Köln am Rand

Vor 30 Jahren wurde Köln zur Millionenstadt, durch die radikale Eingemeindung von Umlandorten. Wie sieht es heute dort aus, wo die Großstadt immer noch weit weg ist? Oliver Minck (Text) und Manfred Wegener (Fotos) haben sich auf den Weg gemacht – nach Köln-Porz-Grengel und Köln-Auweiler

 

Nicht nur bei der Schließung progressiver Ehen standen skurrile Bindestrichnamen einmal hoch im Kurs (»Leutheusser-Schnarrenberger«). Auch die Vermählung von Großstädten mit ihren ehemals selbstständigen Vororten hatte so manche verbale Entgleisung zur Folge. Bestes Beispiel: Köln-Porz-Grengel. Ein Konstrukt, das herhalten muss zur Bezeichnung des Vordorfs der Vorstadt einer Großstadt. »Ich wohne in Köln-Porz-Grengel« – dieses Bekenntnis kommt selbst hartgesottenen Zeitgenossen nur mühevoll über die Lippen.
Schuld daran ist die städteplanerische Großkotzigkeit der 70er Jahre, auch »Kommunale Gebietsreform« genannt: Am 1. Januar 1975 wurde das schwierige Verhältnis zwischen Stadt und Umland in NRW mit einem Streich durch Eingemeindungen geregelt. Für Köln bedeutete dies eine sprunghafte Vergrößerung der Stadtfläche von 25.113 auf 40.515 Hektar – und den Sprung über die magische Millionengrenze bei der Einwohnerzahl.

Auch Porz, Wesseling und Rodenkirchen

Mit ins kölsche Boot geholt wurden nicht nur randstädtische Siedlungen wie Esch und Widdersdorf, sondern auch Mittelstädte mit bis zu 80.000 Einwohnern wie Porz, Wesseling und Rodenkirchen. Ziel der Aktion war in erster Linie, die Planungskompetenzen der Städte zu stärken. Wolfgang Gärtner, Kölner Historiker und Experte für neueste Landesgeschichte, erklärt das so: »Zum Beispiel sollte nicht länger die Stadt Köln Baugebiete ausweisen, und ein paar hundert Meter jenseits der Stadtgrenze Porz in direkter Konkurrenz dasselbe tun. Das sollte irgendwie planerisch koordiniert werden.«
Natürlich löste die Zwangsangliederung bei vielen betroffenen Kommunen Empörung aus. Porz und Wesseling zogen sogar vor das Verfassungsgericht. Porz musste sich beugen, Wesseling aber erhielt seine Freiheit zurück – weil laut Gericht die Abwägung nicht stimmte: Köln hatte die hohe Umweltbelastung durch die Wesselinger Chemie-Industrie als Hauptargument für die Eingliederung genannt. Weil die Stadt dafür aber gar nicht zuständig ist, hätte auch eine Eingemeindung an der Situation nichts geändert. Die so genannte Wiederausgliederung Wesselings am 1. Juli 1976 hatte für Köln einen unangenehmen Nebeneffekt: Den Verlust des gerade erst erworbenen Status einer Millionenstadt.
So viel zu den Hintergründen – wenden wir uns der Gegenwart zu. Wie steht es heute um die neuen Stadtgebiete am Rand, die demnächst ihre 30-jährige Zugehörigkeit zu Köln feiern? Gewillt Vorurteile abzubauen, führt der Weg direkt nach Köln-Porz-Grengel.

»Mit der Großstadt haben wir hier nichts zu tun«

Grengel ist eingekeilt zwischen der A59 und dem Gelände des Flughafens Köln-Bonn. Die ländliche Stadtrandsiedlung ist im Wesentlichen erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden und besteht größtenteils aus Doppelhaushälften. Das Angebot an Geschäften ist überschaubar: Die St.-Annostraße wartet auf mit einem Reisebüro, einem Blumenladen, Schlecker, Egypt Sun und dem Coiffeur Martina. In der Friedensstraße befindet sich eine Bäckerei, die Stadtsparkasse, ein Spar-Supermarkt und Coiffeur Schmitz (kollektive Mittagspause: 13 bis 15 Uhr). Dann gibt es noch den Zeitungskiosk von Ingelore König. »Mit der Großstadt haben wir hier nichts zu tun, es ist eher ländlich«, sagt die gebürtige Grengelerin. »Hier kümmern sich die Nachbarn noch umeinander, und die Leute kommen in die Geschäfte auch zum Quatschen.« Auf die Stadt Köln ist die 44-Jährige weniger gut zu sprechen: »Alles lässt man verkommen, seit wir eingemeindet wurden. Die Schulen, die Straßen, alles wird vernachlässigt.«
Florian Gerbel ist 19 und bei der Bundeswehr, er findet Grengel eigentlich ganz gemütlich: »Es ist schön, ein ruhiger Ort. Wenn mich einer fragt, wo ich wohne, sag ich Grengel – nicht Porz. Wir haben einen eigenen Karnevalsverein: die Grengelner Bure und Mädchen, und abends kann man sich mit Freunden Em Laternchen zum Fußballgucken oder Darten treffen.« Am Laternchen, ebenfalls in der St.-Annostraße, haben aber nicht alle ihre Freude. Die Dame, die schräg gegenüber wohnt und ihren Namen nicht nennen will, empfindet Gaststätten in Wohngebieten generell als Zumutung, ebenso den Verkehr und die »verdrecksten Straßen«. »Und zum nächsten Briefkasten muss man anderthalb Kilometer laufen!«

