Überregionales Leuchten

Der Hamburger Künstler Peter Piller stellt in Siegen und Köln aus und veröffentlicht ein neues Buch. Sabine Oelze sprach mit ihm über die Schrecken des Profanen, ländliche Idyllen und den Büroalltag

Peter Piller hat eine Vorliebe für »Unangenehme Nachbarn«, »Schlafende Häuser« und »Regionales Leuchten«. Er sammelt Bilder, die einfach so entstehen, zum Beispiel von einem Zeitungsreporter auf dem Lande, der mal eben die Knipse hinhält, dabei mit dem Blitz etwas zu ambitioniert hantiert und ungewollt ein »Regionales Leuchten« produziert: die phosphoreszierenden Streifen der Uniformen von Feuerwehrmännern beginnen im Blitzlicht zu leuchten. Vom Profanen zum Auratischen ist es eben nur ein kleiner Schritt. Und umgekehrt: Autos, um die sich eine Pfütze
gebildet hat, weil sie gerade vor dem Vorstadteigenheim gewienert wurden, wirken aus der Luft aufgenommen wie inkontinent. Oder ist es das Blut eines erschlagenen Nachbarn, das sich seinen Weg in den Rinnstein sucht?
Ein riesiges Archiv hat der Hamburger Künstler Peter Piller im Laufe der letzten sieben Jahre angelegt: Foto-Abbildungen aus Tageszeitungen, gesammelt und nach Stichwörtern sortiert: »Durchsucht und versiegelt«, »Stein des Anstoßes«, »Auto berühren«. Neuere Arbeiten stammen aus einem Luftbildarchiv, mit dem Peter Piller seit 2002 arbeitet. Das Unternehmen hatte Eigenheime in Deutschland aus der Luft fotografiert, um sie an die Hausbesitzer zu verkaufen, und Peter Piller konnte 20.000 Aufnahmen übernehmen. Sechs Mal hat er die Luftaufnahmen mittlerweile durchforstet und immer neue leitmotivische Serien entdeckt, die derzeit in der Kölner Galerie Frehrking-Wiesehöfer gezeigt werden. Piller erfindet dafür schöne Titel, »Schlafende Häuser« heißt einer. Dazu gehören Eigenheime, die von den Besitzern verrammelt wurden – aus Angst vor Einbrechern oder weil die Immobilien zum Verkauf stehen. »Zungen« ist der Titel einer Serie, bei der rote Bettwäsche zum Lüften aus dem Fenster hängt. Unter dem Stichwort »Pfade« sind Häuser zu sehen, um die sich Wege aus selbst gelegten Steinplatten zwischen Terrasse und Beet oder um das Haus herumschlängeln. Geordnet und einfallslos erscheint das Leben in der Vorstadt.
Das Archiv von Peter
Piller beinhaltet auch jede Menge Feldforschung in der Provinz. Bilder aus Lokalzeitungen, die Preisrätselgewinner zeigen, die Geldscheine in die Luft halten, Wurst-Tester, die ihre Nase ins Fleisch
halten, oder Bauerwartungsflächen, die auf ihre Bebauung warten. Die Aufnahmen schneidet Piller aus Zeitungen aus, die Namen
haben wie »Zollern Albkurier«, »Backnanger Kreiszeitung« oder »Volksstimme«. Das Ausschneiden ist zugleich sein Job. Weil das Geldverdienen mit der Kunst allein nicht klappt, arbeitet er für die
Medienagentur Carat, einen Ausschnittdienst, in dessen Auftrag
Peter Piller die Lokalpresse nach falsch platzierten Anzeigen durchsucht.
»Noch ist nichts zu
sehen« hieß das erste Buch mit
Bildern aus der Lokalpresse, das 1997 erschien. Kurz zuvor hatte er zu Fuß das Ruhrgebiet umwandert und dabei versucht, eine Fotografie zu entwickeln, die die Ödnis und zugleich den Reiz der Leere in den Vorstädten dokumentieren sollte.
»Das Buch hat sich eigentlich unmittelbar aus diesen Fotos entwickelt, aus diesem ›zwischen die Häuser fotografieren‹, wie ich das genannt habe, und zwar war das so, dass ich davon eine ganze Menge gemacht habe und dann schlug ich irgendwann die Tageszeitung auf und sah so ein Foto, das war genauso wie die, die ich immer machen wollte.« Entstanden ist dieses wie andere Bilder folgendermaßen: »Da war ein Reporter losgeschickt worden, die Fläche zu fotografieren auf der bald gebaut wird, also ein Foto, auf dem nichts drauf ist als eine Brachfläche. Da habe ich angefangen diese Brachenfotos zu sammeln und habe fünfzig von denen in einem Buch veröffentlicht und reproduziert. Auf den Fotos ist nichts zu sehen, das Buch heißt deswegen auch ›Noch ist nichts zu sehen‹, das war eine der Bildunterschriften. Man sieht künftige Bauflächen, noch ohne Schilder, nur Felder, Grasflächen, manchmal Bäume, aber eigentlich ist da nichts drauf«, erläutert Piller seine Entdeckung.
