17.10.2015: Aachener Straße, Braunsfeld. Gegen 9 Uhr morgens geht der Neonazi Frank S. mit einem Messer auf die damalige OB-Kandidatin ­Henriette Reker los. Er verletzt Reker schwer, vier weitere Kommunalpolitiker werden ebenfalls verletzt.

Das Rechte Netz

Vom »Deutschen Haus« zu Hogesa

 

Der Rechtsextremismus hat in Köln eine lange Geschichte. Verbote haben ihn immer wieder eingeschränkt, aber seine Strukturen sind nie zerschlagen worden

 

Am Morgen des 17. Oktober verlässt Frank S. seine Wohnung in Nippes. Vorher hat er dort aufgeräumt und die Festplatten aus seinen Computern ausgebaut. S. macht sich auf den Weg nach Braunsfeld, wo Henriette Reker an diesem Samstag einen Wahlkampftermin hat. Er nähert sich dem Wahlkampfstand, zückt ein Messer, sticht auf Reker ein und verletzt sie und vier weitere Politiker. »Ich tue es für eure Kinder«, soll er dabei gerufen haben, später gibt er zu Protokoll, er habe Reker wegen ihrer Flüchtlingspolitik attackiert.

 

Zugestochen hat alleine er, ein Einzeltäter ist Frank S. trotzdem nicht. Er ist Teil aus einer größeren Geschichte: die Geschichte der extremen Rechten in Köln und im Rheinland.

 

Im Herbst 1989 war es zum ersten Mal nach 1945 einer rechtsextremen Partei gelungen, in den Rat der Stadt Köln einzuziehen: den von Markus Beisicht und Manfred Rouhs angeführten Republikanern. Die Republikaner verfolgen die Taktik, einerseits rassistische Ressentiments in Wahlerfolge umzuwandeln und zugleich ein Sammlungsprojekt der extremen Rechten in Köln darzustellen. Diese besitzt in den 90ern einen zentralen Ort, an dem man sich austauschte: Den ›Deutschen Club‹, eine Art rechtes Kultur- und Jugendzentrum in der Roon-straße, wo sich die Szene zu regelmäßigen Saufgelagen, Filmabenden und politischen Vorträgen trifft. Neben ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS, nationalistischen Revisionisten und rechten Intellektuellen, gehen dort auch Skinheads und militante Neonazis der »Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei« (FAP) und der »Nationalis-tischen Front« (NF) ein und aus. 

 

Diese Organisationen sind das Ergebnis eines Radikalisierungsprozesses, der bereits Ende der 1960er Jahre begonnen hatte. Während sich damals die NPD als Partei und Sammelbecken für alte und neue Nazis etabliert hatte, organisiert sich die militante Szene in »Wehrsportgruppen« und übt dort den paramilitärischen Kampf gegen die BRD. 1971 hebt die Polizei in Bonn eine »Wehrsportgruppe Hengst« aus. Kurze Zeit später stehen führende NPD-Funktionäre aus Köln wegen Bildung einer rechtsterroristischen »Europäischen Befreiungsfront« vor Gericht. Auch der Neonazi Michael Kühnen aus Bonn gründet 1983 eine Wehrsportgruppe, nachdem seine vorherigen Organisationen verboten wurden. Zeitgleich übernimmt er die Führung der »Freiheit-lichen Deutschen Arbeiterpartei«, die 1995 verboten wurde. Über diese FAP und die ähnlich verfasste NF kommt Frank S. Anfang der 1990er mit der organisierten rechtsextremen Szene in Berührung. »Frank S. war im Umfeld der Bonner FAP aktiv, aber er war keine Führungsfigur«, erzählt Hans-Peter Killguss vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln. In den letzten Jahren habe er aber wenig Kontakt in die Szene gehabt. »Eine gewaltförmige Ideologie bringt aber immer wieder Gewalt hervor«, meint Killguss und erinnert an Thomas Adolf, der 2003 in Overath einen Rechtsanwalt und seine Familie ermordete und sich dabei in der Tradition der SS sah.

