Aufregen! Resignieren! Wir schaffen das!

Watchdog: Die Medienkolumne

Als nächstes kam »Next«. Das unübersichtlicher werdende Internet übersichtlicher zu machen und nutzergerecht vorzusortieren, das ist der Anspruch, mit dem Mitte Oktober »RTL Next« ins Netz reingelauncht wurde. »Aus der Flut der täglichen Nachrichten greifen wir das auf, was für Sie interessant und aktuell relevant ist«, lautet das Versprechen des Kölner Privatsenders zu seiner neuen Video-Plattform für Bewegtbild-Inhalte, die vor allem für Smartphones aufbereitet sind. So wie bereits eine erste Generation ohne Festnetz-Telefonie erwachsen geworden sei, so sei die jetzt junge Generation eine, die das Internet kaum noch am Rechner nutze, sondern auf den kleinen Geräten, die kaum aus der Hand gelegt und noch seltener ausgeschaltet werden. Ganz wichtig in diesen Tagen ist auch die Verbreitung von Inhalten über die Sozialen Netzwerke. »RTL inter­active«-Geschäftsführer Marc Schröder weiß: »Die jüngere Generation versteht unter Nachrichten auch das, was über Facebook läuft.« Das entscheidende Tu-Wort lautet ›Teilen‹ und fehlte auch in der RTL-Präsentation nicht: »Wir bringen die Stories, die für Sie wichtig sind, die Sie mit Ihren Freunden teilen wollen, über die Sie gerne diskutieren.« Rubriziert sind die Storys in »Lachen«, »Mitfühlen«, »Durchblicken« und — ganz wichtig in unserer Zeit!– »Aufregen«.


Und wie finden die »Radioretter« die nächste Reform, die der WDR für 2016 ankündigt hat und die ins­besondere sein drittes Hörfunk­programm betriftt? Die Radioretter hatten sich vor drei Jahren unter dem anspruchsvollen Namen formiert, um unterstützt von Kultur­prominenten wie Elke Heidenreich, Richard David Precht und Günter Wallraff die seinerzeit geplante Hörfunkreform zu verhindern. Die Homepage der Radioretter existiert noch. Doch der letzte Eintrag datiert auf den 23. November 2012. Ent­weder waren die Erfahrungen in jenem Jahr so zermürbend, dass die Retter rettungslos resignierten. Oder der aktuelle Maßnahmen­katalog der Hörfunkdirektorin Valerie Weber löst erst gar keinen Widerspruch mehr aus. Weber outet sich als »Fan von horizontalen Strukturen« und möchte fortan bei WDR 3 zu festen Zeiten feste Angebote verankern. Ein Mal-so-mal-so im Programm soll es nicht mehr geben. Unorthodox ist, wie Weber das Reformpaket begründet. Sie argumentiert mal offensiv für ein Programm, das sich am ver­änderten Hörerverhalten orientiert. Dann aber wechselt Weber in die Defensive und sieht sich von der Politik zu unpopulären Maßnahmen genötigt. Dass die Politik den öffentlich-rechtlichen Sendern allmählich den Saft abdrehe, sagte sie im Deutschlandfunk. Seit 2009 sei der Rundfunkbeitrag nicht mehr gestiegen, Honorare und Sachkosten aber schon. Ob Webers Reform als Pflicht oder Kür gesehen und gehört werden darf, werden wir wohl nie erfahren.


Wir werden ebenfalls nie erfahren, wie Axel Springer wohl Angela Merkels Flüchtlingspolitik gefunden hätte. Jedenfalls erfahren wir es nicht, wenn wir Bild und Welt aus dem Hause Springer nebeneinanderlegen. Das Boulevardblatt, dem sonst keine Hetze zu billig ist, feiert seit Wochen eine tägliche Willkommens-Party, wobei weniger die Flüchtlinge als die Kanzlerin gefeiert werden. Was sie auch macht und tut, die ganze Redaktion fällt ihrem Liebreiz anheim und die Freier stehen Schlange: Kolumnist Ernst Elitz sieht sich und uns alle durch Merkels »Wir schaffen das« wachgerüttelt. Und mit roter Tinte auf feuchtem Papier schreibt sein Kollege Franz Josef Wagner einen Liebesbrief: »Sie sind die Kanzlerin der Güte, der Herzen, ein guter Mensch.« Nicht weit entfernt sitzt Welt-Herausgeber Stefan Aust an der Schreibmaschine und findet andere Worte für eine Kanzlerin, die »Nichtstun als Politik« ausgebe: »Es ist ein politischer Offen­barungs­eid, wenn die letzte Turnhalle voll ist, werden das auch alle Bürger begreifen.« Auch Aust geht auf Merkels Parole ein: »Das machtvolle Kanzlerin­nenwort »Wir schaffen das« erinnert ein wenig an die vergeblichen Siegesparolen des zweiten deutschen Staates vor dessen Untergang 1989.« Fast wohl­tuend, dass die Kölner Tageszeitungen weder Weltuntergangsstimmungen noch der Liebesblindheit anheimfallen, sondern richtungslos allein das Geschehen schildern.