So schnell werden wir sie nicht los: Das Stimmzettel-Debakel hat den Wahlkampf um fünf Wochen verlängert | Foto: Manfred Wegener

Der Wahnsinn geht weiter

Es ist fraglich, wann nach der OB-Wahl mal wieder Politik gemacht wird

 

Das Ergebnis der OB-Wahl steht ja längst fest: Ganz gleich, wer künftig dieses verrückte Köln repräsentieren und der Verwaltung vorstehen wird — es wird sehr mühsam, irgendwann nach diesem Wahlkampf wieder mit klarem Kopf Politik zu machen.

 

Dabei ging es schon seit der Kommunalwahl im Mai vergangenen Jahres kaum noch um Inhalte: Erst hat Rot-Grün bloß die denkbar knappste Mehrheit im Rat und nutzt sie nicht, weil Zweifel bestehen, dass in Rodenkirchen richtig ausgezählt worden sei. Als nach etlichen Monaten eine Neuauszählung gerichtlich angeordnet wird, fliegt anschließend ausgerechnet Jochen Ott, SPD-Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters, aus dem Stadtrat. Häme allenthalben, auch von Teilen der Grünen. Sie hatten mit der amtierenden Sozialdezernentin Henriette Reker eine Parteilose gegen Ott nominiert und CDU, FDP, Freie Wähler und die Wählergruppe Deine Freunde dafür gewinnen können. Der Abschluss eines rot-grünen Koalitionsvertrags wird immer weiter verschleppt, stattdessen unterstellt man sich gegenseitig, im Geheimen mit der CDU ein Bündnis zu schmieden. Kommunalpolitiker am Rande des Nervenzusammenbruchs. Soweit die Zutaten eines unglaublich kölschen Polit-Thrillers.

 

Und jetzt zum Showdown noch die falschen Stimmzettel und die Verschiebung der OB-Wahl auf den 18. Oktober. Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Jörg Frank befand aufgrund der haarsträubenden Verwaltungspanne, »dass wir in der gesamten Republik wie die Deppen dastehen«. Die Frage ist nicht, ob das stimmt, sondern wie lange noch.

 

Die Groteske um die falschen Wahlzettel beginnt am 5. August. Der Wahlausschuss hat gerade die Kandidaten für die OB-Wahl formal bestätigt, da erteilt die Wahlorganisation in der Stadtverwaltung die Druckfreigabe für die Stimmzettel. Die politische Verantwortung trägt Wahlleiterin Agnes Klein, die ansonsten Schuldezernentin ist. Das neue Amt ist ihr eine Last, es wurde ihr auferlegt, nachdem Stadtdirektor Guido Kahlen (SPD) wegen der Kommunalwahlpanne in Rodenkirchen als Wahlleiter zurücktreten musste.   

 

Ende August, drei Wochen später, stellt die CDU fest, dass die Stimmzettel nicht korrekt sind: Im Verhältnis zu den Namen der Kandidatinnen und Kandidaten sind die zugehörigen Parteikürzel zu groß gedruckt. Wahlleiterin Agnes Klein wird nervös, sie lässt eine »interne juristische Prüfung« vornehmen. Ergebnis: Die Zettel sehen schon irgendwie komisch aus, entsprechen aber der Kommunalwahlordnung — was sich dann ruckzuck als falsch herausstellt.  

 

Auf den Stimmzetteln, die bis dahin bereits rund 50.000 Kölner zur Briefwahl genutzt haben, springt auf den ersten Blick die Spalte mit dem SPD-Kandidaten Jochen Ott deutlicher ins Auge als jene von Henriette Reker, die eben kein Parteikürzel hat. Ob deshalb tatsächlich Menschen widerwillig Ott wählen, bloß weil sie Reker auf dem Stimmzettel nicht sogleich entdecken können, ist juristisch irrelevant. Die Briefwahlstimmen sind nichtig, Köln muss neue Stimmzettel drucken. Kostet alles auch viel Geld... Und Köln stöhnt: »Typisch Köln!« Die Wahl wird auf den 18. Oktober verschoben.

 

All das zeigt aber nicht nur, wie schlimm es um die Kölner Verwaltung bestellt ist, sondern auch um die Kölner CDU. Man brauchte nur Partei- und Fraktionschef Bernd Petelkau zuhören. Der führte sich erst als Kämpfer für Recht und Ordnung und gegen einen mutmaßlichen SPD-Filz in der Verwaltung auf — um sogleich einen imposant irrsinnigen Vergleich zu den Wahlen im Nationalsozialismus zu ziehen. Hoppla! Politische Gegner wie Freunde fragten sich, ob Petelkau nicht nur den politischen Instinkt, sondern komplett den Verstand verloren habe. Zumal er einer CDU vorsteht, die in Porz mit Henk van Benthem einen Bezirksbürgermeister hat, der sich von den rechtsextremen Pro Köln ins Amt wählen ließ und nicht zurückgepfiffen wird.