Viel zu meckern

Auch vom Fluglärm sei man hier natürlich extrem betroffen: »Die fliegen so tief, da können sie fast den Piloten sehen.« Nunzio Di Fiore, der Inhaber des Laternchens, bestreitet, dass seine Kneipe als wilder Jugendtreff herhalten muss: »Das hier ist ein ruhiger Laden, aber die Leute beschweren sich immer.« Die Nähe des Flughafens empfindet er als Segen: für ihn die schnellste Verbindung nach Rom, mindestens viermal im Jahr.
Grengel ist ein bisschen deprimierend. Schleppt man sich durch die leeren Siedlungsstraßen, beschleicht einen nach und nach ein Gefühl der Bedrückung – und die Angst, innerhalb der nächsten fünf Minuten vom Rest der Welt vergessen zu werden. Hier ist Köln wirklich ganz weit weg.
Ziemlich weit weg ist auch Auweiler. Von Grengel aus beträgt die kürzeste KVB-Verbindung tagsüber 82 Minuten, vorausgesetzt alle Anschlüsse funktionieren. Hier, im äußersten Nordwesten der Stadt, gewinnt man einen ganz anderen, idyllischen Eindruck. Auweiler ist ein jahrhundertealtes Dorf, ursprünglich eine Ansammlung von Backstein-Höfen, von denen noch heute einige stehen. Bewirtschaftet wird nur noch der Hof von Karl Friedrich Müngersdorf: »Meine Familie ist hier schon seit 1600. Aber die Situation ist beängstigend: Durch die Ausdehnung der Stadt wird es hier immer enger, und mit der Landwirtschaft ist es eh problematisch.« Müngersdorf fühlt sich zwar nicht als Städter, als Kölner aber schon: »Wenn ich den Dom nicht seh’, dann bin ich nicht zufrieden.« Von Auweiler aus kann man die Domspitzen bestens sehen.

Stolze Dorfbewohner

Bruno Vogel gehört zum harten Kern von Auweiler, den heute 70- bis 80-Jährigen, die rund um den Dorfplatz wohnen. Mit ein bisschen Glück trifft man Bruno im »Freundlichen Kiosk«, wo er sich sein Feierabendbierchen gönnt: »Hier sind alle in der Maigesellschaft«, erzählt das Dorforiginal. »Die Maigesellschaft kümmert sich um alles: die Spielplätze, die Marienkapelle...« Das schnuckelige Kapellchen, auch »Auweiler Dom« genannt, ist wirklich bestens in Schuss und der ganze Stolz des Dorfes. Zwei Sitzbänke gibt es in der Marienkapelle, mehr Platz ist nicht.
500 Haushalte zählt man inzwischen in Auweiler. Das Dorf ist ein regelrechter Fluchtpunkt geworden für bessergestellte, großstadtmüde Bürger. Carsten Schmitz zum Beispiel wähnt sich als echter Glückspilz: »Hier etwas an Eigentum zu bekommen ist eigentlich unmöglich.« Schmitz hat dennoch einen wunderschönen alten Resthof aus dem 18. Jahrhundert erstanden, der nun seine Familie und sein kleines Gebäudereinigungsunternehmen beherbergt. Auch Schmitz besteht darauf, Kölner zu sein: »Nach Pulheim hätte uns keiner gekriegt.«
30 Jahre Zugehörigkeit zur Großstadt haben sich auf die verschiedenen Gemeinden recht unterschiedlich ausgewirkt. Von der vergessenen Vorstadt bis hin zum prosperierenden Dörfchen – das neue Köln am Rand hat viele Gesichter. Wolfgang Gärtner betrachtet die Kommunale Gebietsreform aus heutiger Sicht dennoch kritisch: »Die 60er, 70er und 80er Jahre waren eine Phase der Planungseuphorie: Alles ist planbar. Den Aspekt der örtlichen Verbundenheit zur eigenen Stadt hat man damals zu gering bewertet. So würde man das heute nicht mehr machen.«