No Leidensporno

Archaisch und gegenwärtig inszeniert Rüdiger Pape »Verbrennungen« im Bauturm

Traumata vererben sich, gerade weil man lange nicht weiß, was aus der Vergangenheit heraus so quält. Im Stück »Verbrennungen« des franko-libanesischen Autors Wajdi Mouawad erhält ein ganz normales, westliches Zwillingspaar von der Mutter testamentarisch den Auftrag, den unbekannten Vater und ebenso unbekannten Bruder zu suchen. Genervt bis ablehnend reagieren die beiden, haben Rechnungen mit der Verstorbenen offen, die fünf Jahre vor ihrem Tod verstummte und sie alleine ließ.

 

Schon, wie Emilia Haag die herbe, trotzige Schwester Jeanne zeigt, die sich verbissen mit Wissenschaft ablenkt, ist sehenswert;  und großartig, wie Patric Welz-bacher den genervten, verstörten  Sohn in Kapuzenjacke spielt, der mit Vergangenheit nichts zu tun haben will. Der Krieg wird holt die Wohlstandkids einholen.

 

Das grandiose Stück des libanesischen Autors Mouawad, der mit acht Jahren aus dem Bürgerkrieg floh und heute in Kanada lebt, gehört zu den meistgespielten auf deutschen Bühnen. Im Theater im Bauturm gelingt Rüdiger Pape nun eine kluge Umsetzung von Geschichte, Krimi und Parabel zugleich. Vor einer gelben Wand mit arabischem Schriftzug, Mikros und einem Haufen Blecheimer verschränken sich geschickt drei historische Ebenen, zu denen der Musiker Raimund Groß den sensiblen Sound kreiert. Zuweilen steht er von den Instrumenten auf, um selbst mitzuspielen.

 

Rebecca Madita Hundt führt als Geist der verstorbenen Mutter zart und stark in verschiedenen Altersstufen durch die Verstrickung aus Schuld und Leid während eines Bürgerkriegs, der genauso in Jugoslawien oder Syrien spielen könnte. Alexander Sirnberg ist als väterlicher Freund der Mutter oder brutaler Soldat gleichermaßen überzeugend. 

 

Umstandslos werden Hundt und Welzbacher zum verbotenen Liebespaar im Kornfeld, das sich heimlich trifft — und am Beginn der Geschichte steht, die am Ende, viele Jahrzehnte später, zum Verstummen der Mutter führt. Das Kind, das aus der traurigen Liebe entsteht, wird zum Folterer werden:  Opfer und Täter, Schuld und Rache, Grund und Vorwand gehen ineinander über. Es gibt, wie im Leben, keine eindeutigen Taten.

 

Es ist eine Kunst, die komplexe Geschichte so zurückgenommen zu erzählen, dass kein Leidensporno aus ihr wird. Regisseur Rüdiger Pape und seinen Schauspielern gelingt das im Bauturm glaubwürdig und erschütternd.