Hello darkness, my old friend

Tim Burton im Max Ernst Museum Brühl

Für einen Regisseur mit kommerziellem Erfolg ist Tim Burtons Figurenrepertoire eher ungewöhnlich. Seine Liebe zu Außenseitern garantiert seinen Protagonisten zudem kein klassisches Hollywood-Happyend. »Edward mit den Scherenhänden« etwa, eine von Burtons großartigsten Erfindungen, steht am Ende ganz alleine da. Wie früh der vom Zeichnen besessene Junge aus Kalifornien sein düsteres Repertoire von Sonderlingen mit hohem identifikatorischen Potential entwickelt hat, zeigt die Ausstellung »The World of Tim Burton«.

 

Dabei stehen Figuren seiner Film- und Buchcharaktere im Zentrum, darunter bislang nicht veröffentlichte. So findet sich im Kapitel »Einflüsse« das Manuskript zu »The Giant Zlig« von 1976, das der 18-jährige Burton mit einem handschriftlichen Begleitbrief an den Walt Disney Verlag geschickt hat. Im freundlichen Antwortschreiben, das allerdings zugleich eine Absage ist, steht, dass die Bilder etwas zu stark an jene von Dr. Seuss erinnern, den fantasievollen amerikanischen Kinderbuchschreiber, der für Burton tatsächlich ein großes Vorbild war. Einen weiteren Helden seit Kindertagen hat Burton bereits in den frühen 70er Jahren in einer klassischen Bleistiftzeichnung mit leicht verrutschten Augen portraitiert: Vincent Price, den Schauspieler in Gruselfilmen wie »Das Kabinett des Professor Bondi«. Zehn Jahre später hat er Price mit spitzer Feder und burtonesk, das heißt düster, präzise und expressiv, erfasst. Auf dieses Portrait hat Price, der später in dem kurzen und an expressionistische Filmklassiker erinnernden Stop-Motion-Film »Vincent« den gereimten Text spricht, den folgenden Satz geschrieben: »For Tim. I wish I were this Vincent.« 

 

Zu Burtons nicht realisierten Projekten gehört auch »Trick or treat« von 1980. Hier sind bereits Figuren angelegt, die Burton bis zur Perfektion weiter entwickeln wird, etwa ein Gärtner, der seine fehlende Hand durch diverse Werkzeuge ersetzt und Vorgänger des sympathischen Edward ist, der mit seinen Scherenhänden so kunstvoll Büsche und Frisuren schneidet. Allein dafür muss man Tim Burton dankbar sein — bei ihm, wie bei der amerikanischen Fotografin Diane Arbus, wirken die »normalen« Menschen unangenehm und die Freaks liebenswert. Dazu gehört auch das verliebte Paar, das so gerne Händchen hält — und  zwar nicht die des jeweiligen Partners, sondern eine Menge Hände ohne Besitzer.

 

Unter den Filmen, die in der Ausstellung gezeigt werden, sind auch mehrere Werke aus Teenagertagen, etwa »Tim’s Dreams«, wo nicht nur phantasie- und humorvolle Helden- und Horrorträume mit allen Mitteln improvisierter Tricktechnik umgesetzt werden, sondern der jugendliche Protagonist nach dem Aufwachen von einem Monster aus seinen Träumen überwältigt wird. Und so ist der Film im Film, mit dem der Kurzfilm »Frankenweenie« des damals 26-jährigen Tim Burton beginnt, stark autobiographisch. Der kleine Victor Frankenstein zeigt seinen Eltern im Wohnzimmer einen selbst gedrehten Horrorstreifen. Trotz guter Schauspieler floppte der Film und führte zu Burtons Entlassung bei Disney, kinderkompatibel schien die Geschichte um einen wiederbelebten Hund vom Friedhof der Kuscheltiere nicht. Fast dreißig Jahre später realisierte Burton allerdings eine Langversion für Disney, in der sich das berühmte Logo des Märchenschlosses gleich zu Beginn in ein düsteres schwarzweißes Gemäuer verwandelt. 

 

Die Figuren aus diesem Stop-Motion-Film werden in Brühl ebenso präsentiert wie einige, 2009 für die Burton-Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Arts entwickelte Skulpturen, die nach Zeichnungen des Künstlers angefertigt wurden. Was damals auf Kritik stieß, weil die Figuren in den Augen der Rezensenten zu sehr nach Marketing als nach Kunst aussahen, funktioniert in Brühl recht gut: In dem Raum mit Max Ernsts Gemälde »Pétales et jardin de la nymphe Ancolie« stehen nun drei riesige »Creatures« nach Burtons Entwürfen, die einerseits die Tentakel der Blüten im Nymphengarten zu spiegeln scheinen, andererseits eine ähnlich schräge Familienaufstellung wie Max Ernsts im selben Raum befindliche Bronze »Capricorne« bieten. Ernsts »Genie de la Bastille«, das kleine Mischwesen mit seinen schwerfälligen Flügelchen und der scharfen Nase, schaut zwar etwas skeptisch von seiner Säule herunter, aber neben den formalen Übereinstimmungen lässt auch die Vergleichbarkeit der traumwandlerisch intuitiven Verfahren beider Künstler eine Gegenüberstellung sinnvoll erscheinen. 

 

Dass im Kinoraum des Museums Burtons »Hänsel und Gretel« gezeigt wird, wo aus den Wänden des Knusperhauses süße Farbströme fließen, passt ebenfalls ins Max Ernst gewidmete Museum, denn schließlich war er es, der 1942 die Technik des drip painting entwickelte, bei der flüssige Farbe aus einer Dose auf die am Boden liegende Leinwand tropfte. So landet man am Ende doch wieder bei den Filmen, hat aber entdeckt, wie sehr sich ihre Qualität dem obsessiven Zeichnen Burtons verdankt. Als Trägermaterial seiner Skizzen nimmt er häufig Servietten oder kleine Notizzettel aus Hotels und Restaurants in aller Welt. In der Bar Vendôme etwa entstand die Zeichnung eines angetrunkenen Hasen im blaugeringelten Pulli, der an einer Theke sitzt. Wäre nicht nur die Ausstellung, sondern die Welt mit Burtons Figuren bevölkert, wäre sie ein besserer Ort.