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Der erste Hype des neuen Jahres: LCD Soundsystem

Yeah, I’m losing my edge
I’m losing my edge
The kids are coming from behind
I’m losing my edge
I’m losing my edge to the kids from France and from London
But I was there
I was there in 1968
I was there at the first Can show in Cologne



Bekenntnisse eines alternden Hipsters: Er war da, in Köln bei Can, bei den ersten Proben von Suicide in einem New Yorker Loft Anfang der 70er, bei den großen jamaikanischen Soundclashes, in der New Yorker Paradise Garage neben Larry Levans Turntables. 1988 wachte er in Ibiza nackt am Strand auf. In den 90ern spielte er den Rock-Kids im Punktempel CBGB’s als erster Daft Punk vor - »But I’m losing my edge to better-looking people with better ideas and more talent. And they are actually really nice.«
Diese Zeilen singt James Murphy, eine Hälfte des Produzententeams und Labelbetreiberduos DFA (Death from Above) und alleiniges Mastermind des LCD Soundsystem. Die Maxi »I’m Losing My Edge« war 2002 das erste Lebenszeichen des Einmannprojekts (im Studio ist Murphy alleine, singt, spielt Bass und Gitarre, sampelt Schlagzeugschnipsel, filtert Sounds; auf der Bühne sind LCD Soundsystem eine komplette Rockband). Die musikalischen Zutaten, die Murphy für »I’m Losing My Edge« zusammenrührte, weisen in die frühen 80er Jahre, als New York mit Labels wie Ze und 99 und Bands wie Liquid Liquid und ESG zum Zentrum einer Mischung aus eckigem Postpunk und afroamerikanischen Genres wie Funk und Disko wurde.
Für Murphys Sprechgesang findet man allerdings das klarste Vorbild in England: Er gibt selber zu, dass er sich viele Manierismen des großen Nörglers und Misanthropen Mark E. Smith angeeignet hat. Der dynamisch-schichtende Aufbau und der durchschlagende Sound von »I’m Losing my Edge« wären jedoch nicht denkbar ohne die musikalischen und klanglichen Revolutionen der letzten zwanzig Jahre elektronischer Musik. Diese Mischung - mal mit Betonung der Rockseite, mal mit Betonung der Diskotauglichkeit - prägt die in den letzten zwei Jahren erschienenen Singles von LCD Soundsystem. Und findet sich weitgehend wieder auf dem Ende Januar erscheinenden Album, das auf einer Bonus-CD für alle Nicht-DJs verbraucherfreundlich alle bisherigen Singles zusammenfasst.
Es ist ein Feuilleton-Klischee, bei solch eklektischen Gebräuen Qualität und Originalität daran festzumachen, dass die Summe mehr ergebe als die Addition der einzelnen Teile. Derartige Zaubereien gehören allerdings ins Reich der Alchemie. Weniger ist mehr: Die Qualität von LCD Soundsystem besteht darin, dass sich die Einzelteile von James Murphys Musik wirklich addieren, statt sich im Weg zu stehen oder gar in ihrer Wirkung auszulöschen. Die Rockelemente profitieren von den Studiotechniken und der Präzision elektronischer Musik und die Tanzseite von der Punkattitüde und dem Druck und Schmutz analoger Verzerrungen.
Murphy versteht etwas von Sound. Die 90er Jahre verbrachte er als Livemischer für Indierockbands wie Six Finger Satellite und arbeitete als Soundengineer. Bei einem Job trifft er auf den Briten Tim Goldsworthy, Mitbegründer des Mo-Wax-Labels, beide verstehen sich musikalisch auf Anhieb und gründen DFA, Label und Produzententeam. Als Produzenten bekommen sie durch die Maxiversion von The Raptures »House of Jealous Lovers« schnell den Ruf des Next-Big-Thing. Gerüchte machen die Runde: Britney Spears sei mit ihnen im Studio gewesen, aber es hätte keine gemeinsame Kommunikationsebene gegeben; Janet Jackson habe angerufen, aber DFA hätten vergessen zurückzurufen; Christina Aguilera hätte einen Remix in Auftrag gegeben ... Ob das stimmt, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass solche Gerüchte nur funktionieren, weil sie wahr sein könnten.
Es konnte wohl kaum ausbleiben, dass DFA mit den Neptunes verglichen werden, die ähnlich innovativ im R’n’B- und HipHop-Genre eigene Band, eigenes Label und Produzententätigkeit vereinen. Der Vergleich ist interessant durch die Unterschiede: R’n’B und HipHop waren schon immer Produzentenmusiken, in Indiekreisen mit ihrer Betonung von künstlerischer Freiheit und Authentizität ein verpönter Begriff. Es gibt zwar wichtige Produzentenfiguren im Indierock wie Steve Albini und Butch Vig, aber deren Markenzeichen ist ja gerade die (vermeintliche) Transparenz ihres Sounds, der der Gitarre ihr volle röhrenverstärkte Präsenz zurückgegeben sollte. DFA dagegen sind Produzenten im klassischen Sinne, sie prägen Sound, manipulieren für ihre Vision einer Zukunftsmusik mit Geschichte.
Auch James Murphys Texte für LCD Soundsystem stehen kaum in der Indierock-Tradition mit seinen nabelschauenden Introspektionen. Der Ich-Erzähler aus »I’m Losing My Edge« wirkt, als sei er direkt aus Nick Hornbys »High Fidelity« entsprungen und demontiert sich zunehmend selbst durch seine Mischung aus Prahlerei und Selbstmitleid. Murphy (Jahrgang 1970), der selbst in einem Plattenladen gearbeitet hat, scheint hier ein Alter Ego auszutreiben, das er selber hätte werden können: der von lauter subkulturellem Kapital paralysierte Hip-Connaisseur. Passenderweise singen am Ende von »I’m Losing My Edge« Frauenstimmen immer wieder den Satz: »You don’t know what you really want«.
Murphy dagegen weiß genau was er will: Den Sound der Rockmusik revolutionieren - bei gleichzeitigem Bewusstsein für die Unmöglichkeit dieses Vorhabens. Niemand anderes ist diesem Ziel in letzter Zeit näher gekommen.

LCD Soundsystem erscheint am 24.1. auf DFA Records/EMI. Gerade erschienen ist eine DFA-Labelcompilation.