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Das Bewerbungsgespräch

Wer löst Oberbürgermeister Jürgen Roters ab? Jochen Ott und Sozialdezernentin Henriette Reker reden darüber, was sich in Köln ändern soll und wie sie das schaffen wollen.

Frau Reker, Herr Ott, viele Menschen werfen Ihnen vor, Ihre Positionen seien zu ähnlich. Was unterscheidet Sie voneinander?

 

Henriette Reker: Ich bin eine Frau, Herr Ott ist ein Mann. Im Gegensatz zu Herrn Ott gehöre ich als Dezernentin für Soziales und Umwelt zur Kölner Verwaltung, also weiß ich, wo und wie man die Verwaltung verändern muss. Ich habe etwa in meinem Dezernat eine Fehler-Kultur und eine ämterübergreifende Zusammenarbeit bei der Flüchtlingsunterbringung eingeführt. Meine Amtsleiter treffen sich mindestens einmal jährlich, um darüber nachzudenken, wie man die Stadt zukunftssicher machen kann.

 

Jochen Ott: Ich habe große Zweifel, ob ausgerechnet Ihr Sozial- und Umweltdezernat ein gutes Beispiel für innovative Konzepte oder eine ausgeprägte Lösungskultur ist. Ich habe in meiner Zeit als Kommunalpolitiker gesehen, was es in dieser Stadt an Themen gibt. Ich möchte Köln an vielen Stellen besser machen. Frau Reker und ich haben unterschiedliche Biografien, wir leben in unterschiedlichen Lebenssituationen und haben einen anderen Blick auf diese Stadt, von daher kann bei dieser OB-Wahl niemand sagen: »Die sind immer alle gleich«. Ich glaube zum Beispiel, dass der Anspruch, Dinge nach vorne zu treiben, in der Verwaltung an vielen Stellen nicht so ausgeprägt ist. Es wird eher verwaltet und nicht gestaltet. 

 

Reker: Dass momentan eher verwaltet und nicht gestaltet wird, glaube ich übrigens auch. Darüber sind wir uns einig.

 

Bei der vergangenen OB-Wahl 2009 warben SPD und Grüne für Jürgen Roters, weil er Verwaltungsfachmann sei. Jetzt sagt die SPD aber, wir sollen ihren Parteivorsitzenden wählen. Weswegen braucht Köln denn jetzt keinen Verwaltungsexperten mehr, Herr Ott?

 

Ott: Wir hatten in den Jahren seit 2007 mit dem Höhepunkt des Stadtarchiv-Einsturzes 2009 eine sehr schwierige Situation für diese Stadt. Damals war jemand, der Polizeipräsident und Regierungspräsident gewesen ist, der Geeignete, um wieder Struktur und Ordnung in eine völlig desolate Verwaltung unter Fritz Schramma zu bringen. Jetzt sind wir in einer Phase, wo diese Stadt vor großen Entscheidungen steht, etwa infolge des Bevölkerungswachstums oder des Klimawandels. Nun ist jemand nötig, der Ideen formuliert und Dinge nach vorne treibt. 

 

Also ein Oberbürgermeister, der stärker politisch agiert?

 

Ott: Jemand, der klar Stellung bezieht. Ich glaube, dass es für die Bevölkerung auch einfacher ist, wenn sie weiß, in welche Richtung es gehen soll. Dann kann man sagen: »Nein, das will ich aber nicht« — dann kommt eine Diskussion zustande.

 

Reker: Aber so ist es ja nicht! Auf meiner Homepage -können die Leute nachlesen, was ich für richtig halte. Bei Ihnen aber, Herr Ott, gibt es den Link zur SPD. Die Ziele der SPD sind damit auch Ihre Ziele. Die ganzen Probleme sind ja nicht erst vor einem halben Jahr aufgetreten, die wachsende Stadt kennen wir länger.

 

Aber Herr Ott war nicht Oberbürgermeister?...

 

Reker: Nein, aber er hat als Parteichef der größten und einflussreichsten Partei trotzdem Verantwortung getragen!

 

Ott: Es ist schon interessant, welches Bild Sie von Parteivorsitzenden haben! Dann lässt es ja Schönes erwarten, wenn Sie davon ausgehen, dass die Parteivorsitzenden der CDU, der Grünen und der FDP Ihre Arbeit auch maßgeblich bestimmen werden.

