Heim & Welt

Liebe im Einzelhandel

»Einkaufserlebnis« bedeutet, dass in Shoppingcentern »Aktionen« stattfinden: Studenten in Pinguinkostümen verteilen Eiscreme, Sambagruppen beschallen trostlose Passagen und  Schminkclowns rauchen entnervt vor dem Eingang.

 

Ich finde solche »Einkauf-erlebnisse« verzichtbar. Mir reicht es, wenn man höflich zu mir ist und ich auf Wunsch sachkundig beraten werde. Das aber kommt seltener vor als Schminkclowns.  

 

Ich wollte ein Buch kaufen und betrat eine Buchhandlung. Das ist altmodisch, das klingt nicht nach 2015. Die Buchhändler verlieren Kundschaft, ich hatte erwartet, dass man mich grüßt, aber die Buchhandlung wandte eine andere Strategie gegen ihre Misere an. Am Eingang prangte ein Aufkleber, der sich gegen den Online-Versandhandel Amazon richtete. Ich finde, man muss gut abwägen, bevor man Menschen auffordert, bei jemand anderem nicht zu kaufen, gerade mit Blick auf die deutsche Geschichte. Allerdings ist Amazon tatsächlich ein Unternehmen, das womöglich nicht in einem juristischen, gewiss aber in einem moralischen Sinne eine Verbrecherbande darstellt. Die Konzernleitung spekuliert auf die Bequemlichkeit und Verantwortungslosigkeit ihrer Kundschaft. Es gibt viele solcher Konzerne, aber das ist keine Entschuldigung.

 

Dass man aber Kunden moralisch unter Druck setzt, widerspricht meines Wissens den Gepflogenheiten modernen Marketings. Aber an Gepflogenheiten halten sich ohnehin nur wenige Buchhandlungen. Zum Beispiel daran, dass es mehr geben möge als Krimis, Koch-bücher, Krimskrams. 

 

Jemand wollte sich ein Buch empfehlen lassen. Der Buchhändler langte zum Bestsellerstapel und sagte im Duktus eines Spracherkennungsprogramms: »Ein äußerst atmosphärischer Krimi, der in der malerischen Landschaft der Provence spielt und wunderbar erzählt ist. Sie riechen die Lavendelfelder und schmecken die Fischsuppe.« Etwas besser formuliert stand das so auf dem  Klappentext. Dass es ein Vorteil gegenüber Amazon sein soll, dass Buchhändler Klappentexte rezitieren, überzeugt mich nicht. Ich bestellte meine Bücher und musste den Nachnamen einer bekannten Autorin buchstabieren. Der Buchhändler tippte etwas in die Tastatur und sagte »Müsste morgen da sein«. Vielleicht hatte er das Buch für mich bei Amazon bestellt, die liefern  ja recht flott. 

 

Ich verlange keine Sambagruppen oder Eiscreme, aber derart bürokratisch und demonstrativ desinteressiert mag ich es auch nicht haben. Ein aufmunterndes Lob für mein moralisch einwandfreies Verhalten hätte ich erwartet, schließlich hatte ich ja der Aufforderung des Aufklebers Folge geleistet. 

 

Ich vermute, dass moralisierende Kampagnen im Handel so nicht erfolgversprechend sind. Moralische Gesichtspunkte stehen gleichrangig neben Kriterien wie Qualität oder werden sogar damit verwechselt. 

 

»Stukkis‘ Gyros-Tempel« heißt seit neuestem »Gyros-Genussmanufaktur powered by Stukki‘s« Es riecht und schmeckt wie zuvor und auch neckische Genitiv-Apostroph kaspert weiter herum — neu ist, dass nun Rattanmöbel aus dem Baumarkt herumstehen und die Speisekarte eine Präambel enthält. Darin ist viel davon die Rede, dass alles »mit Liebe gemacht« sei. 

 

Es ist eine ähnlich moralische Argumentation, nur positiv gewendet und weniger barsch als der Anti-Amazon-Aufkleber. Dennoch: Wir sollen uns schlecht fühlen, wenn wir Stukkis Liebe, dargereicht als »Gyros komplett«, ablehnen. Im Imbiss sehne ich mich aber nicht nach Liebe, sondern nach Pommes, die okay schmecken.  

 

Ich habe nichts gegen Liebemachen. Aber in Gyrosbuden sollte man schon aus lebensmittelhygienischen Gründen davon Abstand nehmen. Wenn es irgendwie möglich ist. Ich will nicht als herzloser Moralapostel erscheinen.