 

Die Behauptung aus dem Reker-Lager, dass es in der Verwaltung einen SPD-Klüngel gebe, zehrt an den Nerven der kölschen Sozialdemokratie. Als dann noch ein SPD-Netzwerk unterstellt wird, das sogar Wahlzettel zu Gunsten ihres Kandidaten verfälschen lasse und Petelkau den Nazi-Vergleich zieht, tobt SPD-Fraktionschef Martin Börschel. Wieder bei Atem, weist er dem verdutzten Reker-Freundeskreis nach, dass an der Wahlzettelpanne allein CDU-Mitglieder und Parteilose in der städtischen Wahlorganisation beteiligt waren. Das sitzt. Börschel diagnostiziert abschließed den »absoluten Tiefpunkt der politischen Kultur« und fordert Entschuldigungen: von CDU, von FDP, »und auch von den Grünen«. Stattdessen vernimmt er von dort aber nur stumme Zerknirschung und den trotzigen Hinweis, dass aber die zuständige Wahlleitung doch in den Händen der mittlerweile zurückgetretenen SPD-Dezernentin Agnes Klein gelegen habe.

 

»Noch nie wurden ordnungsgemäße Stimmzettel gedruckt«

 

Genutzt hat das Wahlzettel-Debakel im Wahlkampf niemandem. Petelkau hat Henriette Reker einen Bärendienst erwiesen: fünf weitere Wochen eines deprimierend inhaltslosen Wahlkampfs, in dem eine amtierende Sozialdezernentin, die Kandidatin von fünf Parteien und Wählergruppen ist, sich als unabhängig geriert und in dem ein einflussreicher SPD-Parteichef vorgibt, erst als OB all seine guten Ideen einbringen zu können.

 

Einziger Erkenntnisgewinn des Skandals: Seit es in Köln die Direktwahl des OB gibt, wurden noch nie ordnungsgemäße Stimmzettel gdruckt. Die Schriftgröße der Parteikürzel war immer zu groß. Aber das fiel niemandem auf oder war allen egal. Bis jetzt aber war in Köln auch noch niemand zur OB-Wahl angetreten, der parteilos ist und so gute Aussichten auf Erfolg hat wie Henriette Reker.

 

Statt Wahlmanipulation hat die SPD nur kleinere dirty tricks zu verantworten : Auf einer Postwurfsendung an die Kölner Haushalte, die den Anschein erweckt, eine amtliche Information der Stadt Köln zu sein, sieht man Ott breit grinsen: Viele hätten sich bereits entschieden und »wollen Jochen Ott als OB für Köln unterstützen«, steht da — daneben gibt es einen an die städtische Wahlorganisaton adressierten Antrag auf Briefwahl. Bestürzend ist daran vor allem, dass die SPD glaubt, mit solchen Tolldreistigkeiten Wähler und Sympathien zu gewinnen.

 

Selbst wenn Ott OB wird, stellt sich für die SPD die Frage, mit wem sie überhaupt koalieren soll. Die Spannungen gegenüber den Grünen haben sich im Wahlkampf noch verstärkt. Und eine CDU im Petelkau-Modus mag man sich wohl auch nicht ins Haus holen. Gewinnt aber Reker, beginnt das Gerangel ihrer Unterstützer. Jeder wird den Erfolg für sich reklamieren und — so sehr Reker das auch bestreitet — eine Gegenleistung erwarten. Alles andere widerspräche den Gepflogenheiten politischer Bündnisse, wo Kooperation stets Geben und Nehmen bedeutet. Die Grünen müssen sich außerdem überlegen, ob sie sich unter einer Oberbürgermeisterin Reker auf ein umstrittenes Bündnis mit Petelkaus CDU und der FDP einlassen wollten, sie haben ja parteiintern schon genug zu diskutieren.

 

Zur Not werden die Parteien im Rat der Stadt wechselnde Mehrheiten bilden müssen. Dagegen ist demokratietheoretisch rein gar nichts einzuwenden. Doch die Fraktionen, zumal die großen, sind darin nicht geübt. Traditionell versteht man in Köln Ratspolitik als ein Gegeneinander zweier Blöcke, die sich als Regierung und Opposition verstehen.

 

Wen man auch fragt, die Ratsmitglieder sind ratlos, in welcher Konstellation es weitergehen könnte. Fest steht nur: Egal, wie diese Wahl ausgeht, Politik wird in Köln noch schwieriger werden, als sie es schon seit der Kommunalwahl im Mai vergangenen Jahres war.