Foto: Manfred Wegener

Win-win mit Pop-up

Streetfood ist die Kost der Stunde — und nun auch im Restaurant zu haben: Im »Laden ein« lassen drei junge Kölner Unternehmer alle zwei Wochen neue Selfmade-Köche an den Herd

Am 1. Juli 2014 wird aus einer Berliner Wurstbude ein mexikanischer Taco-Stand. Adrian und Andrés Kohlert fahren 600 Kilometer nach Berlin, um ihren im Internet ersteigerten Imbiss-Anhänger abzuholen. Damit wollen die Brüder, 30 und 32 Jahre alt, ihre mexikanische Küche unters Volk bringen. Authentische Küche, wohlgemerkt. Kein Tex-Mex oder Tequila mit Sombrero obendrauf, sondern frisch zubereitete Tacos, Tortillas und Quesadillas mit hausgemachten Salsas sowie regionalem Fleisch aus tiergerechter Haltung. Wer würde da einer gewöhnlichen Wurstbude hinterhertrauern?

 

Den Wandel von der Currywurstbude zum hippen Food-Truck findet so oder ähnlich gerade vielerorts in Deutschland statt. Eine neue Esskultur versprechen die sogenannten Streetfood-Köche, die mit Pommes und Döner nichts zu tun haben. Wenn man Adrian und Andrés Kohlert kennenlernt, die sich »Los Carnales«, also »Die Brüder« nennen, kann man diesen Trend nur begrüßen. Ihre Mutter, die aus Mexiko stammt, habe immer landestypisch gekocht, sagt Adrian Kohlert, »aber nie Tacos!« Die hätten er und sein Bruder erst kennengelernt, als sie zum Zweck des Zivildiensts beziehungsweise Studiums eine Weile in der Heimat ihrer Mutter verbrachten. »Da hat jede Taco-Bude ihre eigenen Rezepte für Salsas und Marinaden«, sagt Adrian Kohlert. »Ich habe jeden Tag woanders probiert.«. Bald fingen sie an, die Gerichte anhand von Youtube-Videos nachzukochen, und Andrés Kohlert machte sogar ein Praktikum in einer Taco-Bude. Zurück in Deutschland kochten sie hin und wieder auf Musikfestivals und auf Fachschaft-Partys an der Uni. Sie wollten den durch Chili con carne ruinierten Ruf der mexikanischen Küche wiederherstellen. Ums Geldverdienen sei es weniger gegangen, sagen sie. »Der ganze Aufwand stand eigentlich in keinem Verhältnis zum Gewinn«, so Adrian Kohlert. »Meist haben wir sogar Verluste gemacht.«

 

Und dann kam das Streetfood-Festival in Ehrenfeld. »Los Carnales« und etwa zwei Dutzend andere Hobby-Köche boten im September vergangenen Jahres ihr Essen auf dem Veranstaltungsgelände Odonien an der Hornstraße an. Es gab pulled pork, also langsam gegartes, geräuchertes Schweinefleisch, in Cidre marinierte Rindersteaks, aber auch Stullen und frittierte Kekse. Es gab eritreisches und japanisches Essen. Um überhaupt etwas kaufen zu können, wurden für das Streetfood-Festival zwei Euro Eintritt verlangt. Trotzdem: Die Besucher kamen, und zwar in Scharen. An vielen Ständen war innerhalb weniger Stunden alles ausverkauft. Streetfood-Festivals wurden von nun an regelmäßig organisiert. Die Brüder tourten durch Deutschland und verkauften ihre Tacos jedes Wochenende in einer anderen Stadt. Es kamen Aufträge für Firmenfeiern, Adrian kündigte zwei seiner drei Jobs. Er und sein Bruder Andrés sind jetzt Streetfood-Köche von Beruf. Inzwischen könnten sie »gut davon leben und sogar noch was zur Seite legen«, sagt Adrian Kohlert.

 

Zwei Wochen lang haben Adrian und Andrés Kohlert neulich obendrein ein richtiges Restaurant betrieben: den »Laden ein« an der Blumenthalstraße 66 im Agnesviertel. Dort wechseln sich seit Mitte Oktober alle vierzehn Tage Streetfood-Köche ab, »Los Carnales« waren die ersten. Ohne dass es eine große Werbekampagne gegeben hätte, standen die Leute Schlange. Die Kölner Tagespresse frohlockte ob des »ersten Pop-up-Restaurants in Deutschland«, mehrere Food-Blogs verlinkten auf das Restaurant. Eine »geniale Idee« heißt es allenthalben — wie schon vor einem Jahr nach dem ersten Streetfood-Festival im Odonien.