Das Thema »Noch ist nichts zu sehen« zieht sich durch seine gesamte Bildersammlung. Zwar scheinen die Aufnahmen nur platt abzubilden, was in den Kleinstädten der Republik passiert. Um Sozialkritik geht es indes nicht. Weil der Kontext weg ist, fragt sich der Betrachter, was eigentlich los ist auf den Bildern. In der seriellen Zusammenfassung und der massiven Häufung kippt das Normale und bekommt den Nimbus des Besonderen. Das Einzelbild wird in der Folge zur Projektionsfläche.
Peter Piller polemisiert gegen das »so ist es gewesen« des Zeitungsbildes und überführt das Dargestellte, ohne es bloß zu stellen. In der Ausstellung in Siegen sind auch frühe Zeichnungen von Pillers »Peripheriewanderungen« im Jahr 1996 zu sehen.
»Mein Anliegen war es, eine Grenze zu bestimmen, also durch die Wanderung eine Grenze für das Ruhrgebiet und für Hamburg zu bestimmen, die festgeschrieben Stadtgrenze, auch die politische, die gibt es nicht, das ist nicht die reale Grenze der Stadt«, so Piller. »Also bin ich dahin gegangen und die Grenze abgelaufen und bestimme die Grenze, die ich laufe, als Stadtgrenze und das habe ich genau dokumentiert, wo genau das für mich ist«.
Seine Beobachtungen hat er in spintisierenden Krakeleien festgehalten. Weitere Zeichnungen sind während seiner Arbeit für die Medienagentur »Carat« entstanden. »Bürozeichnungen« auf DIN A 4 Carat-Geschäftspapier, die an Telefonzeichnungen erinnern, zerstreut mit dünnem Bleistift in schnellem Strich auf’s Papier gekritzelt.
Zu sehen sind typische Szenen aus dem Büroalltag oder karikierende Zeichnungen von Marotten der Kollegen. »Büroverstecke« heißt eine Zeichnung eines zufällig entstandenen Hohlraums, der zur endgültigen Aktenablage genutzt werden kann – oder auch als Mülleimer, so genau lässt sich das nicht ermitteln. Manchmal gibt nur der Titel Aufschluss, worum es sich bei dem Dargestellten handelt. Andere Szenen beschreiben die »plötzliche Pause«, oder die »sexy Kollegin, keusch betrachtet«. Eine andere Büro-Serie heißt »Bürodialoge«. Sie besteht aus Großbuchstaben. Zu lesen sind zufällig auf dem Flur aufgeschnappte Sprüche oder Non-Sense-Unterhaltungen vom Typ: »Das läuft ja ganz gut bei dir im Moment. Bei Dir doch auch«, in denen das Stereotype der Gespräche, aber auch zugleich die Grenzen des Privaten und des Öffentlichen aufscheinen. Die Versuchung, beides zu verwischen ist groß. Wie die Büroregel: »Wir sind keine Familie« veranschaulicht. Das Büroleben ist schließlich eine Notgemeinschaft, in der es oft zu ungewollten Verbrüderungen kommt. Und doch bleibt genug Raum für Projektionen. Zumal für einen Künstler, der tendenziell zu den Außenseitern im normalen Lohnalltag gehört, was eine Zeichnung wie »Abstrakte Kunst in der Vorstellung meiner Kollegen« zum Thema macht.
Sicher gibt es in der Arbeitsweise von Peter Piller viele Parallelen zu dem großen Künstler des Archivs, Hans-Peter Feldmann. Aber wie heißt es so schön in einer der Pillerschen Büroregeln: »Um die eigene Ersetzbarkeit wissen.« Ganz ohne die anderen geht es eben nicht und vielleicht kann es gar nicht genug wache Bildersammler geben.

Ausstellungen
Peter Piller:
Vorzüge der Absichtslosigkeit,
Museum für Gegenwartskunst,
Siegen: 15.10.-30.1.05
Peter Piller,
Galerie Frehrking-Wiesehöfer,
Habsburgerring 28, Köln: 29.10.-23.12., Vernissage 28.10., ab 19 Uhr
»kurzdavordanach«
(Gruppenausstellung), kuratiert
von Wilhelm Schürmann,
Photografische Sammlung/SK-Stiftung Kultur, Im Mediapark 7, Köln: bis 9.1.05

Publikationen
In der Reihe »Archiv Peter Piller« sind bisher acht Bände im Verlag »Revolver – Archiv für aktuelle Kunst« (Frankfurt a. M.) erschienen.
Zur Buchmesse erschien die Sammlung der Luftbildaufnahmen unter dem Titel: »Von Erde schöner«, Verlag Revolver, 68 €.