 

Reker: Das ist doch gerade der Unterschied! Ich bin nicht an Parteitagsbeschlüsse gebunden.

 

Ott: Aber Sie vermitteln ein anderes Bild. Entscheidend ist doch, dass man eine eigene Position hat.

 

Oder ist es vielleicht egal, wer OB ist? Weil er hauptsächlich repräsentative Aufgaben übernimmt, und weil die Politik in Köln vor allem von den Partei- und Fraktionsvorsitzenden bestimmt wird?

 

Reker: Das kommt darauf an, wie man dieses Amt ausübt. Nach meiner Wahrnehmung haben die Oberbürgermeister Jürgen Roters und Fritz Schramma die Funktion nicht steuernd wahrgenommen, sondern eher repräsentativ. Wichtig ist aber, die Verwaltung zu steuern, um diese wachsende Stadt in die Zukunft zu führen. Die wachsende Stadt muss das Tempo vorgeben und nicht mehr — wie bisher — die Verwaltung. Und dazu muss man etwas von dem Handwerk verstehen und Führungserfahrung haben, um Menschen zu motivieren.

 

Ott: Wo ich bisher Verantwortung getragen habe, habe ich immer gezeigt, dass ich motivieren kann, auch über Parteigrenzen hinaus. 

 

Frau Reker, sie werden von CDU, Grünen, FDP sowie Deine Freunde und den Freien Wählern unterstützt — das ist ein breites politisches Spektrum. Wofür aber stehen Sie?

 

Reker: Ich habe ganz konkrete Vorstellungen, und meine Unterstützer identifizieren sich nicht mit allen. Aber sie unterstützen mich, weil sie endlich eine professionelle Verwaltungsführung wollen, die offen ist für neue Ideen. Jede gute demokratische Idee soll ans Licht der Welt kommen. Das passiert aber nicht, wenn man ideologisch filtert — das geschieht aber leider im Moment.

 

Ott: Ich glaube, dass die Verwaltung oder die Menschen in der Stadt keinen Richter brauchen, der verschiedene Plädoyers anhört und dann in der Gnade entscheidet, wie denn jetzt sein Urteil ist. Bei mir weiß man jedenfalls immer, woran man ist.

 

Frau Reker, Ihre Unterstützer wollen auch eine Gegenleistung falls Sie gewählt werden. Sie stehen den Grünen nahe, aber was bekommen CDU und FDP von Ihnen? 

 

Reker: Ach, ich wünsche mir auch jeden Tag gutes Wetter! Nein, ich habe keinerlei Absprachen getroffen und ich gedenke es auch nicht zu tun! Das war von Anfang an klar. Es gibt auch eine Welt außerhalb von Köln und da funktioniert das.

 

Ott: Wenn man mit den einzelnen Parteien redet, muss man einen anderen Eindruck gewinnen?... Aber wer bin ich, dass ich Ihre Aussage hinterfrage.

 

Es gibt die Floskel »Ich bin OB für alle Kölner«. Mal anders gefragt: Wer muss denn Angst davor haben, dass Sie OB werden?

 

Reker: (lacht) Es ist nicht mein Stil, Menschen Angst zu machen. Aber ich bin gegen Seilschaften und stark parteipolitisch forcierte Zusammenschlüsse. Mir geht’s um die Sache. Ich möchte eingefahrene Strukturen aufbrechen, aber ich glaube nicht, dass das den Menschen Angst macht, sondern, dass sie dazu bereit sind.

 

Und muss vor Ihnen jemand Angst haben, Herr Ott?

 

Ott: Nein, Angst wäre auch ein schlechter Ratgeber für gute Politik. Mir ist einfach wichtig, dass der Fokus auch auf jene gelegt wird, die in dieser Stadtgesellschaft nicht aus eigener Kraft laut genug sind, um für ihre Interessen einzutreten — egal ob in Finkenberg, Chorweiler oder Meschenich. Und wir müssen in der wachsenden Stadt auch die Interessen derer berücksichtigen, die noch nicht hier wohnen. Man muss den Mut haben, zu sagen, dass deren Wohnungen irgendwo auch gebaut werden. 