 

Vom ›Deutschen Club‹ auf der Roonstraße werden Anfang der 1990er Jahre auch die Fahrten zum »Rudolf-Heß-Gedenkmarsch« organisiert, der damals unter Federführung der FAP zum zentralen Event des militanten Neonazismus in der Bundesrepublik avancierte. 1993 trägt die FAP Bonn das Fronttransparent des behördlich nicht genehmigten Aufmarsches in Fulda, ein Jahr später -beteiligen sich etliche ihrer Mitglieder an Angriffen auf die Deutsche Botschaft in Luxemburg, werden verhaftet und nach Deutschland abgeschoben. Frank S. nahm sowohl an der Demonstration in Fulda als auch an der in Luxemburg teil.

 

Nach den Morden von Mölln und Solingen und den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen werden schließlich zahlreiche neonazistische Organisationen, darunter auch die FAP, verboten. In der rechten Szene beginnt daraufhin eine Strategiediskussion. Um ein Verbot durch die Behörden zu erschweren, sollen autonom agierende, lokale Kameradschaften an die Stelle von Parteien treten. Vereinzelt wird sogar der Gang in den Untergrund in Betracht gezogen. Zunächst bietet sich jedoch die Jugendorganisation der NPD, die JN, als Auffang-becken an. In Köln wird dies von Oliver Händel und Achim Ezer vorangetrieben, die beide zugleich in den Bundesvorstand der JN vorrücken. Händel zieht 1997 im Auftrag seiner Partei nach Sachsen und Ezer flieht nach antifaschistischen Protesten von seinem elterlichen Wohnhaus in Bergisch Gladbach 1998 nach Eschweiler, wo er im ›Braunen Haus‹ ein NPD-Schulungszentrum aufbauen will. In Köln erlahmen damit die JN-Aktivitäten.

 

An ihre Stelle tritt eine offen neonazistisch agierende Gruppe militanter Rechtsextremisten. Als private Geburts-tagsfeier getarnt treffen sich im Oktober 1998 zahlreiche ehemalige FAP-Mitglieder in den Gemeinderäumen der evangelischen Kirche in Humboldt-Gremberg und gründen dort die »Kameradschaft Walter Spangenberg«. Spangenberg war ein Kölner SA-Mitglied und wurde im Februar 1933 im Straßenkampf mit Kommunisten getötet. Den Nazis galt er als »Blutzeuge der Bewegung«, die Kameradschaft traf sich jährlich am Melatenfriedhof, um an seinem Grab an Spangenbergs Ermordung zu erinnern. »Die Kameradschaft sah sich in der Zeit Spangenbergs, also der Bewegungsphase der NSDAP«, meint Hans-Peter Killguss. Dies bedeutet, durch Demonstrationen und Versamm-lungen Präsenz auf der Straße zu zeigen und im Hintergrund ein Netzwerk aus militanten Neonazis aufzubauen.

 

Federführend dabei ist von Anfang an Axel Reitz aus Pulheim, der bei Gründung der Kameradschaft fünfzehn Jahre alt ist. Er sollte wie kein zweiter das militante neonazistische Spektrum der extremen Rechten in Köln prägen. Reitz kleidet sich wie Joseph Goebbels, er kennt die Rhetorik und Ideologie der NS-Größen und vertritt sie öffentlich. In den Medien wird er deshalb der »Hitler von Köln« genannt, aber diese Eigenschaften ermöglichen ihm auch einen raschen Aufstieg innerhalb der Nazi-Szene. Bei der ersten Demonstration der Kameradschaft 1999 in Köln ist er bereits die unumstrittene Führungsfigur und unterhält bundesweit Kontakte ins rechtsextreme -Spek-trum. Im selben Jahr gründet er mit den ehemaligen -FAP-Funktionären Thomas Brehl und Michael Thiel den »Kampfbund Deutscher Sozialisten« (KDS) und droht im ZDF seinen politischen Gegnern: »Die werden auf den Marktplatz gestellt und erschossen.« Immer wieder wird die Staatsanwaltschaft wegen solcher Äußerungen auf Reitz aufmerksam. Meist belassen es die Richter jedoch bei Verwarnungen oder geringen Bewährungsstrafen, erst 2005 wird er wegen Volksverhetzung zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Doch ungeachtet dessen arbeitet er weiter an der landesweiten Vernetzung der Neonazi- und Kameradschaftsszene, die 2004 in der Gründung des »Aktionsbüro West« gipfelt. Über das Aktionsbüro unterhält die Kölner Kameradschaft enge Kontakte zu Christian Worch aus Norddeutschland sowie »Autonomen Nationalisten« in Aachen und im Ruhrgebiet. Reitz hat Köln in den Nullerjahren zu einem Fixpunkt auf der rechtsextremen Landkarte Deutschlands gemacht.

