Angela Steidele, Foto: Ben Chislett

Gender Trouble mit Lederwurst

Eigentlich gilt der historische Briefroman als Trash-Genre: Weltgeschichte und Privates vermischen sich, historische Fakten dienen zur Ausschmückung von ewiggültigen Gefühlswallungen. Angela Steideles Briefroman »Der Rosenstengel« präsentiert sich dagegen als historische Faktensammlung. Das Buch, so verkündet die Autorin im Vorwort, bestehe aus Briefen des Arztes Franz Carl Müller an seine diversen Medizinerfreunde. Sie habe die Schreiben nach einer Odyssee durch verschiedene Archive schließlich im Kölner Stadtarchiv entdeckt und einige wenige Abschriften machen können, bevor die Akten nach dem Einsturz des Archivs nicht mehr wiedergefunden werden konnten.

 

Müller arbeitet als persönlicher Nervenarzt von Prinz Otto, dem psychisch kranken Bruder des Bayernkönigs Ludwig II. Schnell gewinnt er das Vertrauen des Herrschers, der ihm ermöglicht, neben der Tätigkeit als Arzt in längst zu den Akten gelegte Krankenfälle einzutauchen. Dabei entdeckt er die Geschichte von Anastasius Lagrantinus Rosenstengel, einer Knopfmacherin und Soldatin »mit lederner Wurst« aus dem frühen 18. Jahrhundert, die sich als Mann tarnte, eine Frau heiratete und 1721 wegen Sodomie hingerichtet wurde. 

 

Und an dieser Stelle wird es etwas komplizierter. Die Geschichte von Rosenstengel hat die Autorin Steidele selbst schon vor zehn Jahren erforscht und aufgeschrieben. Jetzt nähert sie sich dem historischen Gegenstand mit erneut an und verrät dabei etwas über die Schwierigkeiten, Geschichte zu schreiben.

 

»Rosenstengel« spielt im späten 19. Jahrhundert, als die Naturwissenschaften zur Welterklärungsdisziplin wurden und sich die Begriffe herausbildeten, mit denen wir uns heute abmühen, mensch-liche Sexualität zu verstehen. Franz Carl Philipp wird im Roman durch seine historischen Funde dann auch eher verwirrt als bestätigt. Ludwig II. wiederum ist fasziniert von den Erkenntnissen des Arztes und ganz genretypisch ist dies nicht nur ein Interesse an der Wissenschaft. So wird aus »Rosenstengel« doch noch ein Roman mit Gefühlswallungen, aber einer, der weiß, dass nicht nur Geschichte gemacht ist, sondern auch Gefühle.