Aus die Maus

Beim WDR wird gekürzt. Nischenprogramme werden beschnitten, freie Mitarbeiter bangen um ihre Existenz. Und die Direktoren ducken sich weg.

Der WDR muss sparen. Das ist eine Botschaft, die den Sender beinahe gebetsmühlenartig begleitet. Bereits 2010 sprach die ehemalige Intendantin Monika Piel von fünfzig Millionen Euro, die jährlich einzusparen wären und hundert Planstellen, die wegfallen würden. Die Lage verschärfte sich indes drastisch, als Nachfolger Tom Buhrow nach seinem Amtsantritt 2013 Kassensturz machte und dem WDR prophezeite, er werde am Ende der Dekade 1,3 Milliarden Euro Miese machen, wenn es ungebremst so weiter gehe. Die fünfzig jährlich zu sparenden Millionen verwandelten sich in hundert, und aus den hundert Planstellen, die weg sollten, wurden in der Planung bis 2020 glatte 500.

 

Nun droht der WDR nicht gleich, das Griechenland unter den Sendern zu werden. Die Anstalt steht immer noch gut da. Über 4000 Menschen finden dort feste Arbeit, und der Etat ist mit 1,4 Milliarden Euro auch nicht von schlechten Eltern. Die Substanz scheint gesichert.

 

Schwieriger wird es, wenn man dorthin schaut, wo der Sender leichter sparen kann als bei den Festangestellten, die keine Entlassungen fürchten müssen, nur ein wenig Arbeitsverdichtung, weil freiwerdende Stellen unbesetzt bleiben. Die Kürzungen treffen vor allem die freien Mitarbeiter, die sich zu Tausenden auf ein Leben mit dem WDR eingerichtet haben. Sie, die über Jahre dem Sender als flexible Einsatztruppe gedient haben, müssen in der Regel als erste über die Klinge springen, wenn Etats gekürzt und Redaktionen zusammengelegt werden. 

 

Es rumort daher im Sender. Es rumort sogar sehr. So sehr, dass jene, die ihrem WDR loyal die Stange halten, beinahe zur schweigenden Minderheit degradiert werden. Da können sie noch so viel reden vom großen Umbruch, der unmittelbar bevorstehe, von den Chancen, die ein reformiertes Programm biete. Es glaubt ihnen niemand. Die Angst ist größer.

 

Dass die Angst nicht unbegründet ist, zeigte sich Anfang Juli. In einem offenen Brief wandten sich neunzig freie Mitarbeiter der Wissenschaftssendungen an Buhrow. Sie fürchteten die Minimierung ihrer Arbeitsmöglichkeiten, weil ihnen zu Ohren gekommen war, dass die WDR-Zulieferungen für die 3sat-Sendung »nano« massiv zurückgefahren werden sollen. Für den Fall der Fälle prophezeiten sie dem Sender einen immensen Imageschaden. 

 

Ihre Ängste wurden von WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn bestätigt. Der setzte sich umgehend mit den Freien zusammen und schenkte ihnen reinen Wein ein. Der WDR wolle sich mehr auf das WDR-Fernsehen und die Zulieferungen ins Erste konzentrieren, sagte er. Daher würden die »nano«-Zuflieferungen, die ohnehin schon um ein Drittel eingedampft worden waren, noch einmal herabgesetzt — von fünfzig auf dreißig Beiträge. Und zum 31. Dezember 2016 wolle man den Liefervertrag ganz kündigen und dann neu verhandeln. Was das heißt, kann sich jeder an fünf Fingern ausrechnen, selbst wenn der WDR betont, die Kündigung sei keine Vorentscheidung über einen Ausstieg aus dem Projekt »nano«. Prompt regte sich weiterer Protest, auch an den Unis, wo eine Verarmung des Wissenschaftsstandortes NRW beklagt wird.

 

Doch nicht alle bevorzugen solchen Klartext wie den von Schönenborn. Seine für den Hörfunk zuständige Direktorenkollegin Valerie Weber reagierte extrem angefasst, als ein anonymer Twitter-Account namens »WDR_Leaks« innerhalb weniger Tage über 1500 Follower fand. Dort wurden nicht nur besorgte Kommentare veröffentlicht, sondern auch Fotos von internen Besprechungsprotokollen.

 

Für Hörfunkchefin Valerie Weber war das offenbar zuviel. Sie entschied sich, die eher kleine Aktion, die indes ein großes mediales Echo fand, mit dem Dampfhammer zu bekämpfen. »Illoyalität schadet dem ganzen Unternehmen«, ließ sie verkünden und gab mit Blick auf die geleakten Protokolle fast schon die Weinerliche. »Deshalb enttäuscht es mich besonders, dass solche kreativen Prozesse in dieser filigranen Phase des Entstehens — wenn noch gar nichts entschieden ist — nach außen getragen werden. Und als Chef überlegen Sie dann auch, ob Sie sich — bei allem Teamspirit — künftig noch mit Mitarbeiterinnen und Mitar-beitern beraten können, wenn einzelne von ihnen WDR-Interna nach außen ›posten‹.«