 

Wie sieht denn die ideale Bürgerbeteiligung für Sie aus, Frau Reker?

 

Reker: Sie muss ehrlich und verbindlich sein, und eine Beteiligung muss rechtzeitig stattfinden, damit die Bürger auch Einfluss nehmen können. In der Flüchtlingsunterbringung habe ich mittlerweile mehrere Dutzend Veranstaltungen durchgeführt. Anfangs wurde häufig gefragt: »Warum sind wir nicht beteiligt worden?« Ich habe dann gesagt: »Die Entscheidung ist getroffen, wir beteiligen Sie an dem Wie der Umsetzung, nicht an dem Ob.« Sonst hätten die Leute ja das Gefühl gehabt, man lädt sie zum Tanzen ein und dann können sie nur zugucken. Das wird mittlerweile verstanden. 

 

Bei Unterkünften für Flüchtlinge geht es auch darum, mit der Bürgerbeteiligung rassistische Ressentiments zu verhindern. Wie sähe eine positive Bürgerbeteiligung aus, bei der sich Menschen gern beteiligen und auch Erfahrungen aus ihren Stadtteilen einbringen können?

 

Reker: Da haben Sie jetzt schon was ganz Wichtiges gesagt: Stadtteile! Die Bezirke müssen gestärkt werden, auch in der Verwaltung. Aber wir müssen unterscheiden zwischen Entscheidungen, die gesamtstädtisch zu treffen sind, und solchen Entscheidungen, die den Stadtbezirk betreffen. Ich glaube, dass die Bürgerbeteiligung auf Bezirksebene leichter zu organisieren ist.

 

Ott: Selbst der Stadtbezirk ist oft noch zu groß, um Beteiligung vernünftig zu organisieren. Es muss kleinräumiger sein! Die Beteiligungen im Westen der Stadt finden oft als Anhörungen mit Bürgerinnen und Bürgern statt, im Osten aber oftmals bloß als Aushang im Bezirksrathaus. Es gibt ein Ungleichgewicht! Und bei gesamtstädtischen Fragen, etwa zum Godorfer Hafen, brauchen wir ein anderes System. Vielleicht auch, dass Menschen anhand statistischer Methoden ausgewählt und einbezogen werden, um alle Interessen abzubilden. Es ist wichtig, hier Neues auszuprobieren.

 

Reker: Vieles davon ist richtig, ja. Es gibt viel zu wenig Menschen mit Migrationserfahrung bei Beteiligungsprozessen. Das liegt auch daran, dass wir uns mehr um sie bemühen müssen. Man muss ein anderes Klima herstellen und auf die Leute zugehen. 

 

Das alles braucht Zeit und Personal. Wie stellen Sie denn bei der knappen Haushaltslage die Mittel dafür bereit? Schon jetzt ist der Kölner Haushalt ein Debakel, von der angekündigten »haushaltspolitischen Nachhaltigkeit« ist nichts zu spüren.

 

Reker: Beim Kölner Haushalt ist es bisher so: Die Dezernate melden ihren Bedarf an, dann guckt man, wie viel Geld auf der anderen Seite zur Verfügung steht, und dann werden die Anmeldungen gekappt — das ist für mich keine Setzung von Prioritäten. Man tut jedem ein bisschen weh, aber keinem so richtig. Das können Sie als Dezernentin so gut wie gar nicht beeinflussen.

 

Aber als Oberbürgermeisterin könnten Sie das ändern...

 

Reker: Richtig. Ein OB legt den Haushalt vor. Wichtig ist zu gucken, ob Geld effizient eingesetzt wird, wenn man seit Jahren Rahmenbedingungen nicht überprüft hat. In der Verwaltung dreht man immer eine Kurve und noch eine Kurve. Wir haben viele strukturelle Dinge, die man abschaffen kann. So entlastet man die Verwaltung, die über Jahre sparen musste, deshalb haben wir etwa auch so einen hohen Krankenstand in der Verwaltung.

