Der Pegida-Albtraum

Manuel Moser brilliert mit seinem Stück Angst oder wie Walter zum Attentäter wurde

Walter (Gerhardt Roiß) ist grundsympathisch, besonnen und nachdenklich. Auf keinen Fall dumpf und rechts. Komisch nur, dass seine Frau (Jennifer Ewert) meist im Schrank sitzt und die Kinder ihn anfeinden. Fast entschuldigend setzt er zu einer Grundsatzrede an, die sich zunächst ganz harmlos anhört. Auch die Deutschlandfahnen, die er im Publikum verteilt, sind längst salonfähig. Lassen wir zu, dass Flüchtlinge westliche Werte in Frage stellen? Gibt es in Kantinen bald kein Schweinefleisch mehr? Darf man Flüchtlingspolitik nicht hinterfragen, ohne als Nazi abgestempelt zu werden?

 

Walters Fragen lassen sich nicht einfach beantworten, schrammen aber oft an der Grenze zum Stammtisch-Rassismus. Dennoch verrät Gerhardt Roiß seine schwierige Hauptfigur nie, sondern verleiht ihr Würde und echte Not. Stehen da nach seiner Rede wirklich Zuschauer zur Zustimmung auf? Ein feiner Irritationsmoment.

 

In Wirklichkeit ist es ein Chor aus 17 Sängern, die mit großer Gesangskraft das Pegida-Fußvolk geben, das zur Bühne strömt, die Nationalhymne schmettert und so aufs Schönste deutsche Werthaftigkeit demonstriert. In »Angst oder wie Walter zum Attentäter wurde« lotet Regisseur Manuel Moser die feine Linie zwischen Rassismus und Sorge aus, Totschlagargumenten und Querdenkertum und inszeniert einen dramaturgisch souveränen, mutigen und unbequemen Abend. Es ist nicht so einfach, Walter abzulehnen, der sich zugleich ständig gegen die eigene Familie behaupten muss: die Tochter (Nadja Duesterberg) reflexhaft rebellisch und auf allerlei Drogen, der Sohn (Sefa Küskü) gebetsmühlenartig links. Sein Vater ist ihm nur noch peinlich, als die Freunde dessen Pegida-Literatur im Wohnzimmer finden: »Deutschland schafft sich ab«.

 

Währenddessen hockt die Mutter im Schrank in nostalgischer Wirklichkeitsflucht, träumt von Herbstlaub und Senfeiern. Gezeigt wird das überdrehte, aber dennoch präzise Psychogramm einer sich auflösenden, weil vorher im Mittelmaß erstickten, Familie. Die symbolhaft für die Keimzelle des saturierten westlichen Europas steht, das seine Privilegien in Gefahr sieht, auch wenn sie nicht real bedroht sind. Es ist nachvollziehbar, dass Walters Familienruine Ängste auslöst und er sich mit einem Rundumschlag vom Meinungsterror befreien will.

 

Manche Sätze aus Mosers Stück scheinen direkt aus der Tagespresse abgeschrieben zu sein. Dennoch hinterlässt der Abend verwirrt und aufgewühlt. Passend zur Weltlage. Wenige Minuten nach Premierenapplaus geschahen die Anschläge von Paris. Wie viel Pegida steckt in jedem?