Foto: Manfred Wegener

Das da zwischen der Klingelton-Werbung

Die Liebe zu VIVA war schon länger erkaltet – doch dass er so abgerockt wird, hat der Sender nicht verdient

Bad news are good news, sagt eine alte Medienweisheit, und deshalb gibt es nur wenige Optionen, sich im Fernsehen wirklich subversiv zu gerieren. Will man nicht gerade mit Druckgraphik der Cranach-Zeit, Grillparzers Spätwerk und dergleichen daherkommen, bleibt vor allem die Option, gar nicht auf Sendung zu gehen. Und so trat > Charlotte Roche, Grimme-Preis-dekorierte Moderatorin des VIVA-Programms »Fast Forward«, im Dezember in den Streik. Die allzu zähe Übernahme ihres Senders durch den MTV-Mutterkonzern Viacom hatte ihr die Laune verdorben: Lausige Informationspolitik, Kahlschlag im Programm und Verschleppungstaktiken – führungslos sei der Sender, stil- und würdelos die ganze Affäre, so ließ die Indie-TV-Ikone das Beil auf neue wie alte Viva-Eigentümer niedersausen. Auch wenn der Bildschirm zur »Fast Forward«-Zeit daraufhin nicht schwarz blieb: TV-Streik bei laufenden Verträgen, in einer devoten TV-Dienstleistungswelt, zumal in unsicheren Zeiten wie diesen – solch anarchische Gesten kennt man sonst nur noch von Harald Schmidt.

Streikende Sternchen, Mitarbeiter-Demos – > VIVA-Rock’n’Roll 2004. »Chaostage in Köln«, titelte der Spiegel zum VIVA-Übernahmekrampf zwischen Köln, Berlin und New York. In seinen wohl letzten Stunden wird sich der Sender doch noch mal treu. Auch in seinen Anfängen war VIVA im Gestus, nun ja, Punk. Der Sender verstieß gegen sämtliche Regeln des TV-Establishments: kokett unprofessionelle wie uncoole Moderatoren, die schon mal aus dem Bild fielen. Alles schön billig bonbon-farben. Man sprach deutsch und bot deutsche Musik und war damit entschlossen anachronistisch angesichts der Präsenz angloamerikanischer Popkultur. Dazu musikalische Sonderzonen wie »Wah Wah«, »Freestyle« und »Metalla« – Foren für Cutting-Edge-Popmusik, die ganz nah dran waren an den musikalischen Szenen und zudem Projektionsflächen für die linke (Pop-)Kulturkritik boten: Inmitten des kapitalistischen Systems, so meinte mancher, könnten hier qua Popkultur subversive Qualitäten des Mediums freigesetzt werden, die die Gesetzmäßigkeiten der reinen Kapitalakkumulation überschreiten. VIVA war was Besonderes, ein Synonym dafür, dass es auch anders geht.

Irgendwie hatten wir es alle lieb, auch wenn daraus schnell eine Art Hassliebe wurde. Nach Abrieb des initialen Novelty-Bonus hatte sich der Sender zunehmend den Realitäten des Geschäfts zu stellen. VIVA sei kein gemeinnütziger Jugendklub, in den irgendein Ölscheich jedes Jahr seine Millionen reinschiebt, hatte VIVA-Chef > Dieter Gorny irgendwann programmatisch verkündet. Seitdem stand »Vivaisierung« für die gnadenlose kommerzielle Penetration jugendlicher Alltags- und Popkultur: Drittmarken, Koops und »kreative« Werbeformen – von VW Sound Foundation bis VIVA Agfa Easy, alles grundiert mit der hohen emotionalen Identifikation der TV-Marke. Dazu ein Chef, der sich gerne wortreich als Jugend-Kulturideologe inszenierte, doch die Sexyness des Geschäfts wohl eher in Rendite und Ränkespielen sah. Börsenrausch und Programm-Relaunch – das Ding lief aus dem Ruder, wirtschaftlich wie programmlich. Heuer bedarf es schon einiger Verbalakrobatik, um zu erklären, was das da zwischen der Klingelton-Werbung hätte gewesen sein können sollen müssen. Die Liebe also war längst erkaltet. Und doch: »Big Brother«-Wiederholungen demnächst bei VIVA – es macht ein wenig klamm, zu sehen wie der Laden jetzt abgerockt wird.

Der Markt also wird’s richten, und rund 1,5 Prozent Marktanteil, die das deutsche Musikfernsehen erreicht, sind eben einfach zu wenig, um vier Sendern in diesem Segment ihr glamouröses Leben zu sichern. Zumindest wenn sie nicht einem Konzern angehören. Auf jeden Fall wolle man an der Marke VIVA festhalten, beschwichtigte der MTV-Europa-Chef und neuer > VIVA-Bestimmer Simon Guild im Interview, und auch auf das Know-how von vielen VIVA-Mitarbeitern sei man angewiesen. Doch kann der beschwichtigende Ton nicht darüber hinwegtäuschen, dass Germany kein gutes Pflaster ist für den US-Medienriesen. Dabei gab es durchaus Gelegenheiten, aus Schaden klug zu werden: In seiner Markenarroganz hatte sich MTV in Deutschland lange nicht um regionale Besonderheiten geschert und wurde erst von VIVA eines Besseren belehrt. Viele Dollars versenkte der Konzern Ende der 90er Jahre auch mit dem Kinder-Sender Nickelodeon. Und nun stümpert der Konzern erneut auf dem deutschen Markt. Kommunikative Unfälle, lähmendes Macht- und Entscheidungs-Vakuum, das hysterischen Spekulationen Vorschub leistet, programmlicher Kahlschlag im VIVA-Programm, den die Marke nicht unbeschädigt überstehen wird, und nicht zuletzt die Konfrontation mit der hiesigen Medienpolitik bei der Standort-Frage – insgesamt ein beträchtlicher emotionaler Flurschaden.

Das alles kommt so ungelenk daher, dass man fast schon etwas Größeres vermuten möchte. Und tatsächlich brodelt die Gerüchteküche. Unterhändler des > ProSiebenSAT.1-Eigners Haim Saban hielten sich in der New Yorker Viacom-Zentrale für Verhandlungen auf, vielleicht im Zeichen eines richtig großen Deals. Das neue Jahr wird es bringen, so Simon Guild geheimnisvoll. Dann erst wird Viacom seinen Masterplan enthüllen.