Big Boss Mühlemann

RTL, Viva, und eine NRW-Kaffeefahrt nach New York:

Spätherbststimmung am Medienstandort Köln

»Isch han minge Duden jetz grad nitt dabei«, kanzelte Reiner Calmund als rheinischer Donald Trump einen dienstfertigen Lehrling ab, der sich per Fachbegriff als Nachwuchs-Unternehmer zu empfehlen suchte. Das saß, weit mehr als im Übrigen das RTL-Format > »Big Boss« im Zuschauerwettbewerb: Mit rund 15 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe blieb das Calli-Format, das im Kölner Mediapark gedreht wird, bislang hinter den Erwartungen zurück – Tendenz fallend. Wie so vieles in der jüngeren Vergangenheit beim Kölner Marktführer. Seit Anfang November hat RTL selbst nun auch einen neuen Big Boss, hat Marc Conrad seinen Job an der Aachener Straße angetreten. Schon rollen die Köpfe und dreht sich das Personalkarussell. Hoffen dürfen vor allem die Produzenten: Conrad gilt als Freund feiner TV-Movies – ein Genre, das zuletzt weitgehend verwaist war beim Kölner Sender.
Ein Wörterbuch wäre auch hilfreich gewesen, um die Vorgänge beim Kölner Musik-TV-Mini-Konzern > VIVA nach der Übernahme durch den Konkurrenten Viacom/MTV zu klären. Von »Beherrschungsvertrag« und »Squeeze out« war die Rede. Seit Viacom über mehr als 95 Prozent des Grundkapitals von Viva verfügt, kann der US-Konzern nun auch die Aktien der Viva-Minderheitenaktionäre beanspruchen. Aber auch ohne Börsenlexikon umweht den Begriff derzeit ein angenehm allegorischer Hauch. »Squeeze out« – ausquetschen – so fühlt sich das für viele Viva-Mitarbeiter auch an. Dabei hatte alles so harmonisch begonnen. Es werde keine Gewinner und Verlierer bei der Übernahme geben, hatte MTV-Chef Tom Freston die Beteiligten noch beruhigt. Nun aber sitzen fast ausschließlich MTVer im jüngst benannten Vorstand. Chefin vom Ganzen wird Catherine Mühlemann, bis dato Geschäftsführerin der MTV-Assets in Mitteleuropa – und nicht etwa unser Dieter. Dabei, so hatte Viva-Chef Dieter Gorny noch zu besten Wettbewerbszeiten gestichelt, saß die noch in der Schweiz und aß Raclette, als er schon mit Videoclips auf Sendung ging. Ist vielleicht, so fragte die Süddeutsche Zeitung, der Gornyismus per se überholt? Jetzt also Mühlemann, eher kühle Marktbearbeitung anstelle des pop-visionären Singsangs des neobarocken Gorny.

Scharf reagierte die > NRW-Medienpolitik, schon zu Clements Zeiten ein treuer Wegbegleiter des Viva-TV-Wunders, auf die Umzugspläne für die auch inhaltlich neu zu positionierenden Viva-Sender. Schließlich war ein Team der Landesregierung um Medien-Staatssekretärin Miriam Meckel eigens nach New York gereist, um sich vom neuen Eigner Viacom Standortgarantien für Köln abzuholen. Die wurden seinerzeit auch gewährt – allerdings in informellen Absprachen. Sollte Viacom nun doch gegen diese verstoßen, so Meckel, werden die bestehenden Lizenzbedingungen der Viva-Sender neu überprüft. Auch eine Änderung der Landesmediengesetze wurde nicht ausgeschlossen. Ganz schön forsch. Und auch Fritz Schramma leistet seinen Beitrag: Zu jeder Tages- und Nachzeit, so der Kölner OB, stehe er für Gespräche mit Gorny und Mühlemann bereit. Für die insgesamt rund 600 Viva-Mitarbeiter bleibt dennoch die Ungewissheit. Internen Berechnungen zufolge könnte bei einer Zusammenführung der Sender ein Drittel der Viva-Programmarbeiter freigestellt werden. Erst im Frühjahr 2005, wenn die Viva-Übernahme abgeschlossen ist, soll in der MTV-Zentrale die Entscheidung über einen Umzug fallen.
Ein Weggang von Viva würde den > Medienstandort Köln mit seinem Hot Spot Mülheim empfindlich treffen – zumal erhoffte Neuzugänge zuletzt ausblieben. So zieht der Pay-TV-Sender Premiere nun doch nicht an den Rhein. Der Sender hatte seinen Umzug aus München in Aussicht gestellt, um weitere Fördergelder zu stimulieren, bleibt nun aber doch in Stoiber-Land. Unermüdlich zeigt sich dennoch die NRW-Landesregierung. Zuletzt, und das kannte man bisher eher nicht, erschien der Standort gar als Hort der Qualität: Zehn der insgesamt 22 Preise beim Deutschen Fernsehpreis gingen an Produktionen aus NRW. Neue Wege auch bei der internationalen Standort-PR – heuer hieß es: NRW goes USA. Im November präsentierte das Land mit einigen seiner wichtigsten TV-Unternehmen den »Transatlantic Dialogue« in New York, und zwar im Rahmen der »International Emmys«. Die Emmys sind der bedeutendste internationale TV-Preis – eine treffliche Gelegenheit, so das NRW-Kalkül, jenseits unübersichtlicher Messen die führenden Entscheider aus der amerikanischen und deutschen Fernsehbranche zusammenzubringen. Einen Tag vor der Emmy-Verleihung äußerten sich zudem Experten zum Trend-Genre Reality-based Entertainment – fein gewählt, wo doch
die Wiege des Reality-TV in Köln-Hürth stand. RTL, WDR, Brainpool, Grundy Light Entertainment, AZ Media usw. –
die Kölner TV-Chefs folgten gern auf die lustige NRW-Kaffeefahrt. Schließlich winkte nicht nur die Teilnahme an der Emmy-Gala, sondern auch Christmas-Shopping auf der 5th Avenue.
Frohe Weihnachten.