Gequältes Lächeln: Radfahrerin auf den Ringen | Foto: Manfred Wegener

Der lange Weg auf die Straße

Auf den Ringen soll der Radverkehr auf die Fahrbahn.

Darüber wird gestritten, demnächst auch vor Gericht

Die letzte Sitzung des Verkehrsausschusses Ende Oktober war für Kölner Radfahrer eine erfreuliche Veranstaltung. Ein Pilotprojekt soll demnächst Radfahrern das Rechtsabbiegen bei roter Ampel ermöglichen, ein Teilstück der Zülpicher Straße testweise autofrei sein. Die Fußgängerzonen sollen nach Ladenschluss und am Wochenende für Radfahrer geöffnet werden, die fehlende Verbindung zwischen Roncalliplatz und Hohenzollernbrücke ist demnächst auch legal befahrbar — und am Breslauer Platz sollen mehr Fahrradständer installiert werden.

 

All jene Beschlüsse waren indes nur Nebendarsteller — am meisten diskutiert wurde ein Dringlichkeitsantrag. Er bittet die Verwaltung, die Benutzungspflicht für alle Radwege in Köln aufzuheben, und will vor allem den Radverkehr an den Ringen »schnellst möglich« auf die Straße bringen. Das Besondere: Der von den Grünen entwickelte Antrag wurde von allen Fraktionen getragen und einstimmig beschlossen.

 

»Die Entwicklung ist unglaublich«, freut sich Reinhard Goss. Er hat Anfang Oktober die Petition »Ring frei« gestartet, die die Aufhebung der Radwegnutzungspflicht fordert. Anlass waren zwei Unfälle binnen weniger Tage, bei denen eine Frau schwer verletzt und eine andere getötet wurde. Beide wurden auf dem Radweg von rechts abbiegenden LKWs übersehen — ein Fakt, den die Initiative der schlechten Sichtbarkeit der Radfahrer auf Radwegen zuschreibt. Mittlerweile haben fast 2000 Menschen die Petition unterzeichnet (siehe StadtRevue 11/2015), die vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) und dem Verkehrsclub Deutschland (VCD) unterstützte Initiative ist zu einem wichtigen Sprachrohr für Fahrrad-Aktivisten geworden.

 

Dass alle Fraktionen dabei waren, habe auch ihn überrascht, sagt Lino Hammer, der für die Grünen im Verkehrsauschuss sitzt. »Es scheint gerade eine günstige Zeit für Radverkehrspolitik«, sagt er. »Das Ganze hat eine kritische Masse erreicht, weit hinaus über die üblichen Verrückten.« Dazu passen die Aussagen der anderen Parteien. »Wir erkennen an, dass sich das Stadtbild geändert hat. Es gibt einfach immer mehr Radfahrer«, sagt Reinhard Houben von der FDP. Und Dirk Michel, verkehrspolitischer Sprecher der CDU, erklärt, dass sich auch in seiner Partei der Blick auf die Aufteilung des Verkehrsraums in der Stadt ändere.

 

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass die Ziele aller Beteiligten doch recht unterschiedlich sind. Die Initiative »Ring frei« will die günstige Stimmung nutzen und hat flankierend zum Antrag einen Zehn-Punkte-Plan für die zukünftige Verkehrsaufteilung auf den Ringen aufgesetzt. »Die Frage ist: Wie bekommen wir das für alle Verkehrsteilnehmer verträglich hin. Die Bandbreite alleine unter Radfahrern ist groß«, sagt Christoph Schmidt vom Kölner Kreisverband des ADFC.

 

Die Aufhebung der Radwegnutzungspflicht durch Entfernen der blauen Schilder, im Volksmund »Lollies«, soll »sofort und ohne weitere Verzögerung« umgesetzt und die Radwege zurückgebaut werden. Zudem soll auf der gesamten Länge der Ringe »Tempo 30« gelten und die rechte Spur ausschließlich dem Radverkehr vorbehalten sein. Die Parkplätze sollen in Ladezonen, Taxistände und Fahrradabstellplätze umgewandelt werden, die Autos in Parkhäuser ausweichen. »Wichtig ist zudem eine einheitliche Führung«, sagt Schmidt. »Nicht 100 Meter Radweg, dann 100 Meter Schutzstreifen, dann eine gemeinsame Spur und dann wieder Radweg. Das muss einheitlich sein.« Auch eine breit angelegte Aufklärungskampagne »Radfahren ist Verkehr« soll begleitend laufen.

