Vorsicht Kamera

In Köln ist seit Monaten eine Debatte um die Ausweitung von Videoüberwachung in Gang.

Dabei ist die Videoüberwachung bereits allgegenwärtig.

Jörg Kronauer berichtet über den Stand der Dinge und verfolgt die unterschiedlichen Konfliktlinien

Dicht an dicht schiebt sich die Menge durch die Schildergasse. Kichernde Teeniecliquen, ein aufgeregter Seniorenausflug, umschlungene Paare, quäkende Kids, Touristinnen mit der Hand am Fotoauslöser. Langsam treibt man in der Masse an der Antoniterkirche vorbei. Keine andere Einkaufsstraße in Deutschland wird von so vielen Menschen frequentiert wie die Kölner Shopping-Meile. Rund 17.500 Menschen pro Stunde, berichtet das Maklerunternehmen Kemper’s, drängten sich in diesem Jahr an einem durchschnittlichen Sommersamstag zwischen Modeläden und Pommesbuden hindurch.
Als im Kommunalwahlkampf wieder einmal die Forderung laut wurde, öffentliche Plätze in Köln unter Videoüberwachung zu stellen, da kam auch die Schildergasse ins Gespräch. »Wir wollen, dass die Kölnerinnen und Kölner ohne Angst oder ein mulmiges Gefühl auf die Straße gehen können«, erklärte der CDU-Vorsitzende Walter Reinarz. Dazu müsse die Polizei Videokameras in der Innenstadt installieren, hieß es in seiner Partei – wenn nötig auch in den Einkaufsstraßen. Denn das, so Reinarz, »ist ein wirksames Mittel zur Verbrechensbekämpfung und zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit.«

An örtlichen Kriminalitätsbrennpunkten

Die Neufassung des NRW-Polizeigesetzes macht’s möglich: »Zur Verhütung von Straftaten« darf die Polizei örtliche Kriminalitätsbrennpunkte »mittels Bildübertragung beobachten und die übertragenen Bilder aufzeichnen«. Das beschloss die rot-grüne Düsseldorfer Regierungskoalition im Juli 2003. Vorbild war ein Pilotprojekt in Bielefeld, bei dem es gelang, mit vier Videokameras zwischen Februar 2001 und März 2002 ganze drei Straftaten aufzuzeichnen. Ob die Kameras überhaupt irgendeine abschreckende Wirkung erzielten, ist nach wie vor umstritten. Wie auch immer – die erste dauerhafte Überwachungsanlage gemäß dem neuen Paragrafen 15a Polizeigesetz NRW wurde am 2. September 2004 in der Mönchengladbacher Altstadt in Betrieb genommen.
In Köln sorgt die rot-grüne Filminitiative seit Monaten für Unruhe. Die CDU fordert »Videoüberwachung auf besonders gefährdeten öffentlichen Plätzen«, genannt wurden u.a. Domplatte, Neumarkt, Heumarkt, Ebertplatz und die Schildergasse. Die SPD-Fraktion findet Überwachungskameras in Ordnung, hält die genannten Orte aber nicht für Kriminalitätsbrennpunkte. »Wir sind generell gegen Videoüberwachung im öffentlichen Raum«, sagt dagegen PDS-Ratsmitglied Jörg Detjen. Auch die Kölner Grünen lehnen, anders als die Landesregierung, eine »Entwicklung in Richtung Big Brother« ab: »Das ginge in Richtung Überwachungsstaat, und den halten wir nicht für sinnvoll«, erklärt Jörg Penner vom Kölner Grünen-Vorstand.

Datenschutz?!?

