Theater, nicht Therapie

In Köln ist das EU-Projekt »Un-Label« gestartet, um die inklusive Theaterszene voranzubringen

Theater ist für alle da. Trotzdem sind Theaterformen für und mit Menschen verschiedenster Handicaps auf deutschen Theaterbühnen alles andere als alltäglich. Wie also sehen solche Formen aus? Und welche Bedeutung kommt dem Thema Behinderung im Theater zu? Lisette Reuter will in dem EU-Projekt »Un-Label«  inklusive Möglichkeiten und Techniken (er-)finden, sich auf der Bühne mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und Außenseitern zu beschäftigen. 

 


Lisette, »Un-Label«, das Du leitest, ist ein Riesen-Ding. Bis April 2017 werden hundert Künstler im Alter von 20–36 international zusammenarbeiten. Gefördert wird das Projekt unter anderem von der EU im Programm Creative Europe. Wie ist es dazu gekommen?

 

Für unser letztes Projekt, die Tanztheater-Produktion »Verflüchtigung - Can there be identity without otherness?«, haben wir Künstler aus verschiedenen Ländern zusammengebracht. Das hatten wir im Vorfeld inklusiv geöffnet, um einen Gegenpol zu schaffen. Das Stück ist sehr erfolgreich gewesen und sehr gut angekommen – sowohl beim Publikum als auch bei den Förderern. Menschen mit Behinderung werden ja schnell als nicht kunstfähig abgestempelt. 

 


Daher kommt der Name »Un-Label«?

 

Ja, das heißt auf Englisch »nicht abstempeln«. Wir wollen,  jetzt nach diesen positiven Erfahrungen, die Performing Arts im Bereich Inklusion in Europa weiter vernetzen. Der Verein, der hinter der Idee steckt, für den ich auch arbeite, ist das Sommertheater Pusteblume. Seit über zwanzig Jahren ist das Theater in der Kultur-Förderung für Menschen mit und ohne Behinderung tätig. Für »Un-Label«  haben wir uns mit einer der führenden Mixables-Companies aus England, »Candoco Dance«, zusammengeschlossen; sowie dem »Synergy of Music Theatre« aus Griechenland und der »Association for The Development of Social and Cultural Life« aus Istanbul. Und die FH Köln begleitet das Projekt. 

 

Wie sieht Inklusion heute in den beteiligten Ländern aus?

 

Es tut sich eine große Lücke auf. In England und Schottland passiert sehr viel. Gerade in Schottland werden Menschen mit Behinderung kulturell sehr gefördert und sind deshalb aus diesem Reha-Kunst-Verdacht raus. Die Professionalität der Tänzerin und Choreografin Claire Cunningham zum Beispiel würde dort nie jemand in Frage stellen. Sie wird auch nicht positiv diskriminiert, sie mache »trotz« ihrer Behinderung »richtige« Kunst. In Deutschland haben wir wenig vergleichbare Beispiele, auf die das zutrifft. Hier in Köln wäre es Gerda König von Din A13. 

 


Und in Griechenland und der Türkei?

 

Da passiert fast gar nichts und das ist auch eine politische Frage. Wir haben diese Länder deswegen bewusst gewählt. Wir wollen dort genau wie in Deutschland Anstöße geben. Hier ist Inklusion zwar ein großes Thema, aber mehr in der Bildung und nicht so sehr in Kunst und Kultur. 

 


Hundert junge Künstler mit und ohne Behinderung wollt Ihr mit »Un-Label« zusammenbringen. Wie gestaltet sich das Casting?

 

Wir starten am 28. September in Köln mit einem offenen, inklusiven Workshops für die Künstler. Dann ziehen wir mit den Workshops durch die beteiligten Länder. Symposien werden die einzelnen Workshops begleiten. Aus allen international teilnehmenden Künstlern bilden wir dann das Ensemble. Sechzehn ausgewählte Künstler nehmen im April 2016 an einer künstlerischen Residenz in Köln teil. Im Rahmen des Sommerblut Festivals werden wir dann die Premiere am 12.Mai mit dem multimedialen Stück haben. Wir werden zum Schwerpunkt des Festivals, dem Thema »Liebe«, arbeiten. 

 


Liebe machen mit Behinderung?

 

Das wäre der Klassiker. Wie haben Behinderte Sex.... Nein! Uns geht es um die Gemeinsamkeiten zwischen Behinderten und Nicht-Behinderten. Wir werden das Thema »anders« nicht wieder als »behindert« labeln und die einen Menschen zum Gegenstand des Interesses der anderen machen. Wir wollen weg von den Stereotypen. 

 


Verständlich, aber man sollte Stereotype auch nicht tabuisieren, oder?

 

Peter Radtke, ein Schauspieler mit Glasknochen, sagte mal, ein Behinderter könne nie nur als Schauspieler gesehen werde, er sei immer auch Prototyp des Behinderten. Es kann sicherlich verstörend sein, wenn z.B. ein körperbehinderter Schauspieler in einem »normalen« Ensemble eine Rolle übernimmt. Das wirkt stark ausgestellt. Wir wollen aber den Einschluss behinderter Künstler in ein Team von Menschen mit und ohne Behinderungen, in dem jeder mit seinen Qualitäten am gemeinsamen Ziel arbeitet. Und da sieht der Zuschauer auch Menschen auf der Bühne, die gehörlos sind, im Rollstuhl sitzen oder Down-Syndrom haben.  

 


Werdet Ihr auch auf Gastspielreise gehen?

 

Ja. Wir werden unter anderem mit dem Stück beim großen Theaterfestival in Istanbul sein, bei einem Festival in Athen und, wenn es klappt, dort im Onassis Culture Center auftreten. Das kann man sich wie das Hebbel am Ufer in Berlin vorstellen. 

 


Das Stück wird in Köln produziert, die Projekt-Idee ist hier entstanden. Ist die Stadt in irgendeiner Form an »Un-Label«  beteiligt?

 

Nein. Wir sind aber in Gesprächen. Wir würden gerne im Depot 2, der Halle Kalk, oder im alten Möwenpick am Offenbachplatz spielen. Das sind in Köln die Spielorte, an denen wir in puncto Barrierefreiheit und für die Größe der Produktion optimal versorgt wären. Leider gibt es hier in der freien Szene kaum geeignete Räumlichkeiten für ein solches Projekt.