Apokalyptisches Europa

Frühwerk eines Exzentrikers: Der Kölner Verleih Real Fiction bringt die Europa-Trilogie Lars von Triers wieder in die Kinos

Drei Filmanfänge: dreimal zieht uns eine suggestive Stimme mitten ins Geschehen, dreimal der Verzicht auf Farbe – drei Filme von Lars von Trier. Von vornherein sind die zwischen 1984 und 1991 entstandenen Filme als Europa-Trilogie konzipiert worden. In allen drei Geschichten steht eine Figur im Mittelpunkt, die sich Tod und Verfall in einem imaginären Europa entgegenstellt. In »Element of Crime« ist es ein Polizeidetektiv, der Licht in einen Mordfall bringen will; in »Epidemic« versucht ein Arzt, die Ausbreitung einer Seuche zu verhindern; und in »Europa« bereist ein junger Amerikaner das Nachkriegsdeutschland, um den Versehrten des Krieges beizustehen.

Verlorenheit der Helden

Alle drei Figuren bewegen sich in einer labyrinthischen, aus den Fugen geratenen Welt.
Alle drei suchen sie Orientierung. Der Detektiv aus »Element of Crime« etwa, indem er auf der Suche nach Hinweisen seine Ermittlungsergebnisse in einen stumpfen Spiegel ritzt, oder die beiden Drehbuchautoren in »Epidemic«, die als eine Art Wegweiser für ihren Helden die Eckpunkte der Handlung an die Wand ihrer Wohnung malen. In beiden Fällen erfüllen die Skizzen eine doppelte Funktion: Einerseits sollen sie Überblick verschaffen, andererseits vermitteln sie den Figuren mit ihrem Zeichencharakter das Gefühl eines Sinns. Beides wird sich als Täuschung erweisen. Zusehends verlieren sie den Boden unter den Füßen, unfähig, die Teile ihres Puzzles zusammenzusetzen.
Gleichzeitig verschwimmt für die Helden mit fortschreitender Handlung die Grenze zwischen Imagination und Realität. Der Detektiv aus »Element of Crime«, der gemäß dem Leitsatz seines Mentors versucht, durch Identifikation mit dem Täter dem Verbrechen auf die Spur zu kommen, weiß am Ende selbst nicht mehr, wer er ist. Hat er die ganze Zeit womöglich nur sich selbst gejagt? In »Epidemic« werden die beiden Autoren, die sich die Geschichte einer Epidemie zusammenfabulieren, selbst von einer tödlichen Seuche heimgesucht. Und in »Europa« verliert sich der Held – nach bester Noir-Tradition – in einem Verwirrspiel aus Verwechslungen und falschen Identitäten.
Die Verlorenheit seiner Helden spiegelt sich auch in von Triers filmischem Umgang mit Raum und Zeit. Obwohl es in allen drei Filmen mehr oder weniger deutliche Anhaltspunkte für den zeitlichen Rahmen der Handlung gibt (am eindeutigsten in »Europa«), wirken sie merkwürdig entrückt, als wären sie aus der Zeit gefallen. Ähnliches gilt für die Behandlung des Raums: Hermetisch scheint er sich gegen jegliche Einflüsse von außen abzuschotten. Kaum vorstellbar, dass außerhalb der Welt der Filme noch eine andere existiert. Diese räumliche und zeitliche Abgeschlossenheit erzeugt das Gefühl, eingesperrt zu sein, das sich mit einer Atmosphäre unterschwelligen, fortgesetzten Terrors mischt.

Hang zum Experiment

Nicht zufällig fungiert in allen drei Filmen – stellvertretend für Europa – Deutschland als Schauplatz, ein totalitäres und im Verfall befindliches Deutschland, das in der Wirklichkeit so nicht (mehr) existiert, ein Ort, der zugleich für eine große kulturelle Tradition steht. Zwei der drei Filme – »Element of Crime« und »Europa« – spielen weitgehend in diesem fiktiven Deutschland. In »Epidemic« unternehmen die beiden Drehbuchtoren eine Reise nach Köln, wo sie auf Udo Kier treffen, der ihnen von einer Bombennacht während des Zweiten Weltkriegs erzählt. Aus solchen Versatzstücken europäischer Geschichte und Genremustern des Film Noir und Melodram erschafft von Trier sein ganz eigenes filmisches Universum.
Diese Arbeitsweise – das Zusammenfügen inhaltlich disparater Elemente – findet sich auch auf der filmsprachlichen Ebene wieder. Alle drei Filme sind geprägt von einem starken Hang zum Experiment; besonders in den beiden ersten scheint die Geschichte oft nur Vorwand für
bestimmte Kamerabewegungen, Licht- und Schattenspiele oder Erkundungen des Dekors zu sein. Es geht von Trier hier mehr um die Erzeugung von Stimmungen als um den Fortgang der Geschichte. Erst im letzten Teil der Trilogie, »Europa«, sind er und sein langjähriger Koautor Niels Vorsel um einen stringenteren Handlungsaufbau bemüht. Zwar betreibt der Film einen tricktechnisch ungleich größeren Aufwand als seine Vorgänger, doch stehen die verschiedenen Techniken – Rückprojektion, Mehrfachbelichtungen etc. – diesmal stärker im Dienst der Geschichte.
Formal stellt »Europa« den Endpunkt einer Entwicklung dar, so dass von Triers folgende Kinofilme »Breaking The Waves« und »Idioten«, mit ihren selbst auferlegten Beschränkungen, im Rückblick in ästhetischer Hinsicht wie eine Katharsis erscheinen. Auch inhaltlich betrat Lars von Trier mit »Breaking The Waves« Neuland. Sind in den frühen Filmen die Anstrengungen der Helden, Menschenleben zu retten und damit ihrem Handeln eine Bedeutung zu geben, stets zum Scheitern verurteilt, bekommt das Opfer der Protagonistin in dem Film von 1996, wenn auch auf tragische Weise, einen Sinn. So gesehen, war »Breaking The Waves« ein Schritt Richtung Licht, heraus aus dem Labyrinth eines apokalyptischen Europa.

Element of Crime (Forbrydelsens element) DK 84, R: Lars von Trier, D: Michael Elphick, Me Me Lai, Esmond Knight, 104 Min. Start: 10.3.
Epidemic (dto) DK 87, R: Lars von Trier, D: Lars von Trier, Allan De Waal, 106 Min. Start: 12.5.
Europa (dto) DK/SW/D/ F 90, R: Lars von Trier, D: Jean-Marc Barr, Barbara Sukowa, Udo Kier, 112 Min. Start: 21.7.