Bernd Wilberg

Stollen wollen!

Dem Christstollen schlägt viel Verachtung entgegen. Dabei kann er zu den kulinarischen Bravourstücken zählen. Etwa als Dresdner Stollen, der auf die Kultiviertheit einer Region verweist, aus der zurzeit so viele bestürzende und beschämende Nachrichten eintreffen.

 

Wie aber begegnet uns im Westen der Republik diese Delikatesse? Das, was zur Adventszeit in den Supermarktregalen und Auslagen der Bäckerei-Ketten zu sehen ist, taugt auf dem Esstisch wohl nur zu dekorativen Zwecken. Wer wollte davon naschen? Der Puderzucker verdeckt eine laibhaftig gewordene klebrig-zähe Matsche-pampe, deren hemdsärmeliger Süße noch Zitronat aus dem Chemie-Labor sekundiert. 

 

Man muss einen ursprünglichen Dresdner Stollen gegessen haben, um zu erkennen, was man als Stollen-Verächter bislang verpasst hat. Welche irre Verfeinerung im Dresdner Stollen steckt, zeigt schon, dass er eigentlich nur als Vierpfünder gebacken wird — weil nur dann das Verhältnis von Kruste und Krume bestmöglich austariert sei! Aber nicht jeder Dresdner Stollen ist gut. Keinesfalls sollte Marzipan beigegeben werden, stattdessen aber durchaus Mandeln, auch bittere. Und besser als Zitronat und Orangeat sind die Zesten jener Zitrusfrüchte. Aber Butter gehört dazu — in rauen Mengen! 

 

Wem solche Stollen zu wuchtig sind, der sollte sich dem Quarkstollen zuwenden. Mag der Quarkstollen auch nicht kanonisiert sein — eine regionale Bedeutung ist nicht aktenkundig —, so ist doch auch er geeignet, den Ruf des weihnachtlichen Backwerks wiederherzustellen. Diese Variante ist leichter, lockerer, und man braucht den Quarkstollen nicht noch eine endlos lange Woche unter Alufolie durchziehen lassen. Im Gegenteil: Der Quarkstollen gebietet den raschen Verzehr. Der Quarkstollen hat einen weiteren Vorteil: Wer nicht christlich gestimmt ist und wem daher der Christstollen allein wegen des Namens sauer aufstößt (trotz seiner Süße!)  —  der bekommt eine weltanschaulich unverfängliche, aber nichtsdestoweniger leckere Alternative geboten. Im schlimmsten Falle schmeckt ein Quarkstollen eher nach Kuchen als nach Brot. Das kann man aushalten.