 

Diese wenig diplomatische Reaktion, die vor allem belegte, wie sehr sich da jemand nach alten Herrschaftsstrukturen sehnt, hätte möglicherweise nur kurz Beachtung gefunden, wäre sie nicht über geraume Zeit die einzige offizielle Reaktion des WDR geblieben. Man dürfe nicht mehr sagen, hieß es, wo immer man anfragte. Die Gremien müssten erst über die anstehende Reform entscheiden. Gerne würden die überzeugten WDRianer die lodernde Aufregung, die vor allem die freien Mitarbeiter zum Protest treibt, löschen. Aber sie wirken wie Feuerwehrleute, die mit großen Schläuchen angerückt sind, nun aber kleinlaut zugeben müssen, dass sie sich das benötigte Wasser erst noch genehmigen lassen müssen.

 

Der WDR ist bei allen größeren Entscheidungen an ein höchst bürokratisches Verfahren gebunden. Reformvorhaben landen zuerst im Rundfunkrat, der daraufhin seinen Programmausschuss bemüht, welcher das Vorhaben prüft und eine Vorlage für den Rundfunkrat verfasst, die dieser dann diskutiert und abnickt, modifiziert oder ablehnt. So was kann dauern, erst recht über den Sommer. Das nächste Mal tritt der Rundfunkrat am 18. August zusammen. Bis dahin bleibt im WDR vor allem eines sicher: die Ungewissheit.

 

Die treibt zum Beispiel die Mitarbeiter im Hörfunk um, die gerade miterleben, wie sich Pläne verdichten, die Nachrichten für alle Sender künftig zentral herzustellen, sozusagen auf ein News-Mainstreaming zu setzen. Parallel verdichten sich die Hinweise, dass die vom Privatradio Antenne Bayern abgeworbene Hörfunkdirektorin Weber, die es schon für investigativen Journalismus hält, wenn man Meldungen von einer verzögerten Erdbeerblüte im Lande nachgeht, das Programm weiter im Privatsendersinne glattbügeln will. So stattet das für seine unkonventionelle Musikauswahl bekannte Funkhaus Europa schon jetzt einen großen Teil seines Programms mit Mainstream-Hits aus. Da kann Weber noch so oft sagen, sie fühle sich dem öffentlich-rechtlichen Gedanken ganz und gar verpflichtet, ihre Taten sprechen eine andere Sprache.

 

Gleichzeitig stöhnen immer mehr Mitarbeiter über die Crossmedialitätshysterie, die im Sender um sich greift. Jeder Beitrag muss am besten in alle Kanäle passen: ins Fernsehen, ins Radio und ins Netz. Am besten soll das ein Mitarbeiter allein erledigen. »Hauptsache crossmedial« scheint die Devise zu lauten. Was das mit den Inhalten und der Qualität von Beitragen macht, fragt kaum einer.

 

Auch die Mitarbeiter der Dokumentationsreihe »Hier und Heute« im WDR-Fernsehen sind verunsichert. Ihre Sendung wird wohl wegfallen und in Bruchstücken woanders integriert. Auch das angenehm bunte WDR-5-Meinungsmagazin »Politikum« steht vor der Eindampfung. Anstatt vier Mal die Woche eine knappe halbe Stunde um 19.05 Uhr zu senden, soll künftig wohl eine Stunde in der Woche irgendwo im Quotennirwana nach 20 Uhr reichen. Natürlich wolle man nicht ein aufmüpfiges Magazin beschneiden, heißt es. Natürlich nicht.

 

Man kommt angesichts der vielen offenen Baustellen nicht umhin, beim WDR eine gewisse Hemdsärmeligkeit beim Umgang mit Problemen zu diagnostizieren. Es wirkt, als mache sich kaum jemand Gedanken darüber, was welche Aktionen für den Ruf des Senders bedeuten. 

 

Als bestes Beispiel kann da der Verkauf jener Kunstwerke dienen, die der WDR über die Jahrzehnte anschaffte und nun in klammen Haushaltszeiten wieder loswerden will. Drei Millionen Euro soll im kommenden Jahr der Verkauf über das Auktionshaus Sotheby’s bringen, hieß es. Drei Millionen. Einmalig. Auf der anderen Seite der Gleichung steht dagegen ein immenser Imageschaden, den sich der Sender mit der kurz gedachten Aktion eingehandelt hat. Ein feuilletonistischer Shitstorm sondergleichen zog über die Anstalt, und sogar Bundeskulturstaatsministerin Monika Grütters protestierte gegen den Verkauf. Nicht wenige stellten die Frage, warum man weiter teure Orchester finanziere, bei der bildenden Kunst aber so ruppig zu Werke gehe.

 

Ob sich die Probleme mit der Rundfunkratssitzung am 18. August lösen lassen, muss sich zeigen. Es wäre dem WDR und den um ihre Beschäftigungsmöglichkeiten bangenden Mitarbeitern zu wünschen, dass mal etwas Klarheit ins Spiel käme. Selbst ein Ende mit Schrecken wäre für manchen besser als das bis jetzt praktizierte Herumeiern.