 

Ott: Es ist schon ein starkes Stück, Frau Reker! Sie tragen seit fünf Jahren als Dezernentin im Stadtvorstand Mitverantwortung für den Haushalt und sagen jetzt, Sie hätten im Grunde genommen mit dem Haushalt nichts zu tun. Wir haben die dezentrale Budgetverantwortung: Die Dezernenten sollen Vorschläge machen. Und da frage ich mich bei vielem, wo die Prioritätensetzung ist. Ich habe klare Vorstellungen über Umschichtungen, aber es gibt nun mal einen Stadtvorstand, der als Team arbeitet. Wir müssen vor allem große Projekte schneller umsetzen. Warum brauchen Baugenehmigungen fünf oder sieben Jahre? Kann man das nicht durch eine bessere Abstimmung beschleunigen? Dazu muss von der Spitze klargemacht werden, was Priorität hat.

 

Reker: Ich bin überrascht, wie Sie sich die Arbeit des Stadtvorstands vorstellen, Herr Ott! Entschieden wird dort vom Oberbürgermeister. Und da kann man als Dezernentin Dinge natürlich anregen, aber genau dieses Team, was ich mir auch wünsche, gibt es unter Herrn Roters bislang nicht.

 

Was hat die Verwaltung denn bei der Opernsanierung falsch gemacht?

 

Reker: Wir müssen aus den Erfahrungen lernen, dass wir zukünftig Großprojekte realistischer betrachten und klar organisieren. Durch das Erreichen von Meilensteinen muss Sicherheit in den Stand der Fertigstellung erlangt und ständig überprüft werden. Außerdem braucht es einen Projektsteuerer, der fachlich und persönlich qualifiziert ist. Das ist bei einer Stadt nicht anders als bei jedem anderen Unternehmen. Jeder, der schon einmal gebaut hat, weiß, wie schwer es ist, einen Fertigstellungstermin einzuhalten. Überraschend ist, dass solche Erkenntnisse erst drei Monate vor der geplanten Eröffnung gewonnen werden. Es muss zudem jemanden im Büro des Oberbürgermeisters geben, der Milliardenprojekte und Risikomanagement macht und transparent über den Stand von Projekten berichtet. 

 

Ott: Hier wurden ganz offenbar die Verantwortlichkeiten vor Projektbeginn nicht klar geregelt. Das muss sich ändern. Vor Beginn eines Projekts muss festgelegt sein, wer für welchen Bereich zuständig ist. Des Weiteren muss auch klar vor Projektbeginn festgelegt werden, in welcher Reihenfolge die Arbeiten erledigt werden müssen. Und natürlich darf man sich durch künstlichen Termindruck nicht von auf dem Bau agierenden Firmen quasi erpressbar machen. 

 

Weil Köln stark wächst, ist eine Debatte um neue Hochhäuser entbrannt. Außerdem wollen wir Familien in Köln halten und vielfältigere Wohnformen anbieten. Wie müssen wir denn nun bauen?

 

Reker: Studentisches Wohnen muss anders aussehen als Seniorenwohnen oder generationenübergreifendes Wohnen. Barrierefreiheit ist wichtig und zwar nicht nur im Erdgeschoss. Es nützt nichts, Hochhaussiedlungen hochzuziehen, auch wenn ich manchmal über Chorweiler sage, dass dieser Stadtteil in Brasilien hip wäre, weil er gut gelegen ist. Wir werden nicht mehr Wohnungen schaffen, indem wir nur nach Bund und Land rufen. Einen Großteil unserer Aufgaben müssen wir auch mit eigenem Geld erledigen. Ich will den Wirtschaftsstandort stärken, um mehr Einnahmen zu erhalten — und zwar nicht mit Erhöhung der Gewerbesteuer. Damit schrecken wir Menschen, die sich in Köln ansiedeln wollen, bloß ab. Die gehen ja jetzt schon ins Umland, weil sie sagen, ich kann die facilities in Köln auch wahrnehmen, wenn ich mich in Hürth ansiedele.

 

Ott: Die Diskussion über massenhaften Hochhausbau ist eine Scheindebatte. Wir haben bei der Wohnraumförderung seit einigen Jahren klare Vorgaben, dass es keinen geförderten Hochhausbau mehr geben soll. Die Frage ist doch, wie man lebendige Stadtteile mit verschiedenen Milieus schafft. Das geht vor allem über den Preis. Klar, wir brauchen ein hochpreisiges Segment. Doch Großstadt bedeutet auch, dass sie gemischt ist. Rentner können mit monatlich 1100 Euro nicht die Miete ihrer Innenstadtwohnung bezahlen. In den neuen Quartieren muss gemischtes Wohnen möglich sein!