 

Im gleichen Zeitraum von rund 15 Jahren finden in Köln fünf Anschläge statt, die bis heute nicht vollständig aufgeklärt sind. In Ehrenfeld verletzt 1992 eine Bombe zwei Mitglieder einer türkischen Familie, im Frühjahr 1993 explodieren in überwiegend von Migranten bewohnten Siedlungen in Bilderstöckchen und Mauenheim zwei mit Sprengstoff präparierte Haushaltsgeräte. Dabei werden zwei Menschen schwer verletzt. In allen drei Fällen wird von der Polizei ein rechtsextremer Hinter-grund ausgeschlossen. Ähnlich ist es auch bei den Bombenanschlägen in der Keupstraße 2004 und der Probsteigasse 2001, zu denen sich mittlerweile der NSU bekannt hat. Aber auch hier sind längst nicht alle Details geklärt, etwa wo die NSU-Terroristen vor dem Bomben-anschlag in der Keupstraße übernachtet haben und wer die Anschlagsorte ausgespäht hat. Beim Anschlag in der Probsteigasse bestehen Zweifel, ob die beiden NSU--Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos die Bombe in dem Kiosk der iranischen Familie abgelegt haben. Dies stärkt die Annahme, dass sie mit Nazis vor Ort zusammengearbeitet haben. Es ist bekannt, dass die Kameradschaft »Walter Spangenberg« Kontakt in das Thüringer Umfeld des NSU hatte.

 

2004 ist aber nicht nur das Jahr des Keupstraßen-Anschlags. Pro Köln, die neueste Politikinkarnation von Manfred Rouhs und Markus Beisicht, zieht erstmals in Fraktionsstärke in den Rat der Stadt Köln ein. Damit beginnt eine neue Arbeitsteilung: Pro Köln artikuliert den Alltagsrassismus in der Domstadt und konzentriert sich dabei auf den Protest gegen die DITIB-Moschee in Ehrenfeld, während sich die Kameradschafts-Nazis um den Aufbau ihrer Netzwerke kümmern. Dabei kommt es immer wieder zu personellen Überschneidungen, auch der politische Gegner ist der Gleiche. Sowohl die Kameradschaft um Reitz als auch Pro Köln marschieren gerne in Kalk auf, egal ob es gegen »Polizeirepression und Medienhetze« geht oder gegen das alte Autonome -Zen-trum in der Wiersbergstraße.

 

Ideologisch existieren jedoch während der Nullerjahre feine ideologische Unterschiede zwischen der Pro-Bewegung und den Kameradschaftsnazis. Die Pulheimer Nazis nahmen regelmäßig am »Antikriegstag« der Autonomen Nationalisten in Dortmund teil, wo gegen den US-Imperialismus und US-Kapitalismus gewettert wird und der antisemitische Präsident des Iran, Mahmud Ahmadinedschad, ein Transparent ziert. In der Pro--Bewegung werden dagegen in erster Linie Muslime als Feinde identifiziert, das Hausorgan PI-News ruft zur Unterstützung des Staats Israel auf, den sie als Bollwerk gegen den muslimischen Ansturm imaginieren.

 

Letztlich ist die Rede des Bonner Autors Akif Pirinçci, der sowohl von »PI-News« als auch vom rechts-intellek-tuellen Magazin »Eigentümlich Frei« hofiert wird, bei der Pegida-Demo in Dresden Ende Oktober die Konsequenz dieser Position. Pirinçci sprach erst von »Moslemmüll-halden« und einer »Umvolkung« durch Flüchtlinge und Muslime. »Die KZs sind ja leider außer Betrieb«, sagte Pirinçci dann und meinte damit, dass deutsche Politiker »Asylkritiker« wie ihn am liebsten vernichten würden. Ein Deutscher macht sich zum Opfer einer neuen Massen-vernichtung durch die ›neuen Nazis‹: Politiker und Muslime.

