Foto: Dörthe Boxberg

Bitte ein Bitteres!

 

In Deutschland wird immer weniger Bier getrunken. Gleichzeitig steigt die Zahl der ­Brauereien. Derzeit mischt Craft Beer die Branche auf: Es ist die Rückkehr zu ausdrucksstarkem Bier ­jenseits des Mainstreams

»Nach ein wenig Recherche wurden Töpfe, Eimer und Zutaten gekauft, dann haben wir einfach losgelegt«, sagt Roland von der Hobby-Braugruppe Bäm Bäm Bräu. »Die Idee zum Selbstbrauen kam uns nach einem Bier-Festival.« Ihr Brauraum in Ehrenfeld ist hell beleuchtet und penibel gepflegt. »Brauen besteht zu achtzig Prozent aus Saubermachen«, erklärt Rolands Mitstreiter Tobias, der eigentlich Apotheker ist. Do-it-yourself, Handwerk — das sind Trends in den Großstädten. Bei den Craft-Beer-Enthu-siasten Bäm Bäm Bräu kommt noch etwas hinzu: Sie wollen möglichst frisches Bier trinken: »Ein Indian Pale Ale hält nicht lange seinen Geschmack«, meint Tobias. »Flaschen, die aus den USA ankommen, sind oft schon drüber.«

 

Wie das Bier der Ehrenfelder Hobbybrauer schmecken die Craft-Biere aus kleinen, unabhängigen Brauereien intensiver als Bier, das man in Kneipen und Supermärkten bekommt. Das liegt zum einen an immer neuen Aromahopfen, die dem Bier Nuancen von Zitrone, Grapefruit oder Mango verleihen. Zum anderen sorgen Bitterhopfen für den herben Geschmack. Die »Bittere«, wie es fachsprachlich heißt, kann man in International Bitterness Units (IBU) messen. Während Kölsch höchstens 25 IBU erreicht, haben Pale Ale, Porter und Stout aus den Craft-Beer-Brauereien doppelt so hohe Werte. 

 

Die Bierkonzerne haben über Jahrzehnte einen milden internationalen Standard-Geschmack entwickelt — dagegen begehren die Craft-Beer-Brauer auf. Sie sehen sich als Punkrocker der Branche. Historisch betrachtet ist in den USA der Hang zu kräftigem Aroma und hohen IBU-Werten die Antwort auf wässerige Lagerbiere, die bis in die 80er Jahre dort den Markt beherrschten. Manche Craft-Beer-Brauer fallen jedoch ins andere Extrem: Die Biere schmecken überaromatisiert, im schlechtesten Fall wie Biermischgetränke.

 

Die deutschen Craft-Beer-Brauer fechten einen zusätzlichen Kampf — gegen das deutsche Reinheits-gebot. Es geht auf die bayerische Landesordnung von 1516 zurück, wonach nur mit Hopfen, Gerste und Wasser gebraut werden darf. So wollte man auch Konkurrenz von außerhalb Bayerns fernhalten, wo andere Zutaten verwandt wurden, wie etwa Kräuter im Grutbier. Die deutsche Bier-Lobby vermarktete das Reinheitsgebot in den 80er Jahren als Qualitätssiegel, um Neugierigen ausländische Biere madig zu machen. Die Boulevardpresse sprang ihnen bei und schockte mit der Frage, ob »Chemie-Bier« deutsche Bierfreunde impotent mache.

 

Moderne Brauer wie der Biersommelier-Weltmeister Oliver Wasseloh fordern jetzt ein Natürlichkeitsgebot anstelle des Reinheitsgebots, das Kräuter, Gewürze und Früchte verbietet, aber künstliche Zusätze manchmal erlaubt. Der Streit beschäftigt schon die Politik. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Piraten im NRW-Landtag lehnt die rot-grüne Landesregierung eine Änderung ab. Das Reinheitsgebot, so die Landesregierung, ermögliche ausreichend Kreativität. 95 Prozent aller deutschen Craft-Biere seien gemäß der Vorschrift gebraut.

 

Trotzdem gab es in Deutschland immer schon geschmacksstarke Spezialbiere, die keineswegs Chemie-Biere sind. Etwa Trappistenbiere aus Belgien, wo die Tra-di-tion kräftiger Bierstile nicht gekappt wurde. Eine brautechnische Besonderheit sind dort Lambic oder Geuze, die nicht mit gezielter Zugabe von Hefe reifen, -sondern durch Spontangärung mittels Hefen in der Umgebungs-luft. 

 

Eine lange Tradition von unabhängigen Kneipen, die selbst brauen, gibt es in Großbritannien. Aber in den 70er Jahren kauften Großbrauereien die »Brewpubs« auf. Darauf-hin gründete sich die »Campaign for Real Ale«, die sich für traditionelle britische Biere einsetzt. Zugleich wurde Home Brewing immer beliebter. Was als Hobby für Geeks mittleren Alters galt, liegt heute dort voll im Trend. 

