Zum Greifen fern

Christopher Muller zeigt »So Near, so Far« bei Rolf Hengesbach

Christopher Muller (Jahrgang 1966) ist bekannt dafür, dass er aus banalen Alltagsgegenständen gehaltvolle Stillleben zusammenstellt. Meditonsin-Fläschchen, eine A&P-Dose Vogelsand, Gummistiefel und dergleichen werden vor einer weißen Wand sorgsam arrangiert, gleichmäßig ausgeleuchtet und fotografiert. Die Bilder in der aktuellen Ausstellung weichen von dieser Strenge ab, denn die Dinge stehen nun dort, wo wir sie tagtäglich sehen: in einer Wohnung. Auch bilden sie kein additives Nebeneinander, sondern überlappen sich oder werden vom Bildrand abgeschnitten.

Alltagsdinge müssen nicht schön sein. Sie haben zu funktionieren. Unspektakulär sind auch die Dinge, die Muller für seine Stillleben auswählt. Auf einem Tisch oder im Waschbecken versammeln sich Kamm, Taschentücher, eine Chipsdose oder Schreibzeug und harren der ungewohnten Aufmerksamkeit. Wir heften unsere Blicke auf sie, eben weil sie so auffällig unauffällig sind. Wir fangen an zu grübeln. Ob Wasserkocher oder Toaster vielleicht ein besonderes Verhältnis zueinander haben, das wir bloß nie bemerkt haben? Ob sich aus den Arrangements auf dem Tisch und auf der Arbeitsplatte Aussagen über die Vorlieben des Eigentümers oder seine persönliche Ikonographie treffen lassen? Ganz gleich, an welchem Ende wir die Stillleben versuchen aufzurollen, mehr als drei, vier Schritte weit kommen wir nicht.

Das Geheimnis für die-se ambivalente Verschwiegenheit liegt im Titel der Ausstellung: »So Near, so Far«. So nah wirken die Fotografien, weil man meint, auf sie zugehen und den vordersten Gegenstand – etwa eine Bananenschale – anfassen zu können. Die Tiefenschärfe und das Größenverhältnis von 1:1 erinnern an den Augentäuschungseffet des Trompe l’oeil, den besonders die niederländischen Stilllebenmaler bis zur Perfektion beherrschten und damit die Dinge zum Greifen nah erscheinen ließen. Und doch so fern ist die Bananenschale auf einmal, wenn wir uns des sterilen Charakters und der fehlenden Plastizität des Arrangements bewusst werden.

Im Gegensatz zur klassischen Stilllebenmalerei entfalten Mullers Bilder ihren Reiz nicht in der zur Schau gestellten Virtuosität der Darstellung oder der Lesbarkeit symbolgeladener Gegenstände. Unter der Oberfläche der Alltäglichkeiten verwickeln sie den Betrachter durch das stets neu auszulotende Verhältnis von Banalität und Gewichtigkeit, Vertrautheit und Distanz in einen unerschöpflichen Dialog.


Galerie Rolf Hengesbach, Schönhauser Str. 8, Di-Fr 14-18.30, Sa 12-18 Uhr, bis 29.1.