Schön kaputt

Der künstlerische Weg des Adam Green scheint ebenso verschlungen wie konsequent. Martin Büsser ist dem jungen New Yorker auf der Spur

Ein junger Mann blickte die Passanten in der Weihnachtszeit aus den Schaufenstern der Buchhandlungen an, das Gesicht noch knabenhaft weich, der Blick dagegen bereits stechend, geradezu fordernd: Das Plakat des jungen Bob Dylan wirbt für dessen »Chronicles«, den ersten Teil seiner Autobiografie, die es bis in die Sachbuch-Bestsellerliste des Spiegels geschafft hat.
Im Grunde müssten die Buchhandlungen das Plakat gar nicht austauschen, wenn im Januar das erste Buch von Adam Green auf den Markt kommt. »Magazine« wird es heißen, in der renommierten Edition Suhrkamp erscheinen und Adam Greens assoziative Prosafragmente versammeln, darunter so deftige Sätze wie »government is a dick« und Rätselhaftes wie »Captain Noodle lived under a bridge«. Auf die Übersetzung durch FSK-Mastermind und Suhrkamp-Autor Thomas Meinecke darf man gespannt sein. Er schwärmte jedenfalls über Greens »bohemistische, leicht narkotisierte Zungengebethaftigkeit von freejazziger Schönheit«.

Geniale Trümmer oder leere Sprachspiele?

Adam Green ist Anfang Zwanzig, lebt in New York, trägt sein Haar ähnlich ungekämmt lockig wie Bob Dylan und ist wie dieser Nachkomme jüdischer Einwanderer. Er kann sogar auf
eine prominente Urgroßmutter zurückblicken – Felice Bauer, die Verlobte Franz Kafkas.
Mit all dem wirbt Suhrkamp, führt neben Dylan auch noch Rolf Dieter Brinkmann und Guilaume Apollinaire als Vergleiche an und spricht gar von einem »genialen Sprachkünstler«. Dabei weiß niemand besser als Adam Green, dass »das Genie« von der Postmoderne erledigt wurde. Die Texte seiner Songs und seine Prosa sind Steinbrüche voller Zitate, unter denen das Subjekt, das als Einziges ein Anrecht darauf hätte, Genie genannt zu werden, zertrümmert wurde. Die Figuren wechseln bei Adam Green ihre Stimmung ebenso schnell wie ihr Geschlecht, sterben oft mehrfach pro Song, erleben ebenso viele Wandlungen wie die Götter in den »Metamorphosen« des Ovid – mit dem Unterschied, dass die Welt des Adam Green weder Wirklichkeit noch Fabeln oder Mythen wiedergibt, sondern ein ebenso tiefsinnig wirkendes wie zugleich leeres Spiel mit der Sprache bleibt, das sich so wenig wie Adam Greens dunkle Augen ergründen lässt.

Was hat Green mit Dylan zu tun?

Im Gegensatz zu seinem Altersgenossen Conor Oberst von Bright Eyes, der ebenfalls chronisch als der neue Bob Dylan gefeiert wird, gibt es in der Welt von Adam Green keine Authentizität mehr, kein leidendes Künstlersubjekt und auch keine Empörung über die Verhältnisse. Adam Greens post-dadaistische Sinnverweigerung bleibt gewollte Farce und kleidet sich wohl aus diesem Grund in immer banalere, standardisiertere Musik. Das neue, vollmundig »Gemstones« (»Edelsteine«) betitelte Album ist endgültig am Broadway angekommen, nimmt es nicht mit Dylan, sondern mit Lloyd-Webber auf. Und doch wirkt die Seriosität so bizarr von musikalischen Cartoons umgeben wie ein Gastauftritt von Dean Martin in der Muppets-Show.