 

In der Politik stößt der Zehn-Punkte-Plan auf Unverständnis. »Es geht nicht um die Ringe auf ganzer Länge«, sagt FDP-Mann Houben. »Es geht darum, zu schauen, ›Wo heben wir die Benutzungspflicht auf, und wo ist das weiterhin sinnvoll?‹« Auch Dirk Michel von der CDU distanziert sich von dem Papier. Die Umwidmung einer Spur für den Radverkehr hält er für falsch. »Auf den Ringen muss der Verkehr fließen. Und das funktioniert nur mit Tempo 50.« Dass es nicht einhellig hinter den Kulissen zuging, zeigt sich auch daran, dass in der ursprünglichen Fassung des Antrags der Grünen von einer »sofortigen« Aufhebung der Benutzungspflicht an den Ringen die Rede war. Geeinigt hat man sich auf den dehnbaren Begriff »schnellst möglich«.

 

Der größte Haken aber bleibt:

Die Politik kann nur vorschlagen —

umsetzen muss den Beschluss die Verwaltung

 

Der größte Haken aber bleibt: Die Politik kann nur vorschlagen — umsetzen muss den Beschluss die Verwaltung. Jürgen Möllers, der Fahrradbeauftragte der Stadt und Mitarbeiter des Amtes für Straßen und Verkehrstechnik, nimmt den Aktivisten ordentlich Wind aus den Segeln. Zwar werde man das Thema ob des klaren Votums priorisieren, aber der Abbau der Schilder reicht aus Sicherheitsgründen nicht aus, sagt er.  Die einzelnen Passagen müssten geprüft und die teils alten Ampelanlagen ausgetauscht werden, da sich die Räumzeiten der Kreuzungen durch die Radfahrer auf der Fahrbahn ändere und alte Modelle nicht umprogrammiert werden könnten. Dies wird nun schnellstmöglich geschehen.

 

Anfang 2016 wollen Möllers und Kollegen dem Verkehrsausschuss ihre Einschätzung mitteilen. Schon Mitte November veröffentlichte die Stadt angesichts der in einigen Medien aufgestellten Behauptung, die Aufhebung der Benutzungspflicht sei bereits beschlossen, sicherheitshalber eine Pressemitteilung: »Bei blauem Radweg-Schild hat der Radfahrer keine Wahl«, heißt es dort.

 

Marco Laufenberg ist einer von denen, die Lino Hammer mit den »üblichen Verrückten« meint. Er war bei der allersten Critical Mass in Köln vor mehr als fünf Jahren dabei, kennt sich in Köln und mit der Straßenverkehrsordnung gleichermaßen aus. Für ihn kommen Möllers Aussagen nicht überraschend: »Euphorie ist nicht angebracht. Die Verwaltung wird nun alles prüfen, und das wird dauern.«

 

Laufenberg will nicht länger warten: Er bereitet Klagen gegen die Benutzungspflicht vor. Er ist in Kontakt mit einem bekannten Verkehrsanwalt und richtet gerade ein Crowdfunding ein, um die Anwaltskosten zu stemmen. »Ich will nicht weiter nur diskutieren. Wir machen jetzt ›Butter bei die Fische.‹« Auch Christoph Schmidt und seine Mitstreiter von der Initiative »Ring frei« sind sich im Klaren darüber, dass von der Verwaltung nicht zu viel zu erwarten ist. Die Initiative steht in Kontakt mit dem Anwalt Andreas Volkmann. Der hat in Berlin in den vergangenen Jahren regelmäßig erfolgreich gegen unrechtmäßige Radwege geklagt.

 

»Wir werden die Fälle gewinnen, da bin ich sicher«, sagt Laufenberg. Laut Straßenverkehrsordnung (StVO) sind die Fahrbahn-Befürworter im Recht. 2010 bestätigte das Bundesverfassungsgericht, dass es eine Benutzungs­pflicht für Radwege nur geben dürfe, wenn eine außerordentliche Gefahrenlage besteht und die Radwege den Mindestanforderungen entsprechen.

 

Es wird wohl doch noch eine Menge Zeit vergehen, ehe sich die Verkehrsaufteilung auf den Ringen ändert. Die nächste öffentliche Auseinandersetzung findet im Dezember statt, bei der nächsten Diskussionsrunde zum von der Stadt in Auftrag gegebenen Radverkehrskonzept Innenstadt. Die Ringe waren darin bislang noch kein zentrales Thema, aber auch dort werden Schmidt, Laufenberg und Co. ihre Forderungen vorbringen.
Einen Erfolg können sie aber immerhin schon vorweisen: die Entwicklungen in der Kölner Verkehrspolitik werden wahrgenommen. Der Deutschlandfunk und andere überregionale Medien haben berichtet. Und auch andere Kommunen schauen genau hin: In Düsseldorf diskutiert die Koalition aus SPD, FDP und Grünen über einen entsprechenden Vorschlag, und auch in Leverkusen wird die Benutzungspflicht geprüft. »Wir werden wahrgenommen«, sagt Schmidt.


Vorstellung des Radverkehrskonzepts der Stadt Köln: Di 14.12.,
Wallraf-Richartz-Museum, 18 Uhr