 

Über diese Begeisterung können sich vor allem drei junge Kölner freuen: Till Riekenbrauk, Vincent Schmidt und Mathes Robel. Sie sind die Besitzer des »Laden ein«, und sie haben das Streetfood-Festival erfunden, das mittlerweile in ganz Deutschland nachgeahmt wird. Mit ihrer Idee, leidenschaftliche Hobby-Köche mit neugierigem und zahlungswilligem Publikum zusammenzubringen, haben sie in kurzer Zeit eine Szene von beachtlicher Größe erreicht und ihr zu regelmäßigen Einnahmen verholfen. Aber daran verdienen natürlich nicht nur die Streetfood-Köche, sondern auch Till Riekenbrauk und seine Kollegen. Eine Win-win-Situation im Pop-up-Restaurant. 

 

Inzwischen haben Riekenbrauk, Schmidt und Robel ein Büro in der Südstadt sowie zwei Angestellte, darunter den Koch Max Trompetter. Er greift den wechselnden Koch-Teams im »Laden ein« unter die Arme. »Wir waren von dem Erfolg total überrascht«, sagt Riekenbrauk. »Wir haben ja nur die Art von Veranstaltung organisiert, die wir selbst gern besucht hätten.« Schon nach dem ersten Festival im Odonien war ihm klar, dass er daraus noch mehr machen wollte. »Nun haben die Leute einen Food-Truck, der gut läuft. Aber dann ein Restaurant zu eröffnen — das ist ja gleich eine riesige Investition.« Also bieten Riekenbrauk und seine Kollegen nun ein Restaurant auf Probe an. Auch das sei den eigenen Neigungen geschuldet: »Jeden Mittag überlegen wir, wo wir essen gehen können und nicht schon hundertmal waren.« Sie wollten den Gästen die Abwechslung bieten, die sie selber suchen, sagt Riekenbrauk.

 

Und wieder wird es ein Erfolg. Nicht nur die Gäste drängeln sich hier, auch die Köche reißen sich darum, für zwei Wochen einmal ein Restaurant zu haben. Ende November kommt »Nipponoodles« aus München, man munkelt von Gastauftritten von Tim Mälzer oder Stefan Marquard. »Bis Ende März sind wir belegt, jeden Tag kommen mehrere neue Anfragen«, sagt Till Riekenbrauk. Bewerben kann sich zwar jeder, aber um den drei Inhabern auch nur vorkochen zu dürfen, müssen die Kandidaten zunächst detailliert Auskunft geben. Zutatenlisten, Speisekartenentwurf, Preisvorstellungen, eine Auflistung der Arbeitsschritte. Außerdem brauchen die Bewerber einen Gewerbeschein, ein Gesundheitszeugnis und eine Versicherung.  

 

Till Riekenbrauk hat BWL studiert und zwölf Jahre in der Gastronomie gearbeitet, auch die anderen beiden arbeiten seit Jahren in Kneipen und Restaurants. Sie bieten den Hobby-Köchen im »Laden ein« zwei Modelle an: Entweder die Köche geben den Inhabern einen Teil vom Umsatz ab. Oder sie zahlen Miete und behalten den Umsatz vom Essen. Der Getränkeverkauf, an dem Gastronomen meist mehr verdienen als am Essen, bleibt in der Hand der Inhaber. Dafür helfen sie bei Einkauf, Organisation und auch beim Kochen. In den jeweils ersten Tagen arbeitet der festangestellte Koch Max Trompetter mit. Er hat in Sterne-Restaurants in Frankreich und der Schweiz gearbeitet, bis er die Streetfood-Veranstaltung in der Berliner »Markthalle neun« kennenlernte. Trompetter versuchte es selbst mit einem Stand, wurde aber nicht glücklich. »Wenn du Sterne-Küche kannst, heißt das nicht, dass du Streetfood kannst«, sagt er. »Denn da musst du dich verkaufen können.«  

 

Umso mehr freut sich Trompetter, nun Streetfood im Restaurant zuzubereiten. Für ihn ist das kein Widerspruch: »Uns geht es um das Live-Cooking, darum, dass die frischen Zutaten direkt vor deinen Augen auf den Grill oder in den Wok geworfen werden.« Das findet Zuspruch bei den neugierigen, ökobewussten Großstädtern: Slowfood, aber kein langes Warten, hohe Qualität, aber nicht zu teuer, exotische Straßenküche, aber mit Gesundheitszeugnis, maximale Abwechslung, aber alles in einem Laden. 

 

Adrian Kohlert und sein Bruder haben trotz der vielen Besucher im »Laden ein« allerdings keinen großen Gewinn erzielt. Er schätzt, dass etwa 800 Euro für jeden nach vierzehn Tagen übrig geblieben sind. »Die Miete war ziemlich hoch, und wir hatten hohe Kosten für die Mitarbeiter.« Trotzdem sei es eine gute Erfahrung gewesen, sagt Adrian Kohlert. Vor allem für seinen Bruder Andrés, der bald ein Restaurant in Köln eröffnen wolle. Adrian hingegen sieht seine Zukunft eher als Dozent für Sprach- und Integrationsmittler sowie als Dolmetscher, denn er spricht neben Spanisch noch Persisch und Kurdisch. Aber den Taco-Stand will Adrian Kohlert weiter betreiben. »Da kommst du mit den Leuten in Kontakt. Das macht einfach Riesenspaß.«