 

Herr Ott, Sie reden von lebendigen Veedeln. Aber wenn Menschen ein Viertel beleben, wird dies oft als Ruhestörung wahrgenommen. 

 

Ott: Ich will einen »Nachtbürgermeister«, weil so was nicht vom Ordnungsamt, sondern im Zusammenspiel der verschiedenen Verwaltungseinheiten entschieden werden muss. Investoren sollten Kulturschaffende nicht vertreiben. Das Gebäude 9 ist das beste Beispiel. Das zuständige Dezernat hatte das Problem nicht gesehen, und die Clubszene hatte natürlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht den Fokus darauf. Am Ende war der Investor aber selbstverständlich zu einem Kompromiss bereit. Als eine der wenigen Städte in Westdeutschland haben wir zum Glück noch nicht vollkommen durchgestylte Räume, insbesondere auf der Schäl Sick. Die müssen wir erhalten.

 

Wir waren damals überrascht, dass die SPD offenbar im Gebäude 9 tanzen geht ...

 

Ott: Cool, ne? 

 

Oberbürgermeister Roters hat beschlossen, mehr Menschen im Ordnungsamt für den Brüsseler Platz und den Ring einzustellen. Mit dem Geld hätte man die Stelle eines »Nachtbürgermeisters« finanzieren können.

 

Reker: Ich freue mich, dass Köln lebendig ist und dass man sich diesen öffentlichen Raum erobert hat. Das führt zu Konflikten, das ist völlig klar. Die kann man nur im Dialog lösen. Es ist wichtig, dass die Ordnungskräfte auf dem Ring Streife gehen, aber das soll kein kontrollierter Raum werden. Am Brüsseler Platz ist es zwar laut, aber am Ring fühlen sich Menschen unsicher. Das ist mir jedenfalls oft erzählt worden. Und das geht nicht.

 

Ott: Ich bin ganz erstaunt. Sie haben ja auch schon mehr Ordnungskräfte auf der Domplatte gefordert. Aber das führt bloß dazu, dass bestimmte Gruppen nach Kalk-Post oder zum Wiener Platz in Mülheim verdrängt werden. Das löst Probleme nicht nachhaltig. Auch ich bin sehr dafür gewesen, dass wir das Ordnungsamt besser ausstatten. Aber am Brüsseler Platz werden Sie mit dem Ordnungsamt wenig ausrichten. Was die Ringe angeht, werden wir aber Obdachlosigkeit, Drogenkonsum und die Probleme, die daraus folgen, so nicht lösen. Da braucht man vor allem soziale Interventionen und Jobs.

 

Immer mehr Menschen nutzen das Fahrrad. Was können wir von Ihnen als OB erwarten, damit Köln fahrradfreundlich wird?

 

Reker: Von mir können Sie Vorschläge erwarten. Ich betone das noch mal. Ein Politikwissenschaftler hat festgestellt, dass ein Oberbürgermeister nur zwanzig Prozent Entscheidungskompetenz hat. Das heißt, man kann vieles nicht entscheiden, nur anregen. Von mir können Sie eine fahrradfreundliche Stadt erwarten, weil ich auch an der Umwelt interessiert bin. Seit Jahren versuche ich, dieses Thema voranzubringen. Mir geht es viel zu langsam. München zeigt uns gerade, wie man die Stadt fahrradfreundlich macht. Ähnlich ist das mit Maßnahmen gegen den Klimawandel. Es steigert die Attraktivität der Plätze, wenn sie begrünt sind und auch Schatten spenden, zum anderen hilft es auch gegen den Klimawandel.

 

Aber wie wollen Sie das gegen Ihre Unterstützer von CDU und FDP durchsetzen?

 

Reker: Ich weiß nicht, wieso Sie immer meinen, ich müsse für oder gegen meine Unterstützer etwas durchsetzen! Es ist doch nicht so, dass auch die SPD einer vernünftigen Vorlage nicht zustimmen würde, nur weil sie von einer Oberbürgermeisterin Reker kommt. Davon gehe ich einfach gar nicht aus.