 

Als Kult-Bier der Szene gilt das britische Indian Pale Ale, kurz IPA. Mittlerweile nehmen auch schon große Brau-kon-zerne IPAs ins Programm und springen auf den Zug auf. Das Obergärige schmeckt bitter, ist alkoholstark, hat aber auch fruchtige Noten. Alle Craft-Brauereien haben eines im Programm. Auch beim ersten Kölner Craft-Beer-Laden, dem gerade eröffneten »Bierlager« an der Bonner Straße in der Südstadt, liegen viele IPAs im Regal, ebenso wie z.B. Porter, Stout, Lager und mehr. Kai -Boecker, Chef des Ladens, ist hauptberuflich Banker. Wie kommt ein Banker zum Bier? »Als Jugendlicher habe ich wie viele natürlich Bier getrunken, aber mich nicht weiter dafür interessiert.« Später sei er Weintrinker geworden, doch vor zwei Jahren habe ihn die neue Bierkultur fasziniert. Nun will er beruflich auf Craft Beer umsatteln. »Aber Craft Beer ist beratungs-intensiv«, sagt Kai Boecker. »Man muss erst mal rausfinden, welchen Geschmack die Kunden haben.« Kölsch trinke er kaum noch, seit er Craft Beer kenne, erzählt Boecker. 

 

»Das beste Kölsch habe ich nur außerhalb von Deutschland getrunken, etwa von einer kleinen Brauerei in Nord-Italien, die es unfiltriert anbietet«, sagt Sebastian Sauer. »Der Kölsch-Style ist international angesehen, wird aber anders interpretiert«. Sauer ist ein Star der Szene — das geht auch ohne Punkrock-Attitüde, Tattoos und Vollbart. Bei den IPAs sei alles ausgereizt, findet Sauer. Er studiert in Archiven lieber historische Braurezepte. Sein »Preußen Weiße« geht auf eine Rezeptur von 1831 zurück: mit Zucker-rüben, Wacholder, Ingwer und Salz. »Atlantis Gose« hingegen ist ein mild-säuerliches Ale, gebraut mit Austernsud und Seetang — als Inspiration diente Oyster Stout, wie es früher in London, Norfolk und Dublin gebraut wurde. In den USA hält Sauer Vorträge und organisiert Food Pairings, bei denen zu gehobener Küche Bier statt Wein serviert wird. 

 

Angefangen hat Sauer in Ehrenfeld — in der »Braustelle«, die Braumeister Peter Esser dort 2001 lange vor dem Hype eröffnet hat. Esser sagt: »Ich wollte lieber direkt mit den Rohstoffen arbeiten, anstatt in einer Großbrauerei Hebel zu bedienen.« Sogenannte Mikrobrauereien hat es in Deutschland bereits in den 80er Jahren gegeben. »Meist Gasthausbrauereien, die klassische Biere wie Kölsch, Pils oder Weizen brauten«, sagt Esser. »Inzwischen wird viel mehr ausprobiert.« Esser war schon immer experimentierfreudig. »Pink Panther« mit Hibiskusblüten braut er im zehnten Jahr. Außerdem stellt er Fruchtbiere her, experimentiert mit Wein- und Whiskyfässern. Bei seinen Sauerbieren kommen Wildhefen oder spezielle Bak-terien-arten zum Einsatz. Zum Sortiment gehört mit dem hopfenbetonten »Cologne Red Ale« aber auch ein klassischer Craft-Beer-Bierstil. »Das erwarten die Leute heute einfach«, so Esser. Und wie macht sich das wachsende Interesse an Craft Beer sonst in der Braustelle bemerkbar? »Viele Gäste wissen viel über Bier und fragen nach, etwa welche Hopfensorten verwendet wurden. Auch die Nachfrage nach unseren Seminaren steigt.« Esser hat das Angebot an Bieren vom Fass erhöht, nun stehen acht Spezialbiere zur Auswahl. Ergänzend gibt es eine große Auswahl an hausgebrauten Flaschenbieren. »Das Interesse an Craft-Bieren geht gerade erst richtig los«, meint Esser. 

 

»Dieses Getränk kann sehr viel mehr«, sagt Marco Franzelin. Er ist Chef-Sommelier des Vendôme in Bergisch Gladbach, wo mit Joachim Wissler einer der renommiertes-ten Köche Deutschlands die Küche leitet. Franzelin hat die besten Weine der Welt im Keller. Aber er sagt: »Wir servieren oft zum Beispiel Lambic-Biere zu Desserts oder auch gerne beim Lunch ein Indian Pale Ale zum Schwein.« 

 

Aber das sind Ausnahmen. In der Gastronomie findet man Craft Beer fast nur in den neuen Hamburger-Brätereien, wo Menschen am Grill hantieren, die den jungen Wilden unter den Brauern ähneln. Bier habe immer noch ein Imageproblem, stellt der Kölner Bier-Sommelier Michael Busemann fest. »Craft Beer zeigt aber: Geschmack ist angesagt.« Das stelle er auch bei seinen Bier-Seminaren fest. Die Zukunft gehöre Craft Beer mit mehr drinkability — und nicht immer höheren IBU-Werten, so Busemann. Wichtig sei es, Bier wie Wein zu zelebrieren: riechen, schmecken, Nuancen bemerken. Aber als er in einem Grill-Restaurant ein Boston Lager bestellt habe, erzählt Busemann, sei die Flasche ohne Glas auf den Tisch gestellt worden. »Echte Männer«, so die Bedienung, -»trinken aus der Flasche!«