungsarbeiten für dieses erste systematische Kanalsystem in Köln seit der Römerzeit stießen sie alle paar Meter auf antike Reste. »Damals begann die Archäologie in Köln« sagt Direktor Hellenkemper, dessen Museum in Köln auch für die so genannte archäologische Bodendenkmalpflege zuständig ist.

Archäologen mit dabei

Besonders viel Arbeit in diesem Bereich kommt aktuell auf das Museum zu. Die neue Nord-Süd-U-Bahn fräst sich mitten durch die römische Innenstadt Kölns. »Das wird die größte Aufgabe, die wir ja gehabt haben«, sagt Hellenkemper. Und die Bodendenkmalpfleger sind natürlich auch gefragt, wenn, wie zurzeit, die über hundert Jahre alten preußischen Abwasserstollen erneuert werden. Diesmal sind von Anfang an Archäologen mit dabei, Meter für Meter bewegen sie sich durch den Untergrund. »Erst kommen die Bauarbeiter«, erklärt Damian De Rosa, Ausgrabungstechniker beim Römisch-Germanischen Museum, »wenn es dann etwas zu dokumentieren gibt, rufe ich Stopp, dann kommen wieder die Bauarbeiter, und alles wird zerstört«. Außer natürlich, wenn sich im römischen Schutt ein so besonderes Stück findet wie die Kölsche Venus.
Wie die Marmorfigur in den Straßenschutt unter der Hohe Straße geriet, ist noch nicht geklärt – aber Hellenkemper hat eine »Arbeitshypothese«. Sie hat zu tun mit der Eroberung Kölns durch die Franken in den Jahren 355/56. »Die Franken haben die Stadt richtig platt gemacht«, sagt Hellenkemper. Viele Häuser und ihre Einrichtungsgegenstände seien damals zerstört worden. Nach den Verwüstungen kehrten die römischen Bewohner aber in die Stadt zurück und begannen mit den Aufräumarbeiten. »Ich stelle mir vor, die Familie hat die zerstörte Venus einfach raus auf die Straße geräumt – eine kaputte Figur schleppt man nicht weit«. Dort versank sie dann wohl in den Trümmern, die als so genannte »Unterpackung« der Straße benutzt und mit einem neuen Belag versehen wurden.

Alter und Herkunft sind noch unklar

Auf die wieder ans Tageslicht gebrachte Venus kommt nun einiges zu: »Die Oberfläche der Brüste und des Bauches ist noch etwas fleckig«, sagt Hellenkemper. Mit einer Art Zahnbürste soll sie vorsichtig gereinigt werden. Außerdem muss ein kleines Bröckchen Marmor von der Figur entfernt werden, um naturwissenschaftlich untersucht werden zu können. Die Ergebnisse sollen genauer Auskunft geben über Alter und Herkunft. Schließlich wird der Torso vorsichtig von unten angebohrt, aufgepflockt und im Römisch-Germanischen Museum aufgestellt.
Bis es so weit ist, erfüllt die Venus allerdings noch einmal Repräsentationsaufgaben – fast so wie damals in dem römischen Stadthaus: Sie steht auf der Fensterbank in Hellenkempers Arbeitszimmer.