 

2012 verbietet der nordrhein-westfälische Innenminister Jäger mehrere Neonazi-Organisationen, darunter auch die »Kameradschaft Walter Spangenberg«. »Dadurch gewinnen Parteien wieder an Bedeutung für die militante Rechte«, erläutert Hans-Peter Killguss vom NS-DOK. »In Süddeutschland ist das ›Der III. Weg‹ und in Westdeutschland ›Die Rechte‹«. Die Dortmunder Kameradschaftsnazis ziehen 2014 für »Die Rechte« in den Stadtrat ein, das Kölner Kameradschaftsmilieu wird von der Verbotswelle der Behörden nach der Selbstenttarnung des NSU aber härter getroffen. In Koblenz stehen seit drei Jahren Nazi-Aktivisten vom »Aktionsbüro Mittelrhein« vor Gericht, darunter auch Axel Reitz. Er sagt umfassend bei der Staatsanwaltschaft aus und gilt seitdem als Aussteiger aus der rechten Szene. Kontakt hält er weiterhin. Erst Mitte Oktober führt er auf der Facebook-Seite des Bonner Pro-NRW-Stadtrats Christoph von Mengersen eine Diskussion darüber, wie man die Rechte modernisieren kann, um »Ewiggestrige« und »Sektierer« nicht mehr anzusprechen. Auch Reitz fällt also auf, dass extrem rechte Positionen größeren Widerhall im politischen Mainstream finden, sobald man ihnen eine andere, weniger uniformierte Form gibt.

 

Wie genau diese aussieht, scheint im Moment nicht ausgemacht. In der Jungen Freiheit und der Blauen -Narzisse üben sich junge Autoren im publizistischen Abwehrkampf gegen Gender Mainstreaming und Interkultur. Das Compact-Magazin liefert die nötigen Bilder dazu: Es zeigt Angela Merkel im Kopftuch und spricht von der »End-station Bürgerkrieg«. Und alle bewundern Thilo Sarrazin, den Eugeniker mit SPD-Parteibuch, sowie den Ex-FAZ-Redakteur Udo Ulfkotte, weil sie mit rechten -Positionen hohe Auflagen erzielen.

 

Im Osten Deutschlands gelingt es AfD und Pegida die soziale Frage mit Ressentiments gegen Flüchtlinge zu besetzen. Diese Strategie versucht auch die Rechte im Rheinland. Am 9. November 2015 demonstrierten in Linnich 150 Neonazis gegen eine Erstaufnahmeeinrichtung, für den 4. Dezember hat Pro NRW eine Demonstration gegen das Flüchtlingszeltlager in Chorweiler angekündigt. Die junge Generation von Pro-NRW-Aktivisten, Christoph von Mengersen aus Bonn, Tony-Xaver Fiedler aus Köln, Dügida-Organisatorin Melanie Dittmer und Hogesa-Anmelder Dominik Roeseler, sucht den Kontakt ins Milieu gewaltbereiter Fußballfans, denen sie ihre bislang größten Erfolge verdanken: die Hogesa-Demos in Köln.

 

Am 25. Oktober sind mehrere Tausend Polizisten rund um den Bahnhof Deutz im Einsatz. Auf dem Vorplatz demonstrieren rund 20.000 Menschen gegen den Hogesa-Aufmarsch auf der anderen Seite des Bahnhofs. »Lasst uns Köln 2014 toppen«, hatten die »Hooligans gegen Salafismus« im Vorfeld verkündet. Es ist ihnen nicht gelungen. Anstatt mit 4000 Nazi-Hools durch die Innenstadt zu ziehen, stehen sich die 1500 Hogesa-Teilnehmer auf dem Barmer Feld die Beine in den Bauch. Und trotzdem ist Hogesa dieses Jahr bislang die größte rechte Demonstration in Westdeutschland. In einer Stadt, wo eine Woche zuvor ein Nazi fünf Menschen bei einer Messerattacke teils lebensgefährlich verletzt hat.