»Keine Kunst auf dem Rücken der Künstler«

Theatermacher diskutieren im FWT über ihre neue Situation in Zeiten des Mindestlohns

Gerechtigkeit! Theatermacher beschäftigen sich gerne mit dem Thema — auf der Bühne. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde im Januar hat bislang dagegen wenig Beachtung gefunden. Kein Wunder. Die kargen Gagen sprengen bei einer Angleichung auf Mindestlohnniveau viele Budgets. Am 30. September diskutieren Theatermacher im Rahmen des WDR 3 Kulturforums über Gagen in Zeiten des Mindestlohns. Zu Gast ist unter anderem Johannes Maria Schatz, Theatermacher und Gründer der Initiative Art but Fair, die auf Facebook die unverschämtesten Künstlergagen sammelt.

 

Herr Schatz, würden Sie jemandem raten, den Beruf des Schauspielers zu ergreifen? 

 


(Lacht) Ich glaube nein. Ich würde zumindest meiner Sorge Ausdruck verleihen. Es gibt unheimlich viel Konkurrenz. Nur ganz wenige schaffen es wirklich, ausschließlich ihren Lebensunterhalt durch Schauspielerei zu bestreiten. Selbst die Festanstellungen sind häufig auf zwei oder drei Jahre befristet. Viele junge Schauspieler sagen, dass es kaum einen Beruf gibt, der familienfeindlicher ist. 

 

Seit 1. Januar 2015 gibt es den Mindestlohn für die Theater. Hat das die Situation verbessert?

 

Im Bühnenbereich gibt es für die Festangestellten schon länger einen Mindestlohn. Der beträgt derzeit 1.650 Euro Brutto. Er wird wahrscheinlich — da laufen gerade Verhandlungen — nicht unwesentlich erhöht werden, damit man auf die 8,50 Euro pro Stunde kommt. Die Frage bei der Bemessung ist allerdings: Was zählt als Arbeit? Arbeite ich erst, wenn ich am Pförtner vorbei ins Theater gehe und mich umziehe? Oder arbeite ich schon, wenn ich zuhause das Skript lese und auswendig lerne? Da gehen natürlicherweise die Auffassungen zwischen Bühnenverein als Arbeitgeber einerseits und den Gewerkschaften andererseits auseinander. Für die selbständigen Schauspieler — die große Mehrzahl — hat das überhaupt nichts gebracht.

 


Weil der Mindestlohn nur für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gilt.

 

Art but Fair fordert seit seinem Bestehen, dass ein Mindestlohn für Freischaffende und Selbständige eingeführt wird: pro Show oder pro Aufführung. Es gibt riesige Unterschiede. Berlin ist derzeit wohl das schlimmste Pflaster mit achtzig Euro pro Aufführung. So viel kann man gar nicht spielen und proben, um damit auf einen grünen Zweig zu kommen. Man schafft, wenn es gut läuft, gerade mal acht oder neun Aufführungen im Monat, weil man parallel noch bei anderen Produktionen probt. Auch existiert der Unterschied, dass die einen die Proben gar nicht bezahlen, was die anderen aber selbstverständlich tun. 

 

Sind Mindestlohn-Modelle für die Freie Szene überhaupt realistisch oder muss man als freier Schauspieler einfach akzeptieren, dass man prekär lebt?

 

Auch die kleinen Theater müssen faire Gagen zahlen können. Man muss es wohl machen wie bei Musikern und Kategorien einführen wie »A-Haus«, »B-Haus«, »C-Haus«. So können dann die Gagen gestaffelt werden. Das gilt natürlich nicht für die privaten Theater, weil diese dem Bühnenverein meist gar nicht angeschlossen sind. Für sie gelten dann solche Regelungen leider gar nicht. 

 

Gerade da herrschen aber prekäre Anstellungsverhältnisse?...

 

Da sage ich ganz persönlich, da gibt es bei Art but Fair auch andere Meinungen. Kunst, die auf dem Rücken der Künstler aufgeführt wird, ist es nicht wert, erhalten zu werden. Gerade in diesen Zeiten, in denen wir so viele Künstler haben, die bereit sind, für Hungerlöhne zu arbeiten. Wenn sich da nichts tut, wird sich die Schraube noch weiter nach unten drehen.

 


Also sollte man als Schauspieler, der in einer prekären Situationen lebt, darüber nachdenken, sich einen anderen Job zu suchen?

 

Ich erlebe das gerade bei meiner Frau. Sie ist 28 und Musicaldarstellerin. Sie gehört allmählich zu den Älteren im Ensemble. Und sie erzählt, dass viele ihrer KollegInnen in diesem Alter noch einmal anfangen zu studieren oder eine Ausbildung  machen. Weil sie sagen: Jetzt ist ohnehin langsam Schluss. Es sei denn, ich will bis 60 oder 65 in diesen prekären Verhältnissen leben. Im Grunde sagen sie sich: Das waren schöne fünf, sechs Jahre, aber ein Leben lang will ich mir das nicht antun.

 


In der freien Szene gibt es ein System, das darauf beruht, dass man sich als Künstler selbst ausbeutet. Perspektivisch, was muss passieren?

 

Ich habe die große Sorge, dass, sobald die Schuldenbremse greift, gerade die Kommunen zum Rotstift greifen müssen. Dann geht es wirklich ganz vielen Theatern an den Kragen. Deswegen wünsche ich mir und forcieren wir bei Art but Fair, dass in der Verfassung Kunst und Kultur als Staatsziele verankert sein sollten. Damit zumindest jedem Deppen in der Politik klar ist, dass man nicht ohne Weiteres in der Kultur streichen kann. Und das zweite große Ziel ist es, unser Gütesiegel einzuführen. So kann dann der Kunde, der Theaterbesucher, mitentscheiden, wohin er sein Geld trägt. Dazu muss er aber wissen, mit welchen Genossen er es zu tun hat. Er muss wissen, welche Betriebe fair bezahlen und wo es gute Arbeitsbedingungen gibt. 

 


Hat Mindestlohn auch negative Effekte? 

 

Problematisch ist für viele Theater: Die längerfristigen Praktikanten gehen verloren. Bis zu drei Monaten müssen Praktikanten mit dem Mindestlohn nicht entlohnt werden. Alles darüber hinaus schon. War noch vor zwei Jahren möglich, dass man hospitiert, in der Dramaturgie oder Regie ein Jahrespraktikum absolviert und dann als Regieassistent weitermacht,  um letztlich vielleicht Regisseur zu werden, das gibt es heute so nicht mehr.