In der Tat, die Entwicklung trägt Orwell’sche Züge. »Jede Videoüberwachung durch öffentliche Stellen ist ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung«, erfährt man bei der Landesbeauftragten für Datenschutz. Kameras allein auf der Schildergasse würden weit über 100.000 Menschen innerhalb von 24 Stunden um ihr so genanntes informationelles Selbstbestimmungsrecht bringen. Dabei sind das nur die Ziffern, die sich aus der heiß diskutierten Überwachung des öffentlichen Raums ergeben. Private Kameras sind schon lange und massenhaft in Betrieb.
In Kaufhäusern, an Tankstellen, Geldautomaten und Gerichtsgebäuden, am Flughafen, in Parkhäusern, Bahnhöfen und bei der KVB – niemand weiß, wie viele Videokameras in Köln inzwischen fest installiert sind. Zumindest einige von ihnen, das zeigen die VIVA-Aufnahmen des Keupstraßen-Attentäters, filmen nicht nur Privatgelände, sondern auch öffentlichen Raum. Andere, die Kameras der KVB etwa, observieren Menschenmassen. 182,6 Millionen Fahrgäste hat das Unternehmen im Jahr 2003 in seinen Bahnen befördert, rund 500.000 sind das pro Tag. Fast die Hälfte aller Bahnen ist inzwischen mit Videogeräten ausgestattet, hinzu kommen Kameras vor allem auf den unterirdischen Bahnsteigen.
»Die Grundsätze zum Schutz des Persönlichkeitsrechtes werden bei uns streng befolgt«, beteuert KVB-Pressesprecher Joachim Berger. Doch bringt es – wie versprochen – mehr Sicherheit? »Wir haben keine signifikanten Werte, die man mit Gewissheit nennen könnte«, sagt Berger vorsichtig. Die Kameras in den Bahnen speichern die Daten der vergangenen 24 Stunden und können für die Strafverfolgung Beweismaterial liefern. Die Bahnsteig-Kameras dienen der Kontrolle des Bahnverkehrs und zeichnen nur nach einem Notruf auf. »Der größte Nutzen besteht in der Abschreckung«, meint Berger und fügt rasch hinzu: »Wesentlich ist auch der subjektive Sicherheitsgewinn.«

Straßenlaternen als Alternative

Bettina Gayk, Sprecherin der Landesbeauftragten für Datenschutz, sieht das anders. »Mir ist nur eine wissenschaftliche Studie über die abschreckende Wirkung von Kameras bekannt«, sagte sie kürzlich gegenüber dem WDR. Das Ergebnis der Untersuchung: Eine gute Straßenbeleuchtung bringt »wesentlich mehr als Kameras«, so Gayk. Ähnliche Ansichten hat man bei der Kölner Polizei. »Die KVB-Kameras am Neumarkt schrecken keinen Taschendieb ab«, heißt es dort. Kann Videoüberwachung nicht immerhin Sexualstraftaten gegen Frauen verhindern, wie viele hoffen? Der Kölner Polizei, sagt Sprecherin Gudrun Haustetter, liegen dafür keinerlei Belege vor.
Auch Sabine Müller ist in dieser Hinsicht skeptisch. »Im akuten Notfall bringt die Kamera keine Hilfe«, meint die Kölner Selbstverteidigungs-Trainerin, die seit 16 Jahren Frauen und Mädchen über geeignete Methoden zur Gewaltabwehr informiert. Ihre Bedenken sind – das zeigt das Beispiel Mönchengladbach – begründet. »Unsere Kameras zeichnen alles auf«, sagt Willy Theveßen, Pressesprecher der dortigen Polizei, die gerade sieben Überwachungsanlagen installiert hat. Ein Kollege hat die Bildschirme zwar meist im Blick, »aber es gibt niemanden, der da unentwegt draufschaut.«
Im Zweifelsfall käme die Hilfe womöglich zu spät. Selbst ein Erfolg bei der Tätersuche ist keineswegs sicher: Die Bombenleger aus der Keupstraße wurden auf Video festgehalten – und sind bis heute nicht gefasst. Videokameras sind also in den meisten Fällen nutzlos und schaffen ein gefährlich trügerisches Sicherheitsgefühl. »Das Wesentliche ist, dass Frauen informiert werden, wie sexuelle Übergriffe ablaufen und wie sie sich gegebenenfalls wehren können«, erklärt Müller. Sie hat mit ihrer Kollegin Maria Spahn Techniken erarbeitet, die es Frauen, auch Frauen mit Behinderung, ermöglichen, die Übergriffe abzuwehren – und zwar nicht nur im öffentlichen Raum.
Das ist entscheidend. Denn nur ein Fünftel aller sexualisierten Gewalttaten, das zeigt eine kürzlich veröffentlichte Studie des Bundesfamilienministeriums, wird an öffentlichen Orten verübt. 69 Prozent aller betroffenen Frauen gaben der Untersuchung zufolge als Tatort die eigene Wohnung an.