 

Ott: Aber es zeigt natürlich die Problemlage. Es ist uns gelungen, den Etat für den Fahrradverkehr im Land besser auszustatten. Wir haben jetzt auch im Kommunalhaushalt viel mehr Geld für Radwege. In den letzten zwei Jahren haben wir bei den maßgeblichen Plänen der Verkehrspolitik etwas aufgebrochen, was vor vier Jahren noch zu Aufständen geführt hat, als es um die Busspur an der Rheinuferstraße ging. Für mich hat auch die Fahrrad- und Fußgängerbrücke an der Bastei hohe Priorität!

 

Herr Ott, jetzt könnte man ja fast den Eindruck gewinnen, dass Sie demnächst dafür plädieren, den Godorfer Hafen mit dem Lastenfahrrad zu beliefern!

 

Ott: Es geht doch nicht um Extreme! Als hätte man entweder LKW oder Lastenfahrräder! Es ist klar, dass es in Zukunft mehr LKW geben wird. Warum haben wir denn so eine Umweltbelastung am Clevischen Ring und vielen anderen Stellen? Weil dort der Ausweichverkehr stattfindet. Wir müssen alles dafür tun, dass dieser Verkehr aufs Schiff und auf die Bahn kommt. Wenn ein großes Industrieunternehmen und der Hafen Duisburg sagen,
sie wollen Niederkassel-Lülsdorf entwickeln, dann muss man sich das zumindest angucken, weil es natürlich Auswirkungen hätte. Nur eines ist vollkommen klar: Einen Hafen im Süden wird es geben müssen. Denn sonst wird man den LKW kaum vom Norden in den Süden bekommen. Ein Ausbau des Godorfer Hafens ist für mich nicht erledigt!

 

Wir würden gern noch über Familie und Bildung sprechen. Frau Reker, Sie sagen, Sie wollen in der offenen Ganztagsbetreuung sowohl mehr Qualität als mehr Plätze. Wie wollen Sie beides gleichzeitig schaffen?

 

Reker: Das ist eine notwendige Forderung, denn mit der jetzigen Quote haben wir das Ziel noch nicht erreicht. Und der offene Ganztag muss eben so gestaltet sein, dass er wahrgenommen wird und dass Kinder und Jugendliche da auch bekommen, was sie brauchen. Das ist ja ein Zusammenwirken auch mit den Vereinen in den Quartieren. Das heißt, wir müssen das finanzieren...

 

... stärker finanzieren?

 

Reker: Im Moment besteht eher das Problem, dass das Geld nicht ausgegeben wurde. Man muss da zu Ergebnissen kommen — mit einer Ergebnisverantwortung und mit einem Zusammenwirken aller Ämter und Dezernaten und mit den freien Trägern, die ja auch manchmal zuständig sind.

 

Ott: Das Verhältnis von Quantität und Qualität, ist eine wichtige Frage. 2004 haben wir noch einen intensiven Wahlkampf gegen die konservative Partei geführt, die den Ganztag nicht wollte. Wir haben innerhalb von zehn Jahren einen Strukturwechsel erreicht. Unsere Betreuungsquote liegt bei 78 Prozent, landesweit ist das Spitze, aber immer noch nicht genug aufgrund der Nachfrage. Wenn wir uns jetzt erst mal um Qualität bemühen und deshalb viele Kinder keinen Platz bekommen, dann ist das für diejenigen ein Schlag ins Gesicht. Wie bringt man die Qualität in die Fläche? Der Ganztagsbereich ist Pflichtaufgabe der Städte. Im Moment regelt ihn das Land, aber finanziert ihn nicht. Da könnte der Städtetag eine Diskussion anstoßen, dass sich das Land mehr beteiligt.

 

Reker: Das wäre ja schön, aber dazu müssen wir erst mal genug Schulen bauen.

 

Wer trägt denn die Verantwortung für die Verzögerung beim Schulbau?

 

Reker: Ich möchte jetzt nicht beurteilen, wer wann wo Verantwortung hatte. Mir ist aber wichtig, dass die eigenbetriebsähnliche Einrichtung Gebäudewirtschaft zukünftig so viel Selbstständigkeit bekommt, wie nach der Eigenbetriebsverordnung möglich ist. Nur ohne überflüssige Vorgaben — etwa des Personalamtes — kann das notwendige Personal gewonnen werden, um die anstehenden Aufgaben auch zu erfüllen. Wichtig ist auch eine priorisierte Zielsetzung. 

