Vorsprung durch Technik

Dreidimensionale Nachrichten, vielseitig einsetzbare Redakteure und ein »Big Boss der Herzen«: Die Kölner Fernsehmacher rüsten auf

Digitale Wunderwelt

»Glanzvolle Versager« nannte der frühere RTL-Chefredakteur Dieter Lesche sein Buch, das von den Kollegen handelt. Alle können gar nichts, war die Bilanz der Abrechnung, und: Auf mich will ja keiner hören. Ganz schlecht kam auch die gute, alte Tagesschau weg, das sei russisches Fernsehen aus der Zeit vor Glasnost! Lesches Zorn müsste jetzt aber an seiner alten Wirkungsstätte abprallen, denn gerade hat RTL sein neues News-Studio für die nächste Dekade eingeweiht: alles digital, virtuell und dreidimensional. Infrarotkameras und ein recht futuristisches Design präsentierte der Mahr-Hansi, seines Zeichens Informationsdirektor bei RTL, stolz den Kollegen, und wies dabei auf das ganz Besondere hin, nämlich »dass in diese neue Nachrichtenwelt alles hineinpasst.« Sogar noch echte analoge Moderatoren wie der smarte RTL-Anchorman Peter Kloeppel.

Einschneidende Personalpraxis

Auch der neu in Köln angekommene Nachrichtenkanal n-tv braucht Lesches Zorn nicht zu fürchten, zehn Millionen Euro wurden in neueste Techniken investiert, um ab sofort aus dem digitalen Sendezentrum in Ossendorf senden zu können. So fortschrittlich ist die Technik, dass die Redakteure ihre Beiträge jetzt selber schneiden müssen, ganz ohne Cutter. Diese werden zu den Heizern der Jetztzeit, man braucht sie immer seltener auf den Lokomotiven der modernen Nachrichtenzentren. 250 Mitarbeiter waren bei n-tv in Berlin beschäftigt, in Köln sind es noch 120; die Differenz erklärt sich auch durch den Vorsprung durch Technik.

Zukunft ungewiss

Während n-tv aus Berlin nach Köln wechselte, rechneten die knapp 550 Viva-Mitarbeiter nach der Übernahme durch den Viacom-Konzern mit einem Marsch in die Gegenrichtung. Einige, wie Neu-Late-Night-Talkerin Sarah Kuttner, freuten sich schon auf den Umzug in die Hauptstadt. Andere wollen dem Rhein ungern oder gar nicht den Rücken kehren. Doch noch ist völlig ungewiss, wohin die Reise geht. Eine Zerschlagung des ehemaligen Musiksenders dementierte ein Viacom-Sprecher, doch was der US-Konzern, der 76 Prozent der Viva-Aktien für 234 Millionen Euro erwarb, mit seinem zweiten Pop-Kanal neben MTV anfangen will, wird den Mitarbeitern nicht verraten. Lukrativ ist momentan einzig die zu Viva gehörende Produktionstochter Brainpool mit Anke »Late Night« Engelke, und der machen solvente Herren mittleren Alters wie die TV-Macher John de Mol und Haim Saban mächtig den Hof. Viva wäre da nur ein lästiger Brautvater. »In Kürze«, so der Viacom-Sprecher, »wird ein Komitee tagen, das gemeinsame Vorschläge erarbeitet, wie Viva integriert werden soll.« In Kürze wird das Ergebnis der Tagung an dieser Stelle verbreitet.

Nackte Tatsachen

Wer nach den letzten Nachrichten mit der Fernbedienung durch die Nacht zappt, begegnet auf den billigeren Sendeplätzen zahllosen jungen Frauen, die sich aus unbekannten Gründen nackt machen und dabei unsicher in die Kamera oder daran vorbei gucken. Wenn sie neben die Kamera blicken, erhalten sie gerade ein Zeichen vom Producer, mit der Zunge eine verführerische Kreiselbewegung zu vollführen. Wer die beherrscht, für den ist eine Stellenanzeige im Kölner Stadt-Anzeiger bestimmt interessant: Eine Kölner Produktion sucht für ein neues erotisches Nachtformat mit dem Titel Lovenight TV »frische Gesichter« (sic!). Moderationserfahrungen werden nicht vorausgesetzt, wünschenswert aber sei die »Bereitschaft zur Nachtarbeit«.

Neue Macher braucht das Land

Sehr interessante Angebote hätten ihm einige Bundesligavereine gemacht, warf Ex-Bayer-04- Leverkusen-Chef Reiner Calmund nur so mit Nebelkerzen um sich, um dann plötzlich und unerwartet bei RTL zu unterschreiben. In elf Folgen Big Boss – nach Vorbild des amerikanischen Formats »The Apprentice« mit dem Hyper-Kapitalisten Donald Trump – »soll der Macher Calmund neue Macher finden«, so RTL-Unterhaltungschef Tom Sänger über die Grundy-Light-Produktion. Um Wirtschaftsnachwuchs und frische Start-Upper zu rekrutieren, will der gelernte Außenhandelskaufmann Calmund zunächst eine »positive Grundstimmung in Deutschland erzeugen«, so sagt er. »Die Nörgler müssen in den Hintergrund gedrängt werden.« Ob er das kann? Die Bild am Sonntag ist skeptisch; sie befand Calmund im direkten Vergleich mit Trump für zu leicht. Doch dafür werde er bestimmt, so die BamS, der »Big Boss der Herzen«.

Grenzenlose Abdeckung

Richtig viel Geld hatte der NRW-Kabelnetzbetreiber bezahlt, damit findige Namens-Designer einen Vorschlag kreieren, der phonetisch besonders in Köln ein Knüller ist: ish. Nun soll das Geld auch wieder eingespielt werden, 400 Millionen Euro Umsatz sind für dieses Jahr geplant, doch mit Kabelfernsehen, Internet- und Telefongeschäften ist das bei weitem nicht zu schaffen. Deshalb will das Unternehmen mit 900 Beschäftigten das Angebot im digitalen Pay-TV erheblich ausweiten: Ganz NRW soll 2005 abgedeckt werden, auch Bonn und Bergisch Gladbach sollen endlich per SMS und gegen Cash Spielfilme abrufen können. Denn gerade in ländlicheren Regionen hat die bunte ish-Welt noch immer einen ganz hartnäckigen Konkurrenten: die Satellitenschüssel.