Foto: Manfred Wegener

Unerreichbar nah

YouTube-Stars sind wie ihre Fans. Mal albern, mal verliebt,

mal schüchtern und mal Draufgänger. Einer ihrer Fans ist

die 14-jährige Ginger. Sie wollte gemeinsam mit ihrer Mutter

für die StadtRevue ein Interview mit Kölner YouTubern

führen und musste feststellen, dass das Starsystem

YouTube nicht wie ein Kommentarfeld funktioniert.

Sie drehen Videos über Computerspiele, Longboard-Touren an den Rhein, Schminktipps oder Alltagsprobleme — und erreichen damit Millionen Jugendlicher. YouTuber sprechen zu Teenagern, als wären sie einer von ihnen. Bild, Express und Jugendmedien beschreiben sie als »Internetstars«, weil ihre YouTube-Kanäle als Sprachrohr von und für Teenies gelten. Dabei haben YouTuber nicht nur eine Rolle, sondern gleich drei. Sie sind Internetstar, Alphatier der YouTube-Community und eine Werbefigur für Unternehmen auf der Suche nach jugendlichen Kunden. Und Köln ist ihre Hochburg.  

 

Alle großen YouTuber sind bei einer spezialisierten Agentur unter Vertrag. Diese unterstützt sie dabei, eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen und bringt sie mit werbewilligen Unternehmen zusammen. Sie platziert Produkte in den Videoclips und findet Sponsoren für Aktionen — es geht um Reichweiten und Werbedeals, sprich: um richtig viel Geld. Das demonstrierte im Winter der Skandal um YouTube-Flaggschiff Simon Unge, dessen Kanal 1,3 Millionen Abonnenten besitzt. Unge hatte sich öffentlich über die schlechten Konditionen des — irgendwann wohl von ihm selbst unterschriebenen — Vertrags mit der Agentur Mediakraft beschwert. Seine über die Hintergründe nicht gut informierte Fancrowd überzog daraufhin Mediakraft mit einem Shitstorm, und Unge wanderte mit einigen anderen YouTube-Größen zur Agentur Tubeone ab. Dieses fast filmreife Branchenepos ist made in Cologne: YouTuber wie Agenturen sitzen in Köln, und betreiben rund 25 Kanäle, die zusammen fast 25 Millionen Abos zählen.

 

Einige YouTuber wohnen im sogenannten YouTuber-Haus in der Südstadt zusammen, und so können sich ihre Fans an zahlreichen Videos ihrer Idole bei Spaziergängen oder Longboard-Touren zwischen Chlodwigplatz und Rheinauhafen erfreuen. Erste Bewohner des Hauses waren Simon Unge und Felix von der Laden aka Dner (2 Millionen Abonnenten), dann sind eine Handvoll — so wollen es uns die Videos glauben machen —  befreundeter YouTuber mit eingezogen. Echt oder Inszenierung? Oder beides? Freundschaft, Alltag und Werdegang werden abgefilmt und öffentlich geteilt. Das kommt besser an als die synthetischen Entwürfe überstilisierter Daily Soaps — wo sie doch so echt erscheinen. Ach, und Unge ist inzwischen wieder ausgezogen, weil es ihm im Fokus von Medien und Fans dann doch zu wenig Privatsphäre gab, dafür existieren noch zwei andere YouTube-WGs in der Stadt. Höhepunkt der Kölner YouTuber-Szene sind jedes Jahr die »Videodays« im Rahmen der Gamescom — ein Familientreffen mit YouTubern und ihren Fans, zu dem im vergangenen Jahr 15.000 Besucher kamen.

 

Passend dazu sollte es ein großes Interview geben: ein Gespräch zwischen Kölner YouTubern und dem 14-jährigen YouTube-Fan Ginger, der Tochter der Autorin dieses Artikels. Fans und YouTuber sollten auf Augenhöhe über das Phänomen YouTube nachdenken, das Ginger fasziniert.

 

Also fragten wir bei möglichen Gesprächspartnern an, wir schrieben E-Mails, hinterließen Nachrichten bei Facebook und Twitter. Wir schickten Messages über öffentliche Seiten und private Profile, wir schrieben Agenturen an; sogar persönliche Wege über Freunde und Familien der YouTuber ließen wir nicht aus. Doch wir erhielten keine Rückmeldung, nicht einmal eine Absage. 

 

Das Prinzip von YouTube ist der Dialog, so zumindest das Versprechen. YouTuber laden via Videostream in ihre Wohnung ein: Im Wohnzimmer wird gezockt, im Schlafzimmer werden Alltagsprobleme besprochen, im Badezimmer gibt’s Schminktipps, in der Küche teilt man sich Pizza. Scheinbar private Themen werden in scheinbar privaten Räumen geteilt, und abends geht es gemeinsam an den Rhein. YouTuber versprechen Freundschaft und Nähe —  über die Kommentarfunktion. Das ähnelt dem Leben der meisten Teenager, die nach der Schule mehr Zeit mit WhatsApp oder Skype verbringen als mit persönlichen Treffen.

 

Aber dann kam doch noch eine Rückmeldung. Auf unsere Interviewanfrage an Simon Unge und seinen ehemaligen Mitbewohner Taddl per Email an die Agentur Tubeone erhielten wir eine Antwort von Artist-Managerin Kati: »Unge befindet sich zum angedachten Zeitpunkt bereits auf seiner Weltreise und Taddl ist generell kein Freund solcher Interviews.« Was bitte sind »solche« Interviews? 

 

In einem Telefonat bekamen wir erklärt: »Interviews mit Fans — genau auf diese Situationen mit verknallten jungen Mädchen haben die YouTuber gar keinen Bock.« Ich erläuterte die Idee der Gesprächsrunde und versicherte, dass der ausgesuchte Fan keines dieser verknallten Mädchen sei, sondern einige recht kritische Fragen habe. »Trotzdem — solche Anfragen brauche ich denen gar nicht vorzulegen. Es ist mein Job, die Jungs vor genau solchen Anfragen zu schützen.« Ein StadtRevue-Interview ohne Fan würde also gehen? »Ich würde mir erst einmal die Fragen anschauen, und wenn das spannend ist, würde ich die Anfrage weiterleiten«, so Artist-Managerin Kati.

 

Die direkte Auseinandersetzung mit einem Fan, mit Nachfragen, Bedenken oder gar kritischen Anmerkungen, ist also unerwünscht. Doch was möchte ein 14-jähriges Fangirl von seinen YouTube-Stars wissen? Ginger hat ihre Fragen aufgeschrieben: Seid ihr hauptberuflich YouTuber oder macht ihr noch etwas anderes? Welche Berufsausbildung habt ihr? Warum lassen YouTuber die Community so nah an sich heran? Gab es schonmal heftige Situationen mit Zuschauern? Warum stehen die wenigsten YouTuber zu den Produktplatzierungen? Warum stehen YouTuber nicht dazu, Personen des öffentlichen Lebens zu sein?

 

Das wäre eine spannende Gesprächsrunde geworden. »Ich hatte mich darauf gefreut, den YouTubern zu zeigen, dass nicht alle ihre Fans hysterisch kreischende Mädchen sind. Ich war gespannt, wie sie mit meinen Fragen umgehen«, sagt Ginger. »Ich hab die YouTuber noch nie mit Kritik umgehen sehen — die wenigen kritischen Fragen aus den Kommentaren werden bei Antwortrunden immer ausgelassen.«

 

 

Dass sich kein YouTuber auf diese Gesprächsrunde einlassen will, gestattet einen Blick hinter die Fassade des schönen, heilen Videoalltags. Dahin, wo der YouTuber nicht mehr Kumpel ist, sondern Teil eines Marketing-Abkommens. Das Starsystem YouTube beruht auf einer Nähe, die nur auf Distanz funktioniert: Man darf von seinen Protagonisten träumen, doch dürfen sie nicht real werden. Wo sich Jugendliche nach ihren Vorbildern sehnen, da lassen sich Produkte verkaufen, denn sie sind die einzige haptische Verbindung zwischen Videorealität und Kinderzimmer. Das Warenangebot reicht von Limonade und Mascara über Games bis hin zum Merchandising der YouTuber selbst; vom Album der Band, in der ein YouTuber spielt, über Baseballcaps und T-Shirts, mit denen monatlich Tausende von Euros verdient werden, bis hin zur eigenen Make-up-Linie oder dem Simon-Unge-Longboard.

 

»Durch die Absage der YouTuber ist mir klar geworden, wieviel Schein da im Spiel ist. Die kümmern sich nicht so liebevoll um ihre Fans, wie sie vorgaukeln«, meint Ginger. »Man wird von einem Trugbild eingelullt und denkt, man wäre denen so nah. Dabei werden wir mit Werbung zugeschüttet — wir sind ein Hilfsmittel zum Geldverdienen.« Die Videos schaut Ginger sich trotzdem weiter regelmässig an: »Sie sind unterhaltsam. Aber ich schaue inzwischen mit kritischem Auge.« Ginger würde sich wünschen, dass alle YouTuber öffentlich zu den Produktplatzierungen stehen, so wie es Simon Desue oder die Brüder Dimitri und Alexander Koslowski bereits vorgemacht haben. Auch der Inhalt der Kanäle ist wichtiger für Ginger geworden: »Gute Kanäle funktionieren über Formatideen mit einem geistigen Wert, wie bei SpaceFrogs oder LeFloid.« Und glaubt sie dem Versprechen der Nähe von YouTubern und Fans noch? »Diese Privatinszenierungen sind unötig. Man kann nicht sein Haus zeigen und sich dann beklagen, dass Fans die Adresse herausfinden.«