Existenzkater

Heinz Simon Keller gibt mit »Wir lieben und ­wissen nichts« eine saftig-böse Zeitgeist-Komödie

Zwei heimatlose Liebespaare, moderne Jobnomaden in den Vierzigern, vereinbaren über das Internet einen Wohnungstausch auf Zeit. Schon die Schlüsselübergabe gerät zum Desaster. Mit Karacho brettern die Protagonisten von Moritz Rinkes Stück gegen die Fassade ihres Bilderbuchbürgertums. Der Kollaps ihrer Lebenslügen, wird inszeniert als boulevardeske Komödie, in deren düsteren Humor immer auch die Einsicht von Sartres geschlossener Gesellschaft auf-zuklimmen scheint: Die Hölle, das sind die anderen. Oder: Der Mensch, in den man sich vor -langer Zeit einmal verliebt hat.

 

Hannah (Julia Grafflage) will in Zürich als Meditationscoach für Bänker arbeiten. Ihr Freund Sebastian (Sascha Tschorn) sträubt sich gegen den Umzug. Der überkandidelte Kulturhistoriker kann sich schwer damit abfinden, die Bücher seines »Bewusstseinszimmers« in Kisten zu verpacken — noch weniger damit, dass seine Freundin »Finanzverbrecher« zu »perfekt atmenden Samuraikämpfern« ausbildet. In die streitverpestete Atmosphäre der Wohnung kommt das Züricher Paar Roman (Matthias Lühn) und Magdalena (Mirjam Heimann). Auch sie treten den Wohnungstausch eher unfreiwillig an: Der großspurige Computer-spezialist erhält kein Hotel für seinen Arbeitseinsatz bezahlt. Was wohl damit zusammenhängt, so wird später die Proseccodurchtränkte Tierpsychologin Magdalena eröffnen, dass ihm längst gekündigt wurde.

 

Ihrem Existenzkater ist es auch zu verdanken, dass die bildungsbürgerliche Farce der Viererkonstellation mitsamt ihren Haferkeksen und schmutzigen Anmache-reien wie unter dem Brennglas ins Bild rückt. Denn während alle noch damit beschäftigt sind, die eigene Selbstverliebtheit als letzte verbleibende Bastion gegen die Realität zu nähren, legt sie den Finger auf die Wunde: »Glaubst du, man bleibt nur zusammen, wenn man sich nicht die Wahrheit sagt?«

 

Auf einige wenige Mittel konzentriert sich die Inszenierung von Heinz Simon Keller, koproduziert mit Bayer Kultur Leverkusen, um dem Stück seine sozialpolitische Sprengkraft zu verleihen: hervorragend bühnenpräsente Schauspieler, einige Flaschen Prosecco und eine Knarre mit dem klangvollen Namen Napoléon Le Page. Auf der Bühne des Theater der Keller wird die Kaputtheit der Charaktere als lächerliches Abziehbild einer narzisstischen Gesellschaft entblößt. Anders als bei Sartre endet es nicht auf: »Also, machen wir weiter.«