 

Ott: Wer die Verantwortung trägt, muss jetzt genau untersucht werden. Offenbar wurde bei der Gebäudewirtschaft der Personalbedarf nicht den Aufgaben angepasst. Es darf nicht sein, dass dringend benötigte Gebäude für unsere Kinder nicht rechtzeitig fertiggestellt werden, weil es zu wenig Mitarbeiter an wichtigen Stellen innerhalb der Verwaltung gibt und Planungen zu lange dauern. Als Oberbürgermeister werde ich dafür sorgen, dass Mitarbeiter in der Verwaltung dort eingesetzt werden, wo sie am nötigsten gebraucht werden. Bei Bedarf müssen wir uns auch private Unterstützung von außen holen. 

 

Frau Reker, Sie setzen sich für Schwerpunktschulen ein. Das widerspricht dem Inklusionsgedanken. 

 

Reker: Das kommt drauf an, wie man den auslegt. Inklusion funktioniert nicht automatisch, indem man eine Schule als inklusive Schule darstellt. Man braucht Erfahrung und die entsprechenden Lehrer. Inklusion funktioniert, wenn die Schulen sich darauf einstellen und wenn sie das dann auch gut können. Wenn der Lehrer in einer inklusiven Schule krank wird, macht der Förderschullehrer den Unterricht. Eigentlich müsste man da sofort für Ersatz sorgen, um den Stoff richtig zu vermitteln. Das geht aber nicht, weil es nicht genug Lehrer gibt. Wenn man Schwerpunktschulen bildet, kann man es den Eltern, deren Kind eine Behinderung hat, selber überlassen, auf welche Schule sie ihr Kind geben. 

 

Ott: Wie bitte?! Alle Experten haben darauf hingewiesen, dass das Land nicht den Mut gehabt habe, beides zusammenzudenken. Deshalb sind im ländlichen Bereich Kleinstschulen erhalten geblieben. Mit dem Ergebnis, dass woanders keine Förderschullehrer vorhanden sind. Viele Kinder, die in Fördersysteme geschoben werden, sind Flüchtlingskinder oder kommen aus Familien, die von Armut bedroht sind. Inklusion ist auch eine Frage der sozialen Ausgeglichenheit! Es wäre ein Fehler, den Inklusionsgedanken nicht zu Ende zu denken.

 

Wie gut ein Oberbürgermeister ist, zeigt sich auch darin, was er oder sie von den Bürgern wissen will. Deshalb dürfen Sie jetzt zum Schluss uns was fragen.

 

Ott: (lacht) Sie sind ja gar kein Bürger, Sie sind ja Journalisten.

 

Reker: Also mich würde interessieren, was Sie glauben, wie man die Wahlbeteiligung steigern und die Jugend für Kommunalpolitik interessieren kann.

 

Eine andere Sprache würde schon helfen. »Prozesse vereinfachen, transparent gestalten, Lösungskultur mit Ergebnisverantwortung vorantreiben« — das steht auf Ihrer Homepage, Frau Reker. Das ist Bürokratensprache. Damit werden Sie niemanden für Kommunalpolitik begeistern, auch nicht die Wahlbeteiligung steigern.  

 

Reker: Also ich finde, das ist ein guter Hinweis, wobei ich glaube, dass man sich natürlich auch einer Sprache bedient, die man dann auch mit den Gesprächspartnern teilt.

 

Ott: Ich hätte auch eine Frage! Wie werden Sie zu einer StadtRevue, die überall in der Stadt gelesen wird und nicht nur in bestimmten großstädtischen Milieus? Oder ist das gar nicht ihr Anspruch?

 

Wir freuen uns immer über neue Leser. Aber wir stehen nicht so sehr in der Pflicht wie Sie. Denn Sie wollen ja OB für alle Kölner sein, wir müssen aber keine Zeitschrift für alle Kölner machen. Trotzdem: Wir versuchen, Themen aus der ganzen Stadt aufzugreifen. Wir hatten etwa in der vergangenen Ausgabe eine Titelgeschichte zu Chorweiler, ein Stadtteil, in dem wir wenige Leser haben. Und die Resonanz darauf war sehr positiv.