Ein Verlierer unter sich

Von Harvey Pekar gibt es mehr als eine Version: Michael Kohler sprach mit dem Schöpfer der Comicserie »American Splendor«, der auch den Antihelden des gleichnamigen Films spielt

Nach »Crumb« und »Ghost World« kommt jetzt mit »American Splendor« erneut eine etwas andere Comicverfilmung in unsere Kinos. Shari Springer Berman und Robert Pulcini erzählen darin vom Leben und von der Kunst des amerikanischen Undergroundautoren Harvey Pekar (geb. 1939), der sich selbst in eine Comicfigur verwandelt hat und seit einem Vierteljahrhundert mit grimmigem Humor aus dem Jammertal berichtet, das sein Alltag ist. Wie die gleichnamige Comicserie handelt der Film vom ewigen Kampf, den der neurotische Antiheld mit der Realität ausficht: angefangen bei seinen Ehen und der Arbeit als Hilfsarchivar in einem Krankenhaus bis hin zu kurzen Momenten des Ruhms, etwa als Gast in David Lettermans Late Night Show. Da Pekar nicht zeichnen kann, illustrieren verschiedene Künstler (u.a. sein Freund Robert Crumb) seine Geschichten und geben ihm ein Aussehen, das mal entfernt an Stanley Kowalski erinnert und mal eher an Fritz the Cat. Passend dazu ist Pekar auf der Leinwand in verschiedenen Versionen präsent: Er spielt sich als Erzähler selbst, der Schauspieler Paul Giamatti stellt ihn auf wunderbare Weise dar, und schließlich komplettiert seine Comicfigur eine Dreimännerwirtschaft, die nicht nur im Kino ihresgleichen sucht.

StadtRevue: Das Motto des Films »American Splendor« lautet: »Ordinary life is pretty complex stuff.« War das auch die Idee, mit der Sie
in den 70er Jahren Ihre Comicserie begannen?

Harvey Pekar: Ja, unbedingt. Ich bin nicht sicher, ob es die einzige Idee war, aber mit Sicherheit spielte das eine wichtige Rolle. Ich fand, dass die damaligen Comics unter ihren Möglichkeiten blieben. Die Stoffe und Stile waren süßlich und auf eher kindliche Gemüter zugeschnitten. Es gab praktisch keine realistischen Comics, und auch in den anderen Künsten fand sich wenig bis nichts über die alltäglichen Dinge des Lebens. Darüber, wie man eine Erkältung los wird, ein bisschen Geld auftreibt und die anderen Hürden des Alltags nimmt. Der eine macht sich vielleicht Sorgen wegen fünf Dollar, der andere wegen 5.000 Dollar, doch letztlich treibt beide die gleiche Sorge um. Mich interessiert gerade dieses ewige Ringen mit den Kleinigkeiten. Jeder kennt es, aber niemand schrieb damals darüber.

Ihre Comicserie wurde ein Underground-Erfolg, und sie bekamen ihren Teil vom Ruhm als gern gesehener Gast in David Lettermans Late Night Show. In den im Film gezeigten Ausschnitten sieht es so aus, als wären sie ständig auf Konfrontationskurs.

Letterman wollte mich als eine Art Clown vorführen. Wissen Sie, ich komme aus einer Stadt, die in Amerika ein Witz ist. Wenn Sie Cleveland erwähnen, bricht jedermann in Gelächter aus. Unser Fluss stand einmal in Flammen, als sich eine in ihm schwimmende Öllache entzündet hatte. Es brachte uns in die Schlagzeilen, und dann schrieb Randy Newman ein Lied mit dem Refrain »Burn on, big river, burn on« darüber. Ich selbst habe Zeit meines Lebens einen miesen Job gehabt und spreche mit einem ziemlich proletarischen Akzent. Letterman wollte mich als Karikatur präsentieren, und die ersten Male tat ich ihm den Gefallen, weil ich hoffte, es würde helfen, meine Bücher zu verkaufen. Das war aber nicht der Fall, und so beschloss ich, über das zu reden, worüber ich reden wollte und nicht über das, was er wollte. Lettermans Sender NBC gehört zu einem Firmenkonglomerat, das unter anderem auch Nuklearbomben herstellt. Ich sprach darüber, dass eine solche Firma nicht in der Lage sein sollte, ein Medienimperium für ihre Zwecke einspannen zu können. Letterman gefiel das gar nicht. Man sagt, jeder Mann hat seinen Preis. Letterman konnte mir nichts bieten, und da brauchte ich keine Rücksicht mehr zu nehmen.

Von dieser letzten Show gibt es
keine Originalaufnahmen im Film. Warum?

NBC hat Berman und Pulcini die Rechte nicht gegeben. Einiges durften sie verwenden, aber die schmutzigen Sachen halten sie unter Verschluss.

Einer ihrer Mitarbeiter im Krankenhaus, Toby Radloff, der »natural nerd« aus der Comicserie, wurde vorübergehend zu einer MTV-Ikone. Flirtete Amerika damals mit der Aura des Versagens?