Frust statt Schutz

Im Übrigen schafft Videoüberwachung sogar eine neue Quelle sexualisierter Gewalt: Auch durch die Überwachungskamera fällt manch belästigender Männerblick auf Frauen. Eine Studie der University of Hull hat das vor einigen Jahren bestätigt. Jede zehnte Frau, die länger durch die Kamera beobachtet wurde, starrte ein Überwacher »nur zum Zwecke des Voyeurismus« an.
Nein, sagt Polizei-Sprecherin Haustetter, es spricht überhaupt nichts dafür, den öffentlichen Raum mit Videokameras zu überwachen. Das ist unwirksam, personalintensiv und teuer. Nein, sagt Ralph Sterck, Vorsitzender der FDP-Ratsfraktion, gegen den Willen der Polizei wird seine Partei bestimmt nichts unternehmen: »Das sind hier nun mal die Fachleute.«
Doch, sagt CDU-Vorsitzender Walter Reinarz: »Wir werden das Thema Videoüberwachung mit Sicherheit weiterverfolgen.« Die CDU hat, sagt Reinarz, ihren Sicherheitsexperten Winrich Granitzka, der kennt sich mit der Überwachungsthematik aus. Granitzka war Leitender Polizeidirektor und hat nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst eine private Security-Agentur gegründet. Zur Zeit läuft gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Strafvereitelung im Amt. Ihm wird vorgeworfen, vor drei Jahren Details eines SEK-Einsatzes verschleiert zu haben, um Ermittlungen gegen die beteiligten Beamten zu verhindern.

CDU klar dafür

Im Wahlkampf hat die CDU Unterschriften für die Einführung von Überwachungskameras gesammelt, »mit Unterstützung«, so heißt es in einer Presseerklärung, »der WISAG Sicherheitsdienste und der ESG – euro security group«. Der Frankfurter Dienstleister WISAG bietet u.a. die Erstellung von Sicherheitsanalysen an, die euro security group aus Langenfeld liefert das Equipment für Videoüberwachung. Eine hohe fünfstellige Summe haben die sieben Überwachungskameras in Mönchengladbach gekostet, für entsprechende Geräte in Düsseldorf sind mehr als 100.000 Euro im Gespräch. Ein Auftrag in Köln wäre für die Branche durchaus lukrativ, zumal der deutsche Markt für Videoüberwachungstechnik nach einem Neun-Prozent-Boom 2002 im vergangenen Jahr nur noch um 0,7 Prozent wuchs.
Auch die Überwachungs-Industrie ist auf Wachstum angewiesen, am Überwachungsstaat verdient sie gut. Der unterwirft seine Bürgerinnen und Bürger einer stetig wachsenden Kontrolle. »Charakteristisch ist (...), dass Kameras über Gehwegen unterschiedslos jeden erfassen und abfilmen« – »Symbol eines sich ausbreitenden, undifferenzierten Generalverdachts«, schreiben die Bürgerrechtler Nils Leopold und Kai von Lewinski im »Grundrechtereport 2004«. Die Überwachungskamera erfasst jedes Abweichen vom Mainstream, im Verbund mit biometrischer Gesichtserkennung ermöglicht sie den Zugriff auf jedes potenziell unliebsame Individuum. Langsam, aber sicher könnte sich die totale Kontrolle Bahn brechen.
Dicht an dicht schiebt sich die Menge durch die Schildergasse. Kichernde Teeniecliquen, ein aufgeregter Seniorenausflug, umschlungene Paare, quäkende Kids, Touristinnen mit der Hand am Fotoauslöser. Langsam treibt man in der Masse an der Antoniterkirche vorbei. Noch ist eine allumfassende Kontrolle der Menge nicht möglich. Die polizeiliche Video-Erfassung einer sechsstelligen Anzahl von Menschen pro Tag wäre ein deutlicher Schritt in diese Richtung.

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