Lieblichkeit mit pubertär-subversiven Texten

Mit Antifolk, jener Mischung aus Dilettantismus, gespielter Naivität und Schrulligkeit, die Adam Greens Band Moldy Peaches vor drei Jahren zum Indie-Erfolg verholfen hat, hat Green seit seinem Solo-Debüt »Friends Of Mine« nichts mehr zu tun. Während seine ehemalige Kollegin Kimya Dawson gerade erst mit »Hidden Vagenda« eine Platte auf K-Records veröffentlicht hat, die den Antifolk-Kosmos nicht zuletzt durch einen Gastauftritt von Daniel Johnston fortschreibt, mimt Adam Green den Gereiften und wurde dafür vom Musikexpress zum »Indie-Sinatra« gekürt. Allein die zotigen und ganz und gar pubertären Texte (Genie-Prädikat hin oder her) retten Adam Green noch vor der Banalität des Muzak, zu dem seine Musik tendiert.
Es ist dieses Konfrontation von absurder, im Unterhaltungs-Kontext subversiver Lyrik einerseits und einer in ihrer Unaufdringlichkeit auch für Kreuzfahrten geeigneten Musik andererseits, die Adam Greens enormen Erfolg seit »Friends Of Mine« ausmacht. Natürlich spielt auch sein Aussehen eine Rolle, das allen Erwartungen an einen süßen, Beschützerinstinkte weckenden Indie-Boy entspricht. Doch erst die entsprechend unaufdringliche Musik bot die Voraussetzungen für neue Fans, denen die Moldy Peaches viel zu schräg, albern und kaputt gewesen wären. Seit Greens Musik sich als liebliche Hintergrundbeschallung eignet, sind neue Käuferschichten hinzugekommen: Während die einen ihn als »größten Songwriter seiner Generation« (Musikexpress) feiern, wurde Green in der »McDonalds Charts-Show« auf PRO7 einfach nur als »süßer Wuschelkopf aus New York« angekündigt.

Demontage daheim, Konsens im Ausland

Der Hype um Adam Green ist damit ein gutes Beispiel für die mehrdeutige Lesbarkeit von Pop unter postmodernen Vorzeichen. Green konnte Konsens werden, weil er auch anspruchsvolle Hörer zufrieden stellt, also ironisch gelesen werden kann, weil er sowohl das Pro7- wie auch das Suhrkamp-Klientel bedient.
Der Erfolg funktioniert jedoch nur in jenen Ländern, in denen Englisch nicht Muttersprache ist. »In Deutschland ist Adam Green ein Star«, erzählte sein ehemaliger Antifolk-Kollege Ben Kweller, »in den USA bin ich dagegen viel bekannter«. Der Grund dafür ist einfach: In den USA ist es nicht möglich, über die zum Teil sexuell expliziten, mit jeder Erzählstruktur brechenden Texte einfach so hinwegzuhören. Dort entfaltet sich noch die verstörende Kraft dieses unschuldig wirkenden Jungen, der mit uramerikanischer Unterhaltungsmusik spielt und sie zugleich demontiert, indem er kein Tabu von Transgender über Suizid bis zu Selbstbefriedigung auslässt. Dies zumindest sollten all jene bedenken, die »Ausverkauf« rufen: Adam Greens auf Sinatra und Schlagersternchen wie Jessica Simpson bezogene Musik stellt nicht zuletzt ein freches Spiel mit amerikanischen Mythen dar, dessen ganze Komplexität in Deutschland kaum erfasst wird. Insofern entspringt es einem gehörigen Missverständnis, dass der Junge, dessen Familie einst aus diesem Land vertrieben wurde, nun ausgerechnet in Deutschland für seine vermeintliche Niedlichkeit gefeiert wird.

Verquere Ex-Kollegen jetzt vor kleinerem Publikum

Es ist dennoch legitim, nach den anderen zu fragen, die (vorläufig) auf der Strecke geblieben sind, nach all den Antifolk-Künstlern, die Adam Green und Kimya Dawson noch vor wenigen Jahren mit dem »Rough Trade«-Sampler »Antifolk Vol. 1« in Europa bekannt machen wollten. Warum ist es nie zu einem zweiten Teil gekommen? Warum spielt ein Ausnahmetalent wie Jeffrey Lewis in Deutschland nur vor dreißig bis vierzig Gästen? Warum taucht selbst Kimya Dawson hierzulande nicht mehr in jenen Heften auf, die Adam Green als Titelstory feiern?
Wieder einmal bestätigt sich, dass Erfolg in hohem Maße, wenn nicht sogar ausschließlich, von der Radiotauglichkeit einer Musik abhängt. Die Texte von Adam Green haben sich so wenig geändert wie sein apathisches, stets abwesendes Auftreten. Der Musik dagegen fehlt spätestens mit dem fast schon als Rockrevue gestalteten »Gemstones« der Charme des Unfertigen, Gebrochenen und Verquerem, mit dem sich die Moldy Peaches in die Herzen einer wesentlich kleineren Fangemeinde gespielt haben.

Adam Green spielt am Sa, 26.2. um 20 Uhr in der
Live Music Hall.

Das Album »Gemstones« (Rough Trade/Sanctuary) und das Buch »Magazine« (Suhrkamp) sind bereits erschienen.