Die Geschichte mit Toby lief so: MTV sah mich bei Letterman und wollte etwas über mich bringen. Dann sahen sie Toby und vergaßen mich. Er ist so ein ungewöhnlicher Charakter. Man weiß nie, was er als nächstes sagt. Sie machten eine Serie von kurzen Spots mit ihm und verloren dann wieder das Interesse.

»American Splendor« gehört mit »Crumb« und »Ghost World« zu den etwas anderen Comic-Verfilmungen der letzten Zeit. Haben Sie die Filme gesehen?

Ich mag sie beide sehr. Leider gibt es nur wenige Underground-Comics, die verfilmt werden. Meistens schaffen es nur Superman und Konsorten auf die Leinwand. Das Publikum weiß zu wenig über diese Alternative.

Stimmt es, dass Jonathan Demme und Leonardo DiCaprio »American Splendor« verfilmen wollten?

Jonathan Demme sprach mich 1980 deswegen an, doch kriegte er das Geld dafür einfach nicht zusammen. Ich kannte DiCaprios Vater George sehr gut, er machte auch Underground-Comics. Er mochte meine Arbeit, und als eine Produktionsfirma wegen einer Verfilmung an mich herantrat, wollte er Leonardo mit ins Boot holen. Allerdings bekamen wir auch mit ihm das Projekt nicht finanziert.

Hätte ihnen DiCaprio als Harvey Pekar gefallen?

Ich glaube nicht, dass er mich gespielt hätte. Er ist zu jung für mich. Ich war schon in den Dreißigern als ich mit den Comics begann. Vermutlich wäre eher Toby seine Kragenweite gewesen. Kurz zuvor hatte er in »Gilbert Grape« einen ähnlichen Charakter gespielt.

Die Regisseure von »American Splendor« legen einem den Eindruck nahe, dass Ihre Kunst therapeutisch ist. Stimmen Sie zu?

Ja, natürlich. Manches ist wirklich therapeutisch, oder besser kathartisch. Es hilft mir, die Dinge im richtigen Maßstab zu sehen. Wenn ich mich allein mit dem fühle, was ich erlebt habe, und dann kommt jemand und sagt: »Mir ist genau dasselbe passiert«, dann ist das wirklich therapeutisch.

Sie haben auch über ihre Filmerfahrung ein Comicbuch verfasst.

Ja, es erscheint im November. Aber es geht darin um viele Sachen, nicht nur um die Dreharbeiten selbst. Zum Beispiel gab es diesen großen Stromausfall in Amerika genau am Premierentag von »American Splendor«. Drei von den vier Städten, in denen der Film anlaufen sollte, waren ohne Strom: Cleveland, New York und Toronto. Ich bekam beinahe einen Herzanfall. Ich dachte: Jetzt habe ich diese herrlichen Kritiken, alles läuft wunderbar, und nun das. Das Ganze hätte Wochen dauern können, und bis dahin wäre der Film längst wieder in Vergessenheit geraten. Vor allem über solche Sachen habe ich geschrieben.

Es ist ein autobiografisches Buch über einen Film, der ihre früheren Bücher und damit ihr Leben nacherzählt. Das ist eine ziemlich komplexe Sache.

Ich habe es nicht so geplant, aber es ist so gekommen.

Bestimmt nicht? Sie sind schließlich auch Literaturkritiker und ein Experte für Avantgardeliteratur.

Nein, ich habe nie gedacht, dass alles so weit kommen würde, und ich hatte gute Gründe dafür – auch abgesehen von meinem angeborenen Pessimismus. Meine Bücher haben sich nie besonders gut verkauft. Der Gedanke, jemand könnte mehrere Millionen Dollar aufbringen, um ein Comicbuch mit einer jährlichen Auflage von 3.000 Stück zu verfilmen, ist schon etwas gewagt. Man müsste eigentlich annehmen, dass sich das Publikum nicht für mich interessiert. Doch so kann man sich irren.

Ist es nicht ironisch, dass sie berühmt geworden sind, indem sie sich selbst als ewigen Verlierer porträtieren?

Ja, es ist ironisch. Doch nach amerikanischem Empfinden bin ich ein Verlierer. Ich habe mein halbes Leben als Hilfsarchivar in einem öffentlichen Krankenhaus gearbeitet, und meine Pension reicht hinten und vorne nicht. Ich bin immer wieder erstaunt, dass sich die Leute noch an mich erinnern, nachdem der Film wieder aus den US-Kinos verschwunden ist. 63 meiner 64 Jahre hat sich niemand für mich interessiert, und jetzt plötzlich diese Aufmerksamkeit. Ich werde sogar eingeladen, um Reden zu halten. Ich kann nicht glauben, dass es so bleibt. Es würde mich aber jedenfalls aus der finanziellen Malaise befreien.

American Splendor (dto) USA 02, R: Shari Springer Berman, Robert Pulcini, D: Paul Giamatti, Harvey Pekar, Hope Davis, 101 